Viele Siedlungen befinden sich in der Nähe von Flüssen. Das bietet Vorteile wie Wasserversorgung, fruchtbare Böden oder Verkehrsanbindung, aber auch eine nachteilige Hochwassergefahr. Durch Renaturierungen können Überschwemmungsflächen zurückgewonnen und Hochwasserrisiken verringert werden.
Hochwasser sind natürliche Ereignisse. Sie entstehen aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Ausgangspunkt sind lange, großflächige Dauerregen oder kurzzeitige, kräftige Starkregenereignisse. Werden die anfallenden Wassermassen zu umfangreich, treten Flüsse und Bäche über die Ufer und überschwemmen die angrenzenden Flächen.
Diese Überschwemmungsflächen wirken als natürliche Retentionsräume, die große Mengen an Wasser aufnehmen und zurückhalten können. Wenn die Wassermassen naturnahe Auenlandschaften (z. B. Auwälder, Grünlandflächen) großflächig überfluten, verlangsamt sich der Hochwasserabfluss, Abflussspitzen werden gedämpft und Teilwellen zeitlich entzerrt. Dadurch werden flussabwärts liegende besiedelte Bereiche entlastet. Renaturierungsmaßnahmen des vorsorgenden Hochwasserschutzes (Siehe Vorsorgender Hochwasserschutz durch Renaturierungen) helfen dabei, einen natürlichen Hochwasserschutz in der Fläche umzusetzen und so Schäden an Gebäuden und Infrastruktur zu vermeiden.
Verlust an Retentionsraum und Veränderungen der Gewässerstruktur
Aus Respekt vor den Gefahren des Hochwassers siedelten die Menschen früher in Gebieten, die eine gewisse Sicherheit vor Überflutungen boten. Durch den wachsenden Platzbedarf seit dem 19. Jahrhundert wurde immer dichter am Flussufer gebaut. Auen wurden durch Dämme und Deiche von ihren Flüssen abgetrennt, besiedelt und landwirtschaftlich genutzt.
Durch die Eingriffe der Menschen sind die ursprünglichen Überflutungsflächen an Flüssen stark geschrumpft. Rund zwei Drittel aller Auenflächen an deutschen Flüssen sind heute verschwunden und nur 10 % der noch vorhandenen Flussauen sind in einem naturnahen Zustand (BfN 2015 & BfN 2016). Die übriggebliebenen Auenflächen können ihre Funktion als Retentionsraum für Hochwasser kaum noch wirksam erfüllen. Viele Flüsse haben nicht mehr die Möglichkeit, sich bei Hochwasser in ihre natürlichen Überschwemmungsflächen auszubreiten.
Zudem sind viele Flächen versiegelt und viele Flüsse und Bäche begradigt, eingetieft und ihre Ufer befestigt. Zusammen mit dem Verlust an Retentionsräumen bewirkt dieser technische Gewässerausbau eine Erhöhung der Abflussgeschwindigkeiten. Dadurch bleibt den Menschen immer weniger Zeit, sich auf die höheren, schnelleren und häufigeren Hochwasser einzustellen und vorzubereiten. Zudem steigt die Gefahr einer Überlagerung der Hochwasser von Haupt- und Nebengewässern, wodurch das Hochwasserrisiko zusätzlich erhöht wird.
Hochwasserrisikomanagement und Hochwasservorsorge
Da Hochwasser nicht vor Landesgrenzen Halt machen, hat auch die Europäische Union die Problematik von Hochwassern erkannt und 2007 einen einheitlichen Rahmen zur Verringerung der Hochwasserrisiken in Europa erstellt: die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (HWRM-RL). Ziel der Richtlinie ist es, die Auswirkungen von Hochwasser auf die menschliche Gesundheit, kulturelles Erbe, wirtschaftliche Tätigkeiten und die Umwelt so gering wie möglich zu halten. Die HWRM-RL setzt dabei nicht nur auf klassische, technische Schutzmaßnahmen (z. B. Bau von Deichen), sondern auch auf vorsorgenden bzw. naturnahen Hochwasserschutz.
Nach den verheerenden Hochwasserereignissen 2013 in Deutschland haben Bund und Länder im Jahr 2014 das Nationale Hochwasserschutzprogramm (NHWSP) erarbeitet (LAWA 2014, Buschhüter et al. 2018). Dieses Programm soll insbesondere die koordinierte Umsetzung von dezentraler Hochwasservorsorgemaßnahmen beschleunigen. Das große Ziel des Programms ist es, Flüssen wieder mehr Raum zu geben. Dazu sollen auch Synergien mit dem Naturschutz aufgetan und genutzt werden. Mehr dazu: Naturschutz und Gewässerentwicklung – ein schönes Paar.
Vorsorgender Hochwasserschutz durch Renaturierungen
Oberstes Ziel eines vorsorgenden Hochwasserschutzes ist es, den Hochwasserscheitel zu kappen. Technische Maßnahmen (z. B. Deiche, Hochwasserrückhaltebecken) leisten dabei einen wichtigen Beitrag. Mit Hochwasserrückhaltebecken an den Oberläufen und steuerbaren Flutpoldern weiter unterhalb lassen sich Scheitelwasserstände deutlich verringern. Der gesteuerte Rückhalt mittels Rückhaltebecken oder Polder ist die effizienteste Methode zur Beeinflussung einer Hochwasserwelle (Ellenrieder & Maier 2014). Solche Maßnahmen erfordern jedoch eine zuverlässige Vorhersage und reichen oftmals nicht aus, um Menschen und ihren Besitz zu schützen.
Durch immer höhere Deiche kann zwar der lokale Hochwasserschutz verbessert werden, jedoch werden die Probleme dadurch oft nur flussabwärts verlagert und die Gefahr für die Unterlieger verstärkt. Beim Hochwasserschutz gilt die bekannte Regel: Oberlieger schützen die Unterlieger. Deichrückverlegungen schaffen zusätzlichen natürlichen Retentionsraum (Mehr dazu: Helme: Renaturierung und technischer Hochwasserschutz).
Renaturierungen können den technischen Hochwasserschutz ergänzen (Strosser et al. 2015). Durch die Wiederverzahnung von naturnahen Fließgewässern und ihren Auen werden so natürliche Retentionsräume geschaffen. Hier gilt das "Gießkannenprinzip": Durch die Summe vieler – auch kleinerer – Renaturierungsmaßnahmen werden natürliche Überschwemmungsflächen dort geschaffen, wo Hochwasser entsteht: in den Oberläufen und den Zuläufen der großen Flüsse und Ströme.
Naturnahe Hochwasserschutzmaßnahmen im Gewässer und in der Aue
Heute ist ein Großteil der Fließgewässer und ihrer Auen nicht mehr in der Lage, Hochwasser zu speichern. Tief eingeschnittene, verbaute und begradigte Fluss- und Bachläufe können nur noch bei extremem Hochwasser über die Ufer treten und ihre Auen überfluten. Neben der Offenhaltung der Auenflächen von Bebauung und einer angepassten Nutzung der Auen gilt es die Gewässer so zu entwickeln, dass sie wieder frühzeitig über die Ufer treten und ihre Auen überschwemmen können. Dadurch können viele dezentrale hochwassermindernde Maßnahmen die lokale Retention von Hochwasser unterstützen. Sie sollten in großer Anzahl im gesamten betrachteten Einzugsgebiet umgesetzt werden, um eine deutliche Reduzierung der Hochwasserscheitel zu erreichen (DWA 2015). Mehr dazu: Renaturierung effektiver als Hochwasserrückhaltebecken an der Murg
Dezentrale Maßnahmen entfalten ihre Wirkung vor allem bei regional begrenzten Starkregenereignissen in den Einzugsgebieten kleiner und mittelgroßer Gewässer. Die Chance, Hochwasser mit dezentralen Maßnahmen zumindest abzumildern, ist bedeutend größer als mit größeren zentralen Maßnahmen, da diese häufig erst in den Mittel- und Unterläufen der Gewässer vorhanden sind und oberhalb dieser Bauwerke der Abfluss unverändert bleibt. (Johann 2018)
Renaturierungsmaßnahmen in Gewässern und Auen tragen auch dazu bei, dass Hochwasserwellen entlang ihres Fließwegs zeitlich verzögert und gemindert werden (Nilsson et al. 2018). Die prinzipielle Wirkung dieser Maßnahmen besteht in der Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch Schaffung möglichst vielfältiger Strukturen und Rauheitselemente. Bei ansteigendem Abfluss wird dadurch ein größeres Rückhaltevolumen aktiviert und der Abfluss aus einem Gewässerabschnitt gemindert.
Hochwassermindernde Renaturierungsmaßnahmen betreffen im Wesentlichen die Anbindung der Gewässer an ihre Aue. Dazu gehören z. B.:
Verlängerung des Gewässerverlaufs,
Verringerung des Längsgefälles,
Abflachung des Querprofils,
Sohlanhebung,
Diversifizierung der Ufer- und Sohlenstrukturen (z. B. Verbau entfernen, Steine und Totholz als Strömungslenker einbringen),
Etablierung hochwasserwirksamer Ufergehölze,
Wiederanbindung von Altarmen, Nebenrinnen und Flutmulden,
Rückbau von künstlichen Rückstauen und Herstellen einer naturnahen Abflussdynamik,
eigendynamische Entwicklung des Gewässers zulassen.
Dem Gewässerumfeld, also der Aue, werden in erster Linie Maßnahmen zur Nutzungsänderung und Schaffung naturnaher Auenstrukturen zugeordnet. Idealerweise werden Renaturierungsmaßnahmen am Gewässer mit solchen im Ufer- und Auenbereich kombiniert. Maßnahmen in der Aue, die mit Maßnahmen am Gewässer funktionell und planerisch eng verknüpft sein sollten, sind:
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