"Ein bisschen regional, das geht nicht!" Interview mit Sternekoch Simon Tress

"Ein bisschen regional, das geht nicht!" Interview mit Sternekoch Simon Tress

Das Fine-Dining-Restaurant "1950" des BIOSpitzenkochs Simon Tress in Hayingen, Baden-Württemberg, ist dieses Jahr nicht nur mit einem Grünen MICHELIN-Stern ausgezeichnet worden, sondern zusätzlich mit einem Roten Stern. Wie sich 99 Prozent Bio-Zutaten mit gehobener Gastronomie vereinbaren lässt, erzählt Simon Tress im Interview.

Sternekoch Simon Tress verbindet die traditionelle schwäbische Küche mit modernen Elementen und verwendet dabei ausschließlich Bio-Produkte, vorzugsweise aus der Region, möglichst vom familieneigenen Demeter-Hof. 1950 stellte sein Großvater Johannes Tress den Familienbauernhof auf ökologische Landwirtschaft nach Demeter-Richtlinien um und legte so den Grundstein für die Familientradition der Bio-Produktion und -gastronomie.

2008 gründete Simon Tress mit seinen drei Brüdern und seiner Mutter das Unternehmen "TressBrüder" , das neben verschiedenen Bio-Restaurants auch ein Hotel betreibt und verschiedene Bio-Produkte wie Suppen und Fertiggerichte herstellt.

Tress' Bio-Spitzenrestaurant "1950" ist weltweit das erste und einzige Fine-Dining-Restaurant, das 99 Prozent Bioland- und Demeter-Zutaten verwendet – bis auf das Salz – und vom Guide MICHELIN mit einem Roten Stern ausgezeichnet wurde. Neben Bio-Qualität ist Tress auch Regionalität wichtig: Alle Zutaten kommen aus einem Radius von 25 Kilometern.

Der Guide MICHELIN zeichnet Restaurants mit zwei verschiedenen Sternen aus: Während der Rote Stern für eine gehobene Küche mit gleichbleibender Qualität, frischen Zutaten, ihrer fachgerechten Zubereitung und geschmacklicher Finesse steht, legt der Grüne Stern den Fokus auf die Nachhaltigkeit der Gastronomie (zum Beispiel Herkunft und Transportwege der Produkte, Art ihres Anbaus, der Tierhaltung und der Verarbeitung).

Die Speisekarte im "1950" ist als CO2-Menü aufbereitet: Die Gäste erfahren bei jedem Gericht nicht nur die Herkunft der Zutaten, sondern auch den CO2-Ausstoß, der bei der Produktion anfällt, und wie viele Kilometer die Zutaten von den Erzeugerinnen und Erzeugern zum Restaurant zurückgelegt haben. Fleisch wird in Tress' Restaurant nur als Beilage serviert, die Stars des Menüs sind vegetarisch und vegan.

Interview mit Simon Tress

Oekolandbau.de: Seit 2021 sind Sie und Ihr Restaurant "1950" bereits mit dem Grünen Michelin-Stern ausgezeichnet. Wie wichtig war Ihnen die zusätzliche Auszeichnung mit dem Roten Michelin-Stern, den Sie dieses Jahr erhalten haben?

Simon Tress: Der Rote Michelin-Stern war nicht nur für mich, sondern für das gesamte Team, das mit mir im "1950" arbeitet, wirklich eine Überraschung. Auch wenn wir das "1950" ganz bewusst im Fine-Dining-Segment positioniert haben, war es nicht unser Ziel, einen Stern zu kochen.

Es geht uns TressBrüdern als Familie darum, das Unternehmen im Sinne unseres Großvaters, der 1950 die biodynamische Landwirtschaft gegen alle Widerstände eingeführt hat, konsequent nachhaltig zu entwickeln. Auch wenn wir nicht darauf hingearbeitet haben, ist der Stern natürlich für uns alle eine wahnsinnige Bestätigung für unser Tun und treibt uns an, unseren eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen!

Oekolandbau.de: Welche Zutaten kommen vom familieneigenen Bio-Hof?

