Um sieben Uhr morgens beginnt Meister Hans Haselbach im Schloss Wolmirstedt in Sachsen mit seiner Arbeit. Zuerst bindet er die Wirtin Catharina Ebelings nackt auf einer Streckleiter fest und legt ihr Beinschrauben an: zwei Eisenplatten um Wade und Schienbein, verbunden mit Schraubzwingen. Dann dreht der Scharfrichter die Platten mit einem Gewinde zusammen, quetscht das Bein der Frau – und fordert sie auf, ein Geständnis abzulegen. Eine Hexe soll Catharina Ebelings sein, so der Vorwurf im Jahr 1663.
Doch die Gefolterte gesteht nicht. Nach 45 Minuten bewirft Meister Hans sie mit brennenden Schwefelkerzen und treibt ihr glühende Kienspäne zwischen die Zehennägel. Eine Stunde später zieht er die Frau, die Hände hinten verbunden, auf der Leiter auf, überdehnt ihre Arme und fügt ihr unsägliche Schmerzen zu. Dann greift der Scharfrichter erneut zu den Schwefelkerzen und versengt an Catharina Ebelings Körper "alle Haare an heimblichen Orthen", hält der Amtsschreiber fest.
Als die Verdächtige immer noch kein Geständnis ablegen will, sieht der Scharfrichter nur noch einen Ausweg: den Pfarrer. Dieser warnt die Geschundene vor ewiger Verdammnis in der Hölle, sollte sie nicht endlich gestehen. Und tatsächlich: Ebelings erklärt nun, sie "wolle gerne eine Hexe sein, und sich brennen lassen".
Folterinstrumente wurden im Mittelalter zuerst in Italien angewendet
Über Jahrhunderte hinweg war die Folter für Gerichte ein unverzichtbares Mittel, um Verbrechen aufzuklären. Scharfrichter haben mit Folterinstrumenten gewaltsam Geständnisse aus Verdächtigen herausgepresst – und so ungezählte Menschen auf den Scheiterhaufen und an den Galgen gebracht. Auch deshalb steht die Folter bis heute sinnbildlich für das "finstere" Mittelalter. Doch wie hat dieses "Verfahrensmittel" wirklich funktioniert – und was ist nur Mythos?
Die Ursprünge der gerichtlich angeordneten Tortur mittels Foltergeräten liegen im Hochmittelalter: Im 13. Jahrhundert kam sie zunächst in Oberitalien zur Anwendung und verbreitete sich rasch über ganz Europa. "In jener Zeit fanden epochale Veränderungen im Beweis- und Verfahrensrecht statt", sagt Dr. Markus Hirte, Jurist, Rechtshistoriker und Direktor des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber.
Bis dahin galt weithin: Ein Geschädigter musste den Täter in einem Prozess auf eigene Kosten und eigenes Risiko überführen. Zur Wahrheitsfindung vertrauten frühmittelalterliche Gesellschaften vor allem auf das Gottesurteil, etwa den Zweikampf mit dem Schwert. Wer das Duell mit Gottes Hilfe gewann, war Sieger des Rechtsstreits. Im Hochmittelalter dagegen begannen Obrigkeiten zunächst in den wachsenden Städten, von Amts wegen gegen Verdächtige zu ermitteln. Zugleich rückten Zeugenaussagen sowie das Geständnis ins Zentrum des Beweisverfahrens.
"Die Entwicklung der Folter kann man nur verstehen, wenn man sich das christliche Weltbild unserer Vorfahren vor Augen führt; vor allem die zentrale Rolle des Geständnisses", sagt Hirte. Der Bibel (Lk. 23,42) zufolge kann auch einem Verbrecher nach seinem Tod der Weg in den Himmel gelangen – wenn er denn sein Vergehen gesteht und bereut. Umgekehrt konnte ein Fehlurteil – ein Richter, der einen Unschuldigen mit der Todesstrafe belegt – den Weg in die Hölle bedeuten. Auch deshalb galt es, den tatsächlichen Täter zu ermitteln.
Dafür wurde die Folter zum zentralen Instrument. "Die Vorstellung, dass bei jedem kleinen Vergehen wild und bis zum Tod drauf los gefoltert wurde, ist allerdings ein Klischee", sagt Rechtshistoriker Hirte. "Die Folter ist als verfahrensrechtliche Ausnahme konzipiert worden." Die spätmittelalterlichen Quellen legten jedoch nahe, dass die Folter und Todesstrafen dieser Zeit derart exzessiv angewendet worden seien, dass die Obrigkeiten regelnd eingriffen. In der Frühen Neuzeit ab dem 16. Jahrhundert begannen Gesetze und Gerichte schließlich immer stringenter festzulegen, wann, unter welchen Umständen und wie lange ein Scharfrichter zur Tortur mit den Foltergeräten greifen durfte.
Mit der Carolina im Jahr 1532 regelte erstmals ein bedeutendes Strafgesetz im Heiligen Römischen Reich die Folter. Sie band diese an Indizien, etwa einen glaubhaften Augenzeugen oder beim Diebstahl das Auffinden des Diebesguts beim Verdächtigen. "Natürlich wurden Zeugen befragt und ihre Aussagen geprüft", sagt Hirte. "Eine unliebsame Person in die Folterkammer zu bringen, war nicht ohne Weiteres möglich." Auf falsche Beschuldigungen konnte eine Gefängnisstrafe stehen.
Die Folter musste unter Aufsicht stattfinden
Die Carolina legte auch fest, dass unter Folter geständige Personen ihre Tat in zeitlichem Abstand vor dem Richter erneut gestehen mussten – sonst durfte das Gericht kein Todesurteil fällen und eine Hinrichtung erwirken. So widerrief die von Meister Hans Haselbach malträtierte Catharina Ebelings 1663 ihr Geständnis nach der Folter sogleich – und landete nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern wurde verbannt. (Allerdings war es zulässig, nach dem Widerruf des Geständnisses erneut zur Folter zu schreiten.)
Die Tortur unterlag einer Aufsicht, etwa durch einen Richter oder Schöffen sowie einen Schreiber, der Protokoll führte sowie meist von zwei Augenzeugen, die überwachten, dass der Scharfrichter mit seinen Folterinstrumenten nicht das ihm vom Gericht vorgegebene Foltermaß überschritt. Wer zu Unrecht gefoltert wurde, konnte gegen die Obrigkeit gerichtlich vorgehen. Der Scharfrichter war angehalten, dem Verdächtigen möglichst keine bleibenden Schäden zuzufügen. "Sicherlich kam es auch zu Verstößen dieser Regeln, aber das war keinesfalls der Normalfall", sagt Hirte. Überliefert sind zahlreiche Prozesse, in denen Stadträte einschritten: In Nürnberg etwa kritisierten sie 1555 den Scharfrichter, weil er die Daumenschrauben zu sehr geschärft und den Gefolterten übermäßige Schmerzen bereitet habe.
Daumenschrauben und Streckbank als übliche Foltergeräte
Zum Einsatz kam die Folter vor allem bei Kapitalverbrechen, etwa Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung oder Hochverrat. "Solche Verbrechen machten auch damals die Minderheit in der ‚Kriminalitätsstatistik‘ aus und insofern standen Torturen keineswegs permanent auf der Tagesordnung", sagt Hirte. Eine Ausnahme seien Zeiten der großen Hexenprozesse wie zeitweise im 17. Jahrhundert gewesen, als Gerichte mittels Tortur massenhaft vermeintliche Hexen überführen und eine Hinrichtung erwirken wollten.
Dem Scharfrichter standen verschiedene Foltergrade und Folterinstrumente zur Verfügung, die vorab von einem Gericht angeordnet wurden. Zunächst führte der Scharfrichter den Verdächtigen in der Verhörraum, band ihn auf einem Stuhl fest, erläuterte die Marterinstrumente möglichst drastisch oder legte sie an. Brachte dies kein Geständnis, griff er zu physischer Gewalt: Zur mildesten Form gehörte das Anziehen der Daumen- oder Beinschrauben. Späte Gesetzesbücher wie die Theresiana von 1768 schrieben fest, dass der Scharfrichter die Schrauben so weit drehen durfte, bis das Blut zwischen Nagel und Nagelbett hervorschoss.
Anschließend fesselte der Scharfrichter den Angeklagten auf eine Streckbank: Er fixierte die Füße an dem einen Ende, band die Hände hinter dem Rücken zusammen und zog sie mittels einer Winde nach hinten. Dadurch wurden Arm- und Schultermuskulatur überdehnt, Hand- und Armgelenke ausgerenkt, die Durchblutung der Arme gestört.
Der "Trockene Zug" war die härteste aller Foltermethoden im Mittelalter
Als schwerste Form der Folter stand dem Scharfrichter der Trockene Zug zur Verfügung, auch "Aufziehen" genannt: Er zog den Verdächtigen – die Hände hinter dem Rücken gefesselt – mit einer Seilwinde in die Höhe. Um die Schmerzen zu steigern, konnte er Steingewichte an dessen Füße befestigen. Die Folge: Arme wurden nach hinten ausgehebelt, was zu einem Muskelabriss führt, der schmerzhafter als ein Knochenbruch ist.
Überliefert sind auch Folterknechte, die Angeklagten zusätzlich mit brennenden Schwefelfedern bewarfen oder deren Achselhaare abbrannten. In Bamberg wurden Verdächtige zudem mit einer kochend heißen Kalklösung verätzt. "Trotz dieser Qualen haben erstaunlich viele Gefolterte kein Geständnis abgelegt, je nach Ort und Zeit teils bis zu 50 %, sagt Hirte, "und sind wieder auf freien Fuß gekommen."
Die "Eiserne Jungfrau" ist ein Mythos
Ein Mythos ist berüchtigte Eiserne Jungfrau, ein Sarkophag mit Stacheln im Inneren, die das Opfer angeblich langsam durchbohrten, bis es qualvoll verblutete. Dieses Instrument wurde allerdings erst im 19. Jahrhundert erfunden – als Gruselattraktion für vermeintlich mittelalterliche Folterkammern. Zum Einsatz kam die Eiserne Jungfrau nie.
An der Praxis der Folter regte sich von Anfang an Kritik. "Auch im Mittelalter wussten die Menschen: Wenn man einer Person lange genug Schmerzen zufügt, gesteht sie womöglich Taten, die sie gar nicht begangen hat", sagt Hirte. "Aber man sah einfach keine andere Möglichkeit, Verbrechen aufzuklären." Insofern sei die Folter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit für die meisten Menschen schlicht eine Notwendigkeit gewesen.
Die Jagd nach einem Geständnis führte auch zu kreativen Ansätzen: Als Alternative zur Folter empfahl die Zwickauer Stadtrechtsreformation Mitte des 16. Jahrhunderts, einen Gerichtsknecht zum Gefangenen zu schicken, der sich mit dem Verdächtigen betrinken sollte – um ihn in Redelaune zu bringen und ein Geständnis zu entlocken.
Ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Folter in deutschen Landen eingeschränkt und schließlich aufgehoben: In Braunschweig-Wolfenbüttel kam sie 1771 letztmalig zur Anwendung, in München 1796, in Hannover wurde sie 1822 abgeschafft. "Damals haben sich in Europa ein neues Beweisrecht, ein neues Strafverfahren und andere Strafen durchgesetzt und es bildete sich langsam eine moderne Kriminalistik", sagt Rechtshistoriker Hirte. Richter fällten Urteile häufiger auf Verdacht hin – statt der Todesstrafe vermehrt Zuchthaus- oder Arbeitsstrafen. Hirte: "Man brauchte die Folter und das unter ihr erpresste Geständnis in Europa nicht mehr."