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Ostrazismus Vom Schmerz, nicht dabei zu sein: Wie wir lernen, mit Ablehnung umzugehen

Kaum eine Erfahrung kränkt uns stärker als die, von anderen missachtet zu werden. Dahinter verbirgt sich eine Ur-Furcht des Menschen
Kaum eine Erfahrung kränkt uns stärker als die, von anderen missachtet zu werden. Dahinter verbirgt sich eine Ur-Furcht des Menschen
© Moment / Getty Images
Ob beim Abendessen unter Freunden, im Sportverein oder in der Chat-Gruppe der Kollegen: Wir möchten unbedingt dazugehören. Nicht eingeladen, nicht beachtet, ignoriert zu werden, kränkt. Was sollten, was können wir tun, wenn andere uns ausgrenzen?

Als die bekritzelten Reste zerborstener Trinkschalen, Bruchstücke von Dachziegeln, Vasen und Amphoren ausgezählt sind, steht das Urteil fest: Kimon, Staatsheld und Kriegsherr, muss in die Verbannung. Nicht etwa, weil er etwas verbrochen hätte. Sondern einfach, weil er zu mächtig erscheint, zu ehrgeizig und erfolgreich, zu sehr aus der Gemeinschaft herausragt. Und damit eine Gefahr darstellen könnte für die Ordnung des athenischen Stadtstaates, die auf Gleichheit beruht. Auf gleichen Rechten aller Bürger, gleicher Freiheit und gleicher Teilhabe an der Macht.

Für zehn Jahre schließt die Bürgerschaft den Feldherrn aus ihren Reihen aus. So lange darf er die Stadt nicht mehr betreten. Es ist ein besonderes politisches Instrument, das im Frühjahr 461 v. Chr. in Griechenland zum Einsatz kommt – nach den Abstimmungsmitteln auch "Scherbengericht" (griechisch: Ostrakismos) genannt. Es dient dazu, sich unblutig jener Bürger zu entledigen, die den Unmut des Volkes auf sich gezogen haben. Einmal im Jahr haben die Vertreter der Volksversammlung dazu Gelegenheit. Dann ritzen sie in Tonscherben den Namen eines Mitbürgers, den sie aus der Stadt verbannt sehen wollen. Derjenige, auf den die meisten Stimmen fallen, hat dann zehn Tage Zeit, das Stadtgebiet von Athen zu verlassen.

Auch wenn moderne Demokratien das Scherbengericht heute nicht mehr kennen: Im Wort Ostrazismus hat sich seine ursprüngliche Bedeutung erhalten. Ostrazismus – so bezeichnen es Psychologinnen und Soziologen, wenn Menschen ausgeschlossen, nicht integriert, nicht beachtet werden, nicht (mehr) mitmachen dürfen. Sei es als Teil einer Clique, im Sportverein, beim Mittagessen unter Kollegen, in der Familie. Kaum etwas kränkt uns stärker, kaum etwas stresst und schmerzt uns mehr als eben das: ein Außenseiter zu sein.

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