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Tödliches Ritual Inzucht im alten Mexiko: Blutsverwandte Eltern opferten ihr eigenes Kind

Ausgrabungsstätten in Paquimé, Mexiko
Zwischen 1200 und 1450 war Paquimé, heute im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua gelegen, ein multikulturelles Zentrum mit weitläufigen Handelsverbindungen. Die Überreste zeugen von dem einstigen Wohlstand – und rituellen Menschenopfern
© HJPD/Own Work/Wikimedia Commons
Forschende haben ein 700 Jahre altes Kinderskelett aus der Siedlung Paquimé in Mexiko untersucht und herausgefunden: Die Eltern des Jungen waren blutsverwandt – und zeugten das Kind möglicherweise, um ihren sozialen Status im Ort zu festigen

Sie opferten Menschen, um die Götter zu beschwichtigen: Zahlreiche frühe Kulturen Mittelamerikas kannten religiöse Rituale, in denen Kinder oder Erwachsene getötet wurden – so auch in der nordmexikanischen Stadt Paquimé. Hier hat eine Gruppe von Forschenden nun einen außergewöhnlichen Fund untersucht: das Skelett eines Jungen, der im 14. Jahrhundert im Fundament eines Kultgebäudes begraben worden war – und dessen Eltern enge Blutsverwandte waren.

Die jüngst im Fachjournal "Antiquity" veröffentlichten Ergebnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Archäologen Jakob Sedig von der Harvard University geben neue Einblicke in die Tradition der Menschenopfer und die Gesellschaft Paquimés.

Der Junge wurde wahrscheinlich mit einem Schlag auf den Kopf getötet

Im 13. und 14. Jahrhundert war die Siedlung, gelegen zwischen dem Gebiet der Ancestral Publoans im Norden und mesoamerikanischen Gesellschaften im Süden, ein aufstrebendes, multikulturelles Zentrum mit großen Wohnkomplexen aus Lehmziegeln, einem Aquädukt zur Wasserversorgung und mehreren Plätzen für das rituelle Ballspiel Pok-ta-Pok

In den Überresten Paquimés konnten Archäologinnen und Archäologen in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von menschlichen Skeletten bergen, darunter im "Haus des Brunnens", benannt nach einer begehbaren, unterirdischen Brunnenanlage. 

Offensichtlich war dieses Anwesen der Elite Paquimés vorbehalten, denn Forschende fanden hier Millionen Meeresmuscheln, importierte Schalen, Pfeifen, die Knochen geopferter Aras und rituelle Gegenstände. Tief im Boden, im Fundament eines massiven Holzstützpfeilers, war das Skelett eines Kindes auf einer Sandsteinscheibe niedergelegt. Spuren am Schädel weisen darauf hin, dass der Junge – zwei bis fünf Jahre alt – mit einem Schlag getötet worden ist. Forschende gehen davon aus, dass das Kind als Gründungsopfer für den Kultbau diente, eine durchaus verbreitete Tradition mesoamerikanischer Gesellschaften. 

Die nun von Jakob Sedig und seinem Team durchgeführten Genanalysen zeigen, dass das geopferte Kind in Paquimé aufwuchs, also nicht etwa gemeinsam mit Kriegsgefangenen in den Ort gebracht wurde. Mehr noch: Die Eltern des geopferten Kindes waren eng verwandt. Vermutlich handelte es sich um "Halbgeschwister, Onkel und Nichte, Tante und Neffe oder Großelternteil und Enkelkind", schreiben die Forschenden. 

Waren Beziehungen zwischen Blutsverwandten in Paquimé schlicht kein Tabu? War das Kind aus einer verbotenen Beziehung hervorgegangen? Unter Gewalt und Zwang? Oder wussten die Eltern nichts von ihrer engen genetischen Verwandtschaft? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten anderes: "Die Opferung eines Kindes, das von zwei Menschen aus einem lokalen, elitären Geschlecht stammt, könnte ein wirkungsvolles Mittel gewesen sein, um das ‚Haus des Brunnens‘ zu weihen und soziales, politisches und rituelles Ansehen zu steigern."

Inzucht: Ein Mittel, um die eigene Macht zu sichern?

Auch in anderen Kulturen, etwa im alten Ägypten oder im Perserreich, sind Geschwisterehen belegt: Gesellschaftliche Eliten hätten mit gezielten Tabubrüchen wie Inzucht ihren sozialen Status, außerhalb sozialer Normen zu stehen, unterstrichen und sich so eine Aura der Macht und Unantastbarkeit verliehen, schreiben die Forschenden. Möglicherweise, so schlussfolgern Jakob Sedig und sein Team, wollten auch die Eltern des geopferten Kindes ihre Machtstellung in Paquimé und ihren Einfluss über das "Haus des Brunnen" – und damit den Zugang zu rituellen Zeremonien und Wasser – mit ihrer Beziehung absichern. 

Damit lassen die Ergebnisse der Genanalyse auch Rückschlüsse auf das soziale Leben in Paquimé zu: Die Gesellschaft war hierarchisch aufgebaut, und es gab eine Elite, "die möglicherweise versuchte, ihre Macht zu konsolidieren, indem sie Paare von nahen Verwandten zusammenbrachte", schreiben die Forschenden. 

Um 1450 endete die Blütezeit Paquimés – warum, ist bis heute unklar. Fast 100 Skelette wurden nicht bestattet zurückgelassen; viele weisen Spuren von Gewalt, Hunger oder Krankheit auf.

mop

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