Anzeige

Originalität Wie wir kreative Ideen einladen und innovative Lösungen finden

Ideenreichtum ist eine Ressource, die über privaten und unternehmerischen Erfolg entscheiden kann 
Ideenreichtum ist eine Ressource, die über privaten und unternehmerischen Erfolg entscheiden kann 
© HappyAprilBoy / Adobe Stock
Wer möchte nicht zuweilen den kreativen Funken wecken, um mit innovativen Lösungen zu begeistern. Der kreative Prozess ist inzwischen gut erforscht: Forschende verstehen präziser, was unsere Kreativität anregt – aber auch, was sie abwürgt 

Geniale Erfindungen, nie gehörte Kompositionen oder besondere Bildideen, die Menschen fesseln, weil sie neu sind: Außerordentlich kreative Persönlichkeiten, die mit ihrem Denken und ihren Schöpfungen die Welt verändern, berühren uns und geben uns zugleich Rätsel auf. Kann jeder den kreativen Funken entfachen, und wann bringt das menschliche Gehirn Innovation hervor? 

Es sind oft jene Momente, wenn Menschen loslassen und ausruhen, in denen sich eine Innovation zeigt: Wer entspannt in die Wolkenformationen am Himmel blickt, aus dem Zug in die vorbeirasende, leicht unscharfe Landschaft draußen sieht, ja, wer unter der Dusche steht und das herabperlende Wasser auf der Haut spürt, hat es womöglich bereits selbst erlebt: Gerade in diesen banalen, nicht bemühten Momenten zeigt sich nicht selten eine innovative Idee, etwas ganz Originelles. Jetzt heißt es zugreifen und aufschreiben. Denn Ideen verflüchtigen sich sonst wieder und weichen der Alltagsrationalität. 

Aus Sicht der Neurowissenschaft hat dieser Vorgang der Ideenfindung mit einem bestimmten Modus unseres Gehirns zu tun. Wer in einer solchen Auszeit nichts Zweckgebundenes tut und sich von der Welt ausklinkt, bei dem wird der Ruhemodus des Gehirns aktiv, der sogenannte "Default-Modus". Eindrücke des Tages und bestehendes Wissen werden dabei neu kombiniert. Der amerikanische Hirnforscher Marcus Raichle entdeckte diesen Zustand 1998 und stellte fest, dass bei geistiger Ruhe die Aktivität in bestimmten Regionen des Gehirns auf den bildgebenden Aufnahmen des Kernspintomographen zunahm. Das Gehirn beschäftigt sich gewissermaßen mit sich selbst, räumt auf und um. Für Innovation ist das essenziell. 

Der Kreativitätsforscher und Psychoanalytiker Rainer Holm-Hadulla vergleicht diesen Modus  mit unbewusstem Denken: "Bestehende Netzwerke im Gehirn werden labilisiert und mit anderen neu verknüpft." Durch diese Neukombinatorik des Gehirns würden Innovationen erklärbar, neue Lösungen. Ähnliche Zustände werden übrigens unter psychoaktiven Drogen angeregt, in Zuständen der Hypnose und auch während des Traums. All diese Erfahrungen beruhen auf gelockerten, ja "labilisierten" Netzwerken des Gehirns, die offen für Überschreibungen werden. Nicht selten berichten Erfinder und Erfinderinnen, dass sie eine Lösung für ein wissenschaftliches Problem im Traum gefunden haben. 

Der Welt im resonanten Modus begegnen 

Eines ist für Schöpferkraft essenziell: Innovationen sind nicht ohne innere und äußere Reize denkbar. Konkret bedeutet das, dass ein Mensch, der Schöpferkraft stimulieren möchte, nicht ohne Resonanz und lebendige Erfahrungen auskommt, die sein Gehirn im Ruhemodus dann bearbeiten und kombinieren kann. Viele werden sich aus den Lockdown-Erfahrungen der Coronapandemie erinnern, wie das Eingesperrtsein zu Ideenarmut führte. Kreativitätsexperten wie Holm-Hadulla, aber auch Führungspersönlichkeiten in kreativen Branchen empfehlen daher, im Alltag der Welt in einem "resonanten und offenen Modus" zu begegnen, um Ideen einzuladen. 

Das bedeutet, so Holm-Hadulla, für die "Poesie des Alltags" offen zu bleiben. Das kann ein Blick im Theaterfoyer sein, das freundliche Lächeln der Bedienung im Café. Es empfehle sich ein Zugang zur Welt, der für Schönheit empfänglich und neugierig ist. Wie ein Schwamm sollte man aufsaugen, ohne diesen Begegnungen gegenüber direkt zweckrational eingestellt zu sein. Gemeint ist damit eine Haltung, die überall sogleich nach dem "um zu" fragt. Diese Haltung bereitet den Boden für Ideen, die überall Zündstoff finden: im Theater, im Museum, beim Lesen eines Magazins, beim Restaurantbesuch oder Aufenthalt in der Natur. Kurz: ein Inter-Esse im eigentlichen Wortsinn, also ein Mitten-drin-Sein in der Welt, beflügelt Ideen. 

Fünf Stufen des Kreativprozesses 

Als Schnellmaßnahme für jeden und jede ist Spazierengehen die effektivste kreative Kulturtechnik. Der Flanierende nimmt einerseits zahlreiche neue sinnliche Eindrücke auf, andererseits befindet sich das Gehirn bereits in einem dem Ruhemodus ähnelnden, unangestrengten und offenen Zustand, wodurch sich neue Eindrücke leichter kombinieren oder Wissen neu montiert wird. 