Simon Tress: Praktisch das gesamte Gemüse und die Kräuter wachsen auf unseren eigenen Feldern beziehungsweise in unserem Gewächshaus. Allerdings betreiben wir selbst keine Landwirtschaft mehr. Unsere Felder werden pachtfrei von einer Demeter-Landwirtin bestellt, wir nehmen die gesamte Ernte ab. Der Fokus liegt dort natürlich auf der biodynamischen Landwirtschaft. Mein Leitspruch lautet "Die Natur macht den Teller" und nur, wenn wir die Natur so achtsam wie möglich behandeln, kann das Ergebnis auf dem Teller stimmen.

Oekolandbau.de: Sie beziehen Ihre Zutaten sehr regional, in einem Radius von 25 Kilometern. Wie ließ sich ein solches Netzwerk aufbauen und wie viel Zeit muss eine Köchin oder ein Koch in die Vernetzung mit Erzeugerinnen und Erzeugern stecken?

Simon Tress: Wir mussten vieles gar nicht neu aufbauen. Es war schlicht schon da. Dafür haben unsere Eltern bereits sehr früh den Grundstein gelegt. Was nicht von den eigenen Feldern kam, wurde dort eingekauft, wo es wächst. Möglichst nah an unserem Stammhaus "Rose" in Ehestetten. Als wir Brüder dann nach dem Tod unseres Vaters gemeinsam mit unserer Mutter das Unternehmen neu aufstellen mussten, habe wir uns auf genau diese Stärken konzentriert.

Oekolandbau.de: Ist das 25-Kilometer-Konzept etwas, das Sie als Zukunft der regionalen Bio-Küche sehen oder sich sogar wünschen?

Simon Tress: Es bringt meiner Meinung nach nichts, Konzepte zu kopieren. Dafür sind die einzelnen Regionen einfach zu verschieden. Ich wünsche mir, dass mehr und mehr Köchinnen und Köche den Wert einer regional ausgerichteten, nachhaltigen Gastronomie erkennen. Weil es geschmacklich noch so viel zu entdecken gibt, weil es sich unterm Strich rechnet und weil wir es unserem Planeten und unseren Kindern schuldig sind.

Oekolandbau.de: Wie kann die Nachhaltigkeitskommunikation in einem Bio-Restaurant funktionieren? Wie kommt beispielsweise die Angabe des CO2-Ausstoßes bei den Gästen an?

Simon Tress: Das funktioniert extrem gut. Wobei wir das am Anfang vielleicht auch etwas zu kompliziert gedacht haben. Der CO2-Ausstoß ist als Messgröße für den Gast nur schwer zu erfassen, weil am Tisch einfach der Vergleich zwischen einem Rinderfilet vom Großhandel und einem Stück 25-Kilometer-Fleisch fehlt. Wir fokussieren uns deshalb inzwischen darauf, unseren Lieferantinnen und Lieferanten ein Gesicht zu geben. Über kleine Kärtchen, die die Geschichte jeder Zutat und ihres Erzeugers beziehungsweise ihrer Erzeugerin erzählen. Das kommt extrem gut an.

Oekolandbau.de: Kommen inzwischen Restaurantgäste gezielt wegen des CO2-Menüs und des 25-Kilometer-Konzepts?

Simon Tress: Ja, das hat sich sehr schnell eingestellt. Wir haben inzwischen Stammgäste, die alle vier Menüs des Jahres genießen wollen.

Oekolandbau.de: Welche Chancen sehen Sie für Restaurants im Fine-Dining-Bereich, die ihren Bio-Anteil erhöhen wollen? Welche Hindernisse und Schwierigkeiten können auftauchen?

Simon Tress: Die Chancen sind gewaltig. Es gibt unendlich viel heimisches Obst, Gemüse und Getreide, das vor dem Hintergrund global verfügbarer Exotik in Vergessenheit geraten ist. Diese neu zu entdecken und den Gästen kulinarisch erlebbar zu machen, bietet wahnsinnig viele Möglichkeiten. Wer sich darauf neu einlässt, braucht vor allem Zeit. Und die Neugier, es richtig zu machen. Ein bisschen regional, das geht nicht!


Letzte Aktualisierung 16.07.2024

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