Anzeige

Asteroiden-Abwehr Ein Trabant aus Trümmerteilen: So entstand die NASA-Zielscheibe Dimorphos

Sonde fliegt auf Felsbrocken zu
Illustration der Dart-Sonde mit Kurs auf Dimorphos. Kurz vor dem Einschlag schickte sie Bilder der Oberfläche zur Erde
© NASA/Johns Hopkins APL/Steve Gribben
Vor zwei Jahren stürzte eine Raumsonde in den Mond des Asteroiden Didymos, um ihn vom Kurs abzubringen. Nun gibt es neue Erkenntnisse zur Geschichte und Beschaffenheit beider Himmelskörper. Mit ihrer Hilfe lassen sich künftige Missionen zur Rettung der Erde präziser planen

Am 26. September 2022 schlug die NASA-Sonde "Dart" auf dem Asteroiden Dimorphos ein. Der 151 Meter große Himmelskörper hat die abgeflachte Form einer Schokolinse und kreist als Mond um seinen größeren Gefährten Didymos. Die Kamikaze-Aktion war von langer Hand geplant: Sie diente als Testlauf für die Ablenkung eines Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde. Der Aufprall der Sonde schleuderte tonnenweise Staub und Steine ins All. Und er hatte spektakuläre Langzeitfolgen. Dimorphos benötigt inzwischen 33 Minuten weniger, um seinen großen Gefährten zu umrunden. 

Simulationen legen nahe, dass die Wucht des Einschlags keinen Krater hinterließ, sondern den Asteroiden in Gänze umformte. Dass eine Sonde von der Größe eines Kühlschranks dazu in der Lage ist, liegt an der Beschaffenheit des Himmelskörpers. Didymos und Dimorphos sind vermutlich Schutthaufen – lose Verbünde aus Staub und Stein, die durch die schwache Anziehungskraft ihrer eigenen Masse zusammengehalten werden. 

Um eine künftige Abwehrmission präzise planen zu können, müssen Astronominnen und Astronomen nicht nur die Folgen des Einschlags studieren, sondern auch genau wissen, welche Eigenschaften ihr Ziel besitzt. Nur so lassen sich Rechenmodelle entwickeln und validieren. Die nötigen Messdaten zu Didymos und Dimorphos soll die ESA-Sonde Hera liefern, die im Oktober 2024 zu dem Asteroidenpaar aufbricht. 2026 wird sie das Doppelsystem genau unter die Lupe nehmen, hochauflösende Bilder liefern und via Spektrometer die chemische Zusammensetzung bestimmen. Ein Kleinstsatellit namens Juventas soll Dimorphos außerdem mit Radarwellen durchleuchten und schließlich auf seiner Oberfläche landen, um das Schwerefeld des kleinen Mondes zu vermessen. 

Auch Dart hatte vor ihrem gewaltsamen Ende Bilder von Didymos und Dimorphos zur Erde geschickt, genau wie der italienische Kleinstsatellit LICIACube, der das Spektakel aus sicherer Entfernung beobachtete. Mithilfe der verfügbaren Daten gingen fünf Forschungsteams den Eigenschaften und der Entstehungsgeschichte der Himmelskörper auf den Grund. Ihre Ergebnisse sind nun im Fachjournal "Nature Communications" erschienen. Sie analysierten geologische Merkmale auf den Bildern: Erhebungen, Gräben und Einschlagskrater, die Größe und Verteilung von Felsen, Risse im Gestein und Spuren, die kullernde Brocken auf der Oberfläche hinterließen. 

Beide Himmelskörper sind mit vergleichsweise großen Felsen übersät; die größten messen mehr als ein Zehntel des Gesamtdurchmessers. Anders als auf der Erde sind sie keiner Erosion durch Wind und Wetter ausgesetzt. Zerbrechen sie, sind Einschläge von Mikrometeoriten die Ursache – oder der Stress, dem das Material durch Temperaturschwankungen ausgesetzt ist. 

Die letzten zehn Aufnahmen der Dart-Bordkamera kombinierten Forschende zu einem Bild von Dimorphos. Der vergrößerte Ausschnitt zeigt ein Gebiet in hoher Auflösung (5,5 Zentimeter pro Pixel). In Ansicht c sind Risse in den Felsbrocken markiert
Die letzten zehn Aufnahmen der Dart-Bordkamera kombinierten Forschende zu einem Bild von Dimorphos. Der vergrößerte Ausschnitt zeigt ein Gebiet in hoher Auflösung (5,5 Zentimeter pro Pixel). In Ansicht c sind Risse in den Felsbrocken markiert
© A. Lucchetti et al., Nature Communications

Offensichtlich ist: Viele Felsen sind so groß, dass sie schon bei der Entstehung der Himmelskörper existiert haben müssen. Die Astrogeologen vermuten, dass sich Didymos aus den Bruchstücken eines größeren Vorläufers formte, den ein kosmischer Zusammenstoß zerlegt hatte. Womöglich formierten sich die Trümmer sogar mehrmals zu neuen Himmelskörpern. Das Alter der Oberfläche von Didymos schätzen sie auf rund 12,5 Millionen Jahre. 

Im Lauf der Zeit, so die führende Hypothese, beschleunigte die Sonneneinstrahlung die Rotation von Didymos. Dadurch wurde Material aus der Äquatorregion fortgeschleudert und verklumpte zu dem Mond Dimorphos. Dies geschah womöglich innerhalb der letzten Jahrhunderttausende. Indizien für diese Hypothese liefert unter anderem die Beschaffenheit der Oberfläche. Während der kleine Trabant rundum mit Felsen unterschiedlicher Größe gespickt ist, besitzt Didymos unterschiedliche Regionen. Um den ausgebeulten Äquator herum ist die Oberfläche glatt, während die Polregionen von Kratern und großen Felsblöcken übersät sind. 

Auch wenn die Oberfläche von Dimorphos auf den Fotos solide aussieht: Sehr belastbar ist sie nicht. Anhand der Spuren, die kullernde Felsen hinterlassen haben, schätzen Forschende ihre Tragfähigkeit auf rund 70 Newton pro Quadratmeter: 1000-mal geringer als trockener Sand auf der Erde und 5000-mal geringer als Mond-Regolith. Wirkt eine höhere Kraft auf den Boden, gibt er nach. Der Einschlag von Dart schleuderte deshalb enorm viel Material ins All. Zum Glück ist die Schwerkraft auf Dimorphos so gering, dass Lander wie der Minisatellit Juventas fast nichts wiegen. Sie sollten allerdings sehr sacht aufsetzen.

Die Messungen der Sonde Hera, die im Jahr 2026 anstehen, werden mit Spannung erwartet. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Hypothesen überprüfen, die aus dem jetzigen, sehr begrenzten Datensatz abgeleitet wurden. "Das Ergebnis wird nicht nur ein besseres Verständnis für den Ursprung und die Entwicklung des Didymos-Systems liefern, sondern uns auch erlauben zu verstehen, wie gut ein Vorbeiflug einen Asteroiden charakterisieren kann", schreiben die Forschenden in einem der fünf Veröffentlichungen. Denn im Fall einer ernsthaften Bedrohung bleibt uns womöglich keine Zeit für mehr als einen flüchtigen Blick. 

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel