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Chef des Umweltbundesamts

„Wichtig ist vor allem, den motorisierten Verkehr zu reduzieren"

Autorenprofilbild von Claudia Ehrenstein
Von Claudia EhrensteinPolitikredakteurin
Veröffentlicht am 04.05.2020Lesedauer: 6 Minuten

Wegen des Lockdowns sind die Straßen deutlich leerer als sonst. Das verlockt manche - vor allem männliche Autofahrer - dazu, das Gaspedal ordentlich durchzudrücken. Illegale Autorennen mit PS-starken Sportschlitten haben Hochkonjunktur.

Der Chef des Umweltbundesamts pocht darauf, den Kampf gegen das Coronavirus mit dem Kampf gegen Umweltverschmutzung zu verbinden. In den Städten eroberten sich die Menschen den öffentlichen Raum zurück. In der Pandemie zeige sich, „was wir wirklich brauchen“.

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Seit Anfang des Jahres leitet der Politikwissenschaftler und Nachhaltigkeitsexperte Dirk Messner das Umweltbundesamt. Die Behörde, die dem Bundesumweltministerium unterstellt ist, überwacht den Vollzug von Umweltgesetzen. Zuletzt hatte das Umweltbundesamt vorgerechnet, was ein Tempolimit auf Autobahnen für den Klimaschutz bringen würde – nämlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxidemissionen pro Jahr.

WELT: Herr Messner, in der Corona-Krise geht der Verkehr gerade drastisch zurück, die Luftschadstoffwerte aber sind dennoch hoch. Waren die Diesel-Fahrverbote sinnlos?

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Dirk Messner: Grundsätzlich gilt: Wo weniger motorisiert gefahren wird, verbessert sich im Schnitt über das Jahr die Luftqualität. Und wenn auch die Industrie weniger produziert, sinken die Emissionen. Lokal kann das aber unterschiedlich ausgeprägt sein. Das ist zum Teil auf das Wetter zurückzuführen. Außerdem hängt die Belastung der Luft stark von der Landwirtschaft ab. Es wird gerade viel gedüngt. Das setzt Ammoniak frei, der zur Bildung von Feinstaub führt – und den messen wir dann in den Städten, selbst wenn da weniger Autos fahren.

Dirk Messner
Dirk MessnerQuelle: picture alliance/dpa

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WELT: Wird die Angst vor dem Coronavirus die Menschen dazu bringen, wieder vermehrt das Auto zu nutzen anstelle von Bus und Bahn?

Messner: Für den Moment kann ich mir vorstellen, dass viele Pendler aus Sorge vor Ansteckung zunächst wieder auf das Auto umsteigen. Das kann ich verstehen. Aber die Corona-Krise wird in absehbarer Zeit enden, wenn wir einen Impfstoff haben. Die langfristigen Probleme im Umwelt- und Klimaschutz verschwinden aber nicht. Ich empfehle daher, bei den Corona-Konjunkturhilfen auch ein Zukunftspaket für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu schnüren. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer muss endlich Konzepte für eine klimafreundliche Verkehrswende vorlegen.

WELT: Auch der niedrige Ölpreis macht das Autofahren wieder attraktiver. Also doch mehr Autoverkehr?

Messner: Der historisch niedrige Ölpreis kann natürlich dazu führen, dass die Nachfrage nach Benzin und Diesel steigt und die Menschen wieder mehr das Auto nutzen. Mit Blick auf den Klimaschutz sollten wir aber verhindern, dass Autofahren im Vergleich zu Bus und Bahn auf Dauer zu billig und zu attraktiv wird. Deshalb ist es richtig, dass wir 2021 damit beginnen, auch im Verkehrsbereich einen Preis für CO2 einzuführen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass wir die Mineralölsteuer für Benzin und Diesel angleichen.

Den Wunsch, dass man sich nach der Krise wieder bewegen und reisen kann, kann ich nachvollziehen – und da müssen wir klimaschonende Angebote machen. Schauen Sie sich Utrecht in den Niederlanden an: Gut ausgebaute Fahrradwege, sichere Fahrradparkhäuser und der einfache Umstieg auf den öffentlichen Verkehr haben den Fahrradverkehr stark erhöht.

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WELT: In der Corona-Krise hat sich das Leben für fast jeden grundlegend geändert. Welche Lehren lassen sich aus den Erfahrungen für die Zukunft ableiten?

Messner: Die Corona-Krise und der damit verbundene Lockdown führen uns an vielen Stellen gerade vor Augen, was wir wirklich brauchen. Die Gesundheit ist in den Mittelpunkt gerückt. Weil wir uns kaum bewegen können, nehmen wir unser direktes Lebensumfeld ganz neu wahr und spüren, was Lebensqualität ausmacht. Plötzlich ist es auch mitten in der Stadt wieder möglich, nachts mit offenem Fenster zu schlafen. Weil deutlich weniger Autos fahren, ist es ruhiger und die Luft ist besser.

WELT: Wie müssen sich Städte verändern, damit sich die Menschen dauerhaft wohler fühlen?

Messner: Wichtig ist es vor allem, den motorisierten Verkehr und damit Lärm und Schadstoffe zu reduzieren, das zeigt die Corona-Krise sehr deutlich. Weil gerade Restaurants und Cafés geschlossen sind, treffen sich die Menschen in Parks oder auf den Fußwegen, sie sitzen auf Bänken oder einfach auf Fenstersimsen. So erobern sie sich den städtischen Raum zurück. Wir brauchen Grün in den Städten und wir müssen Plätze schaffen, wo sich Menschen begegnen können. Grundsätzlich müssen wir überlegen, ob wir den verfügbaren Raum in der Stadt für Menschen und Verkehr nicht anders verteilen und gestalten. Daher muss die Bundesregierung unbedingt auch die Städte und Kommunen in ihre Corona-Hilfspakete mit einbeziehen.

WELT: Wofür sollten Kommunen denn Mittel bekommen?

Messner: Den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar zugute käme der Ausbau der Radwege. Und wir müssen auch an die Fußgänger denken. Hier bewegt sich ja bereits einiges: Ein gutes Beispiel sind die sogenannten Pop-up-Radwege in Berlin. Sie werden mit einfachen Mitteln wie etwa Folien ausgewiesen, können in extrem kurzer Zeit angelegt und auch schnell wieder verlegt werden, um die Streckenführung zu optimieren.

Merkel fordert Finanzmarkt für klimafreundliche Investitionen

Kanzlerin Angela Merkel hat einen Finanzmarkt für klimafreundliche Investitionen gefordert. Es sei wichtig, dass Investoren sehen könnten, dass es sich lohne, in moderne Technologien wie erneuerbare Energien zu investieren.

WELT: Geraten durch die Corona-Krise andere Probleme aus dem Blick?

Messner: Die Gefahr besteht eindeutig. Wenn wir uns jetzt nur um das Hier und Jetzt kümmern und die viel größere Klimakrise vergessen, wird sich das rächen. Daher müssen wir mit den Mitteln aus den Konjunkturpaketen das fördern, was wir uns ohnehin vorgenommen haben – nämlich den Klimaschutz voranzutreiben und die Ressourcen effizienter zu nutzen. Wenn wir das jetzt aufschieben, wird die Klimakrise unlösbar. Wenn wir die Mittel jetzt aber richtig einsetzen, wird es das größte Konjunkturprogramm seit Beginn der industriellen Revolution – nicht nur in Deutschland und Europa. Dann würde die Corona-Krisenbekämpfung zum Sprungbrett zur Nachhaltigkeit.

WELT: Sollte die Bundesregierung ihre Hilfen also an Auflagen koppeln?

Messner: Zumindest die langfristigen Mittel. Wenn die Corona-Mittel jetzt alte Strukturen zementieren, werden die Klima- und Umweltprobleme eskalieren. Wir erleben eine weltweite Gesundheitskrise und zugleich müssen wir einen „gesunden Planeten“ erhalten, damit unsere Zivilisation eine gute Zukunft hat. Die Kernaufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte wird sein, die Bekämpfung der Corona-Krise mit der Bekämpfung der Klimakrise direkt zu verbinden.


WELT: Die Autoindustrie fordert Kaufprämien für Neuwagen – wie schon während der Finanzkrise. Ein Weg aus der Krise?

Messner: Falsch wäre, die alte Abwrackprämie wieder aufzulegen – dann kaufen die Menschen Autos mit einem Verbrennungsmotor. Besser wäre es, mit den Mitteln die notwendige Infrastruktur und Anreize für mehr Elektromobilität zu schaffen. Oder den Umstieg auf E-Mobilität zu fördern. In der Energiewirtschaft stagniert der Ausbau der erneuerbaren Energien – hier wären dringend Investitionen wichtig.

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WELT: Wird sich durch Corona-Krise der Alltag der Menschen auf Dauer verändern?

Messner: Ganz sicher! Nehmen wir das Thema Homeoffice. Viele Menschen lernen ja gerade auch zu schätzen, was es heißt, mobil zu arbeiten und nicht jeden Tag 50 Kilometer zur Arbeit zu fahren. Die Basis für mobiles Arbeiten ist natürlich eine gute digitale Infrastruktur. Da hinkt Deutschland noch sehr stark hinterher. Mobile Arbeit hat aber ein riesiges Potenzial, um die Umwelt zu entlasten. Daher finde ich auch die Diskussion um eine Ausweitung mobilen Arbeitens wichtig.


WELT: Wenn vermehrt im Homeoffice gearbeitet wird, müssen Wohnungen dann nicht auch entsprechend gestaltet werden?

Messner: Wenn mehr Menschen auf Dauer zu Hause arbeiten, dann brauchen wir weniger Büroflächen – aber im Gegenzug auch genug bezahlbaren Wohnraum. Die Wohnungen müssen nicht unbedingt größer, aber sicherlich anders geschnitten sein. Wenn Personen mehr Zeit gemeinsam in einer Wohnung verbringen, muss es zum Beispiel mehr Rückzugsräume geben, um in Ruhe arbeiten zu können. Denn nicht jede und jeder kann sich den Luxus eines häuslichen Arbeitszimmers leisten. Der Couch- oder Küchentisch ist auf jeden Fall keine Dauerlösung.

Hubertus Heil will Recht auf Homeoffice einführen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das Recht auf Homeoffice im Gesetz verankern. Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll auch nach der Corona-Epidemie von zu Hause aus arbeiten können.