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Seine-Hochwasser Ein Bild und seine Geschichte: Als Paris den Wassermassen trotzte

Menschen rudern in Booten 1910 in Paris
Kanal statt Straße: Das Seine-Hochwasser 1910 setzt ganze Stadtviertel unter Wasser. Die Aufräumarbeiten dauern Monate
© akg-images
Im Januar 1910 überflutete die Seine die Stadt Paris in bis dahin ungekannten Ausmaßen: Straßen verwandelten sich in Kanäle, die Menschen mussten sich mit Booten durch die Stadt bewegen. Besonders bedrohlich: Im Wasser trieben Fäkalien und Müll

Hier geht es nur noch im Boot voran: Die Einwohnerinnen und Einwohner von Paris rudern von Haus zu Haus, so hoch steht das Wasser. Müll, Zeitungspapiere und Holzreste schwimmen in der trüben Brühe. Für Pferdekutschen gibt es kein Durchkommen.

Nach schweren Regenfällen ist die Seine, die Lebensader von Paris, im Januar 1910 über die Ufer getreten – und verwandelt die Straßen der Stadt in Kanäle. Das "Jahrhunderthochwasser" legt das öffentliche Leben nahezu komplett lahm. Manche der Pariser Arrondissements stehen sechs Wochen lang unter Wasser.

Bei dem Hochwasser an der Seine werden mehr als 10.000 Häuser überflutet

In den Jahrhunderten zuvor hatten Seine-Hochwasser mehrfach schwere Schäden in der französischen Hauptstadt angerichtet. 1658 etwa rissen Fluten mehr als ein Dutzend Häuser mit. In den Jahren 1684 und 1708/09 erschütterte treibendes Eis manche Seine-Brücken derart, dass sie abgerissen werden mussten. Kein Hochwasser jedoch brannte sich so sehr in das kollektive Gedächtnis von Paris ein wie jenes im Jahr 1910 – auch, weil erstmals Fotos das Ausmaß der Katastrophe festhielten.

Bereits den Herbst und Winter 1909 hindurch hatte es in Paris ungewöhnlich viel geregnet. Am 20. Januar schließlich muss die Schifffahrt eingestellt werden, weil die Boote nicht mehr unter den Brücken hindurch fahren können. In den folgenden Tagen steigt der Wasserpegel auf 8,62 Meter. 

Menschen laufen über Holzgerüste über Wassr
Auf Holzgerüsten über das Hochwasser: Mit solch behelfsmäßigen Brücken versuchten die Behörden 1910, den Alltag trotz der Katastrophe aufrecht zu erhalten
© akg-images

Besonders verheerend: Das Wasser der Seine drückt auch aus überlaufenden Abwasserkanälen und U-Bahn-Tunneln nach oben, und erreicht so auch Gebiete fernab des Flusses. Zudem überflutet es Tausende Senkgruben, in denen Hausbewohner Küchenabfälle und Fäkalien entsorgt hatten. Die Wassermassen verteilen den Unrat über die ganze Stadt – und damit Krankheitserreger wie Typhus und Scharlach. Obwohl sich Krankheitsfälle in den folgenden Tagen mehren, bleibt eine Seuchenkatastrophe aus.

Die Metro stellt ihren Betrieb ein, immer wieder fällt die Elektrizität aus. Weit mehr als 10.000 Gebäude werden geflutet, Polizisten und Feuerwehrleute evakuieren Zigtausende Einwohnerinnen und Einwohner mit Booten und Flößen, bringen sie in Turnhallen und anderen Gebäuden unter. Schließlich lässt die Stadtverwaltung an manchen Kreuzungen Holzstege errichten, über die die Menschen die Fluten passieren können. 

Bis zum 28. Januar hält das Hochwasser an, auf ihren Normalstand fällt die Seine aber erst im März zurück. Im April fährt die Metro wieder. Die Naturkatastrophe fordert zwar nur wenige Tote, doch die materiellen Kosten sind gewaltig: Nach heutigem Wert richtet das Hochwasser einen Sachschaden von umgerechnet rund 1,6 Milliarden Euro an.

Auch danach trat die Seine wiederholt über die Ufer: Erst 2016 schwoll sie auf einen Pegel von 6,10 Meter an. 13.000 Haushalte wurden evakuiert, mehrere Personen starben. Und nur zwei Jahre später mussten wiederum 15.000 Personen ihre Wohnung verlassen, mehrere Bahnhöfe wurden gesperrt.

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