Wer Eindrücke geschöpft hat, bei dem hat sich der Nährboden für Kreativität bereitet. Anschließend folgt der kreative Prozess nach Auffassung der Forschung bestimmten Phasen. Die Kreativitätsforschung unterscheidet fünf zentrale Stufen des kreativen Prozesses, in denen sich Ideen einnisten und manifest werden: 1. Vorbereitungsphase, 2. Inkubation, 3. Illumination und 4. Ausarbeitung, schließlich 5. die Präsentation der Idee. 

Bei der Ausarbeitung wechseln sich Euphorie und Angst ab 

Während der Vorbereitung wird Wissen erworben und Material in der Resonanz mit der Welt gesammelt, während den Suchenden eine Frage beschäftigt. In der folgenden Inkubationsphase kann es Menschen helfen, sich bewusst zurückzuziehen und eine ruhige Atmosphäre ohne äußere Reize und neuen Input zu pflegen, bewusst loszulassen und nichts zu tun. In dieser Einnistungsphase entwickeln sich Ideen eher unbewusst, indem wir unsere Gedanken schweifen lassen, Tagträumen im Ruhemodus nachhängen. Die eingangs beschriebene Kombinatorik setzt im Gehirn ein. Dies mündet bestenfalls in die Illuminationsphase. Jetzt geht einem Kreativen in einem Heureka-Moment ein Licht auf. Die Idee manifestiert sich, der Kern der Idee zeigt sich. Es ist der Moment, in dem ein Mensch wie aus dem Nichts von einem Geistesblitz, einer Eingebung oder einem Gedanken getroffen wird.

Was nun folgt, strengt an und entscheidet den kreativen Prozess: Die Idee muss ausgearbeitet werden. Hier geht es nicht mehr um beflügelte Sternstunden des Denkens, sondern um rationale Arbeit wie bei einem Beamten, der ein Thema sachkundig beackert, ein Format schärft. In dieser entscheidenden Phase wird eine Idee oder ein Einfall so weit präzisiert, dass tatsächlich ein Problem gelöst wird oder etwas Neues in die Welt kommt, Bedürfnisse von Menschen erfüllt werden und ein Produkt entsteht. Ausdauer ist gefragt und Frustrationstoleranz, denn nicht selten wechseln sich Angst (Ist die Idee wirklich gut?) und Euphorie ab. Eine Idee erfordert Beharrlichkeit. Während viele Menschen Ideen haben, zeichnen sich Kreative dadurch aus, dass sie auch unbeirrbar in der Umsetzung sind, nicht den Fokus verlieren. Schließlich muss die Idee in der letzten Phase der Welt präsentiert werden.

"Für dich schiebe ich die Wolken weiter": Ob die Liedzeile beim Blick in den Wolkenhimmel gewonnen wurde? Wir wissen es nicht. Jedoch kann assoziatives, gelockertes Denken dazu führen, dass sich Ideen einstellen. Der Blick in den Himmel, wie beim Tagträumen, hilft dabei 
"Für dich schiebe ich die Wolken weiter": Ob die Liedzeile beim Blick in den Wolkenhimmel gewonnen wurde? Wir wissen es nicht. Jedoch kann assoziatives, gelockertes Denken dazu führen, dass sich Ideen einstellen. Der Blick in den Himmel, wie beim Tagträumen, hilft dabei 
© Heritage Images / imago images

Die Denkstile, die im gesamten Kreativprozess gefragt sind, sind sowohl assoziative, träumerisch-gelockerte Denkmodi als auch rational-fokussierte Denkweisen. Äußerst kreative Persönlichkeiten beherrschen nach Forscher Rainer Holm-Hadulla ein flexibles Pendeln zwischen beiden Denkstilen. Sie würden oft ein Zugleich von Eigenschaften als Persönlichkeit aufweisen, von freiem Fantasieren und pedantischem Arbeitertum. 

Mick Jagger arbeitet diszipliniert 

An dem Musiker Mick Jagger ist Rainer Holm-Hadulla beispielsweise bei der Recherche für ein Buch über den Kreativprozess aufgefallen, dass dieser trotz seiner rebellischen Auftritte und Provokationen hochdiszipliniert arbeitete, sich durch die Disziplin offenbar mit melancholischen Stimmungen und aggressiven Regungen auseinandersetzen konnte. Außergewöhnlich Kreative haben demzufolge nach Holm-Hadulla öfter strenge Arbeitsrituale, die es ihnen ermöglichen, sich dem Neuen und Verwirrenden zu öffnen und nicht die Bodenhaftung über ihren Ideen zu verlieren. 

Auch der Alltagskreativität können Rituale und feste Abläufe dienen, in denen Kreativität ihren Rahmen findet. Dazu kann auch gehören, sich klar zu werden, zu welcher Uhrzeit sich die persönliche kreative Bestphase einstellt und diese vor Terminen und Meetings zu schützen.  

Einen besonderen Kreativitätskiller sollte jeder vermeiden: Wer passiv durch soziale Medien scrollt und Eindrücken am Handy folgt, der würgt den Modus für kreatives Denken und kombinatorische Prozesse durch Reizüberflutung bereits durch eigenes Verschulden ab. Jener Default-Modus, der die Idee unter der Dusche liefert, da sich neue Vernetzungen bilden, wird gestört. 

Durch Medienverwahrlosung geht also jede Menge kreatives Potenzial verloren. Also lieber das Handy weglegen und zum Spaziergang aufbrechen! Der Anstoß für Ideen ist damit gelegt. Und die Forschung weiß inzwischen auch, dass kreative Phasen die Stimmung von Menschen steigern können und als positiv und belebend erlebt werden. Dies wiederum kann zu gesteigertem Ideenreichtum führen. Scrollen durch Social Media hingegen verdüstert öfter die Laune, überreizt und lähmt das Gehirn. 

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel