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von GEO EPOCHE

Geschichte des Showbusiness Harry Houdini: Der Magier, der den Starkult entfesselte

Harry Houdini posiert gefesselt und im Badeanzug am Ufer des Charles River, Boston. Im Hintergrund eine Menschenmenge.
Boston 1906. Gebannt erwartet die Menge, dass Harry Houdini sich in den Charles River stürzt - in Ketten. Große Nervenkitzel-Auftritte wie dieser begründen den Ruhm des Entfesselungskünstlers
© Bettmann / Getty Images
Harry Houdini, geboren vor 150 Jahren am 23. März 1874, ist der berühmteste Zauberer seiner Zeit – und einer der ersten globalen Superstars. Atemberaubend, tollkühn. Zugleich ein berechnender Selbstvermarkter, raffinierter Trickser. Und leidenschaftlicher Feind allen Glaubens an übersinnliche Mächte

Der Mann lässt sich gefesselt in eine Kiste legen, diese zunageln, verschnüren und im New Yorker East River versenken – um Minuten später wohlbehalten aus dem Fluss aufzutauchen. Er windet sich kopfüber an einem Kran hängend aus einer Zwangsjacke, befreit sich von Handschellen, Ketten und Schlössern aller Art. Lässt vor den Augen des Publikums nicht etwa Kaninchen verschwinden, sondern gleich einen ganzen Elefanten.

Der größte Stunt dieses Zauberkünstlers aber ist die Verwandlung des mittellosen Migrantenkindes Erik Weisz in Harry Houdini, einen der gefragtesten Showstars seiner Zeit: der eigene, wundersame Weg vom kleinen Niemand zum "Großen Houdini".

Zirkusleute als Lehrer – und ein Betrüger

Erik Weisz wächst als Sohn bitterarmer ungarischer Einwanderer zwischen dem Mittleren Westen der USA und New York heran. Früh zieht es ihn zum Zirkus, als Kind lernt er am Trapez, als Jugendlicher Zaubertricks, nimmt einen klingenden Künstlernamen an, Harry Houdini. Mit 19 heiratet er Bess Rahner, eine Varietétänzerin, seine große Liebe.

Das Paar tritt als "The Houdinis" auf, zeigt teils komödiantische Karten- und Hellsehertricks. Jahrmarktstandards, hartes Brot. Bis Houdini von einem professionellen Betrüger eine erste Entfesselungsnummer lernt. Bald lässt er sich von Polizisten öffentlich Handschellen anlegen – und steht Augenblicke später mit freien Händen da.

Ein Varietémanager, dem das gefällt, bucht Houdini für seine Unterhaltungstheater, eine Kette mit Häusern in etlichen großen Städten der USA. Houdini hat Erfolg, und 1900 erhält er die Chance zu einer ausgedehnten Tournee durch Europa.

Harry Houdini erlebt seinen Durchbruch in Europa

In Russland entkommt er aus einer mit Blech ausgeschlagenen Transportkutsche, wie sie Verbannte nach Sibirien schafft. In Essen öffnet er ein Originalschloss der Reichsbank. Er verzaubert das Publikum im Dresdner Central-Theater, im ausverkauften Berliner Wintergarten-Varieté.

Derweil werden die Nummern spektakulärer, gewagter, auch moralisch: Oft steht Houdini in Ketten geschnürt, ansonsten nackt auf der Bühne, zum Beweis, dass er keine Schlüssel, Feilen oder anderes Werkzeug versteckt. 1904 ist er zurück in den USA; drei Jahre später springt er in Rochester gefesselt von einer Brücke in einen Fluss – gefilmt von einer Cinematographen-Kamera.

Da ist Harry Houdini bereits eine Berühmtheit. Tausende säumen das Ufer, sind auf die Stahlträger der Brücke geklettert. Jubeln ekstatisch, als ihr Held den Kopf durch die Wasseroberfläche stößt, die befreiten Arme zeigt.

Risiko und Reklame

Um das Drama abermals zu steigern, führt er seine Künste an Hochhäusern hängend vor. Er lässt sich kopfüber in eine "Chinesische Wasserfolter-Zelle" versenken oder vor eine Kanone binden, die nach 15 Minuten von einem Zeitzünder abgefeuert wird. Und kann sich, natürlich, stets retten.

Houdini hat zwei Dinge so klar erfasst wie seinerzeit wenige. Erstens, Verblüffung reicht nicht. Die Menschen wollen mehr. Sie wollen überwältigt werden, sich grausen, Angst erleben und Erlösung. Das 20. Jahrhundert ist sensationshungrig, aufgeregt, ein Zeitalter des Nervenkitzels, der Erotik, der Massenunterhaltung durch immer neue Kicks.

Zweitens breiten sich Journale und Zeitungen, Fotografien und erste Filme rasant aus, sind grelle Werbeplakate allgegenwärtig. Wer diese Mittel zu nutzen versteht, kann ungeheuer berühmt werden. Reich. Ein, wie es nun heißt, "Star", der plötzlich am Himmel der Gesellschaft erscheint.

Der Magier begreift die neuen Medien intuitiv, platziert im großen Stil Werbung, gibt bereitwillig Interviews, lässt sich bei jeder Gelegenheit ablichten, spielt in Stummfilmen mit. Bald strömen zu seinen Live-Stunts Tausende, ja Zehntausende Zuschauer – was wiederum Schlagzeilen macht.

Ein Star hebt ab

Houdini füllt riesige Hallen, wird zu einem Namen, den jeder kennt. Selbst US-Präsident Woodrow Wilson gilt als Fan, äußert angeblich Bewunderung für den Mann, der aus jeder Zwangslage herausfinde. 1920 verzeichnet ein Wörterbuch für diese Gabe ein neues Verb: "to houdinize", houdinisieren.

Houdini hält sich hoch in der Luft mit wehenden Haaren auf der Tragfläche eines alten, kleinen Flugzeugs fest.
Actionheld: Auch im Film zeigt sich Houdini als Meister aussichtsloser Situationen. Hier in Irvin Willats The Grim Game ("Böses Spiel", 1919)
© John Springer Collection / Corbis / Getty Images

Ein Star ist eine Mischung aus Vertrautheit und Geheimnis. Jeder soll über ihn oder sie Bescheid wissen – und mit anderen über verborgene Seiten rätseln, Gerüchte, Unaufgedecktes. Manche betrachten Houdini als den ersten Superstar der USA, angesichts seiner fortgesetzten Auftritte in Europa als Weltstar: Man kennt ihn nackt, man kennt seine bezaubernde Frau und Assistentin, man kennt seine Acts und seine Geschichte (die er freilich reichlich mit Legenden ausschmückt).
Zugleich aber bewahrt der Magier eisernes Stillschweigen über seine Tricks. Selbst nach seinem Tod wird es zu den Entfesselungen, erst recht dazu, wie vor Hunderten Zeugen ein Elefant verschwinden kann, zwar üppige Spekulationen geben. Jedoch kaum eine stichfeste Erklärung.

Ghostbuster

In einem indes ist Houdini kompromisslos offen: Er handelt mit Tricks. Mit Illusionskunst. Bühnenmagie, Entertainment. Nicht mit übersinnlicher Macht. Derlei Spukgeschichten will er nicht hören, enttarnt vielmehr vermeintliche Geisterseher als Scharlatane, bekämpft besonders den modischen Spiritismus.

Und lässt darüber sogar Freundschaften wie die mit dem britischen Autor Arthur Conan Doyle zerbrechen. Denn der Sherlock-Holmes-Erfinder Doyle glaubt nicht nur an Feen und die Weissagungen spiritistischer Medien – er spricht auch Houdini selbst übernatürliche Kräfte zu. Der reagiert nicht geschmeichelt, sondern genervt. "My brain is the key that sets me free", sagt er immer wieder: "Mein Verstand ist der Schlüssel, mit dem ich mich befreie."

Sein Erfolg basiert nicht auf Hexenwerk, sondern auf Show- und Marketingtalent, Erfindungsreichtum, harter Arbeit. Nach endlosen Geschicklichkeitsübungen vermag er eine Nähnadel mit den Zehen einzufädeln; dank unablässigem Training sprengt er manche Zwangsjacke mit roher Körperkraft.

Der verletztliche Super-Körper

Houdini ist denn auch stolz auf seinen trainierten Körper. Zeigt ihn gern. Lässt sich brutal in den Unterleib boxen und hält den Schlägen allein mit Bauchmuskelkraft stand. Da wird ihm Ende Oktober 1926 diese eher harmlose, beiläufige Nummer zum Verhängnis.

Ein Bewunderer sucht Houdini in der Garderobe auf und versetzt dem Muskelzauberkünstler einige Hiebe auf den Sixpack, vermutlich einvernehmlich. Zwar leidet Houdini bereits vorher unter Bauchschmerzen, will es aber nicht zugeben, tritt anschließend weiter auf. Einige Tage später bricht er zusammen. Eine Blinddarmentzündung, die wohl unter den Schlägen aufgerissen ist, ihn eitrig vergiftet. Zwei Notoperationen helfen nicht mehr. Am 31. Oktober 1926 stirbt Erik Weisz alias Harry Houdini in einem Krankenhaus in Detroit. Er ist 52 Jahre alt.

Acht Männer in dunklen Anzügen tragen Harry Houdinis blumenbedeckten Sarg durch eine Straße in New York
New York, 1926. Vertreter der Zauberkünstler-Zunft tragen Harry Houdinis Sarg von der Aufbahrungskapelle zum Leichenwagen. 
© George Schmidt / NY Daily News Archive / Getty Images

Stars sind unsterblich

Noch einmal strömen die Menschen scharenweise herbei, um in einer Kapelle auf New Yorks Upper West Side Abschied zu nehmen. Ihr Idol liegt aufgebahrt in einem glänzenden Bronzesarg, eigens angefertigt für einen Bühnentrick. Und natürlich witzelt später einer der Sargträger: "Ich wette, dass er nicht mehr drin ist." 

Houdini hinterlässt eine Sammlung von Tausenden Schlössern, Handschellen, Fußeisen, Zwangsjacken, Foltergeräten, ja einen elektrischen Stuhl. Manches lässt sich nun erklären: Ketten mit losen Gliedern; Schlösser, die nur scheinbar richtig zuschnappen; Kisten, deren Riegel man von innen mit einem Magneten aufschieben kann.

Anderes aber ist so ausgefuchst, dass der Mechanismus sich auch bei nächster Betrachtung nicht erschließt. Die Spannung zwischen Prominenz und Geheimnis dauert fort – und inspiriert seither immer neue Spekulationen, Biographien, Filme, Musicals.
Dergestalt bleibt Harry Houdini, der die Welt der modernen Massenunterhaltung mit hervorgebracht und geprägt hat, dieser Welt auch nach seinem Tod erhalten. Auf wunderbare, aber gänzlich diesseitige Weise. Mithilfe des Star-Tricks.

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