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Neuroforschung Überhitztes Gehirn: Hohe Temperaturen verändern wichtige Prozesse im Kopf

Schmilzendes Hirn
Schwächelndes Hirn: Sommerhitze beeinträchtigt unser Denkorgan auf vielfältige Weise – so können wahrscheinlich wichtige Nervennetze nicht mehr richtig kommunizieren 
© Adobe Stock
Bei Hitze fühlen sich viele Menschen schlapp, gereizt, können sich nicht konzentrieren. Der Grund liegt im Gehirn: Immer mehr zeigt sich, welch gravierende Auswirkungen hohe Temperaturen etwa infolge des Klimawandels auf unser Denkorgan haben – und damit auf unsere mentale Gesundheit  

Was für Auswirkungen Hitze auf unsere Denkleistung haben kann, weiß jeder, der schon mal hohes Fieber hatte. Einen klaren Gedanken fassen? Keine Chance!

Doch mehr und mehr zeigt sich: Auch immer drückendere Sommertage – aufgeheizt durch den Klimawandel – haben diverse Effekte auf unser Gehirn. Zwar ist es in unserem Oberstübchen in der Regel rund ein Grad wärmer als im Rest des Körpers. Manche Areale des Denkorgans können sogar 40 Grad heiß sein, wie Forschende unter anderem in einer Studie im Fachblatt Brain veröffentlicht haben. Am wohlsten fühlt sich unser Kopf allerdings bei Umgebungstemperaturen zwischen 23 und 27 Grad Celsius. Dann kann unser Organismus ohne Schwierigkeiten auf die optimale Betriebstemperatur kommen.

Zuständig für die Regulation unserer Körpertemperatur ist unter anderem der Hypothalamus. Das Hirnareal, nicht größer als ein Zuckerwürfel, verschafft uns im Falle des Falles auch Abkühlung. Lässt uns also schwitzen. Oder sorgt dafür, dass sich Blutgefäße an der Körperoberfläche weiten – wodurch überschüssige Wärme an die Umgebung abgegeben werden kann – und sich die Äderchen in den Organen wiederum zusammenziehen – so dringt nicht zu viel Hitze ins Innere.

Wenn sich die Hirnhäute entzünden, kommt es zu einem Sonnenstich

Knallt die Sonne aber über längere Zeit auf Kopf und Nacken, kommt die interne Klimaanlage nicht mehr hinterher. Bisweilen können sich die Hirnhäute entzünden: Es kommt zum Sonnenstich. Betroffenen brummt der Schädel, ihnen ist schwindelig und brechübel, in schweren Fällen kann sich das Bewusstsein eintrüben.

Möglicherweise können solche hitzebedingten Erkrankungen wie ein Sonnenstich (heat related ilnesses, kurz HRI) auch längerfristige Folgen nach sich ziehen. So kamen Forschende in einer Studie, publiziert in Alzheimer’s Research and Therapy, unter anderem aufgrund epidemiologischer Erhebungen zu dem Schluss, dass HRI das Risiko einer Demenzerkrankung erhöhen können.

Einen Sonnenstich bemerken wir sofort, zu schwer sind die Beeinträchtigungen. Meist wirkt Hitze freilich subtiler. Doch auch hier sind die Folgen teils weitreichend.

Jeder und jede kennt es: Ist es zu warm, lässt sich schlechter schlafen. Schweißnass wälzen wir uns von rechts nach links. Wachen, wenn wir endlich eingenickt sind, oft mehrmals in der Nacht auf. Der Grund: Der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus unseres Körpers ist gestört. Im Schlaf schütten Drüsen einen anderen Hormoncocktail aus als bei wachem Geist, und auch unsere Körpertemperatur zeigt zirkadiane Schwankungen: Gegen 18, 19 Uhr ist sie am höchsten, einige Zeit nach Mitternacht kühlt sie dagegen um ein halbes Grad ab. Ein kleiner Unterschied mit großer Wirkung: Funktioniert die körpereigene Thermoregulation aufgrund von Hitze nicht mehr einwandfrei, leidet automatisch der Schlaf.

Ein längerer Mangel an Nachtruhe wiederum kann Körper und Geist auf vielen Ebenen negativ prägen: Übermüdete Menschen sind eher gereizt, fühlen sich schneller provoziert. Nicht selten trübt sich ihre Stimmung ein, zuweilen so weit, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen daraus erwachsen können. Und freilich gehen Schlafdefizite auf Kosten der Konzentrations- und damit kognitiven Leistungsfähigkeit. Sie machen häufiger Fehler, was zu größerer Unsicherheit führen kann. Ein Teufelskreis.

Besonders ältere Menschen können stärker unter psychischen Beeinträchtigungen aufgrund von Hitzestress leiden. Schließlich ist ein in die Jahre gekommener Organismus nicht mehr so gut imstande, Temperaturwechsel auszugleichen – unter anderem, weil die Durchblutung etwa in Beinen und Armen eingeschränkt ist und mithin der Körper nicht mehr so rasch abkühlt.

Hitze schwächt die Kommunikation der Nervenzellen im Hirn

Hinzu kommt: Hitze macht Menschen nachweislich aggressiver, führt zu mehr Gewalt. Gut möglich, dass die höhere Reizbarkeit Folge von Stresshormonen wie Vasopressin ist, das manche Menschen bei knalligen Temperaturen vermehrt ausschütten. Hitze steigert auch den Puls, bringt den Körper in eine Art Alarmzustand. Und erhöht die Impulsivität. 

Wie sich Hitzewellen auf die geistigen Kapazitäten auswirkt, haben US-Forschende unter anderem in einer in PLOS Medicine veröffentlichen Studie festgestellt: Während einer besonders heißen Sommerphase zeigten Studierende, die in unklimatisierten Gebäuden wohnten, deutliche mentale Einbußen. In kognitiven Tests schnitten die Probanden merklich schlechter ab als jene, die sich über Airconditioning freuten. Betroffen war demnach offenbar das Arbeitsgedächtnis, das uns befähigt, im Kopf mehrere Daten und Fakten gleichzeitig zu kombinieren. Zudem litt die selektive Aufmerksamkeit sowie die generelle Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen. 

Zusätzlich zu ihrer schädlichen Auswirkung auf unseren Schlaf und die Stresshormone schwächt Hitze wohl auch die Kommunikation der Nervennetze in unserem Gehirn. Im Wissensmagazin Spektrum verweisen Dorothea Metzen von der TU Dortmund und Sebastian Ocklenburg von der Medical School Hamburg auf Untersuchungen, die Hinweise darauf geben, dass die komplexe Verständigung zwischen verschiedenen Bereichen des Denkorgans merklich in Mitleidenschaft gezogen wird.

Und zwar zwischen einerseits jenen Arealen, die uns fokussiert über eine Sache nachdenken lassen, und andererseits jenen Regionen, die immer dann aktiv werden, wenn wir tagträumen, unsere Seele baumeln lassen, an nichts Besonderes denken. 

Im Normalmodus wechseln wir, ohne dass uns dies bewusst ist, fortwährend zwischen diesen beiden Zuständen: Angestrengte Aufmerksamkeit und gedankenverlorene Ruhe. Noch ist nicht sicher, weshalb im überhitzten Hirn die Kommunikation zwischen diesen beiden Netzwerken nicht mehr reibungslos läuft und mithin die Konzentration leidet.

Möglich ist, dass ein bestimmter Botenstoff nicht mehr ausreichend produziert wird: der Neurotransmitter Dopamin, der für unsere mentale Gesundheit essenziell ist – und der unter anderem eine wichtige Rolle dabei spielt, wie motiviert und aufnahmefähig wir sind.

Vielleicht geht die Beeinträchtigung des Denkens, so das Wissensmagazin Spektrum, auch auf jenes Atemgas zurück, das sämtliche Zellen in unserem Körper zum Leben und Arbeiten brauchen: Sauerstoff. Steigt die Körpertemperatur, nimmt die Konzentration des Gases im Blut ab. Und das Organ, das die meiste Energie und damit den meisten Sauerstoff braucht, sitzt in unserem Kopf. Das Gehirn wiegt zwar nur anderthalb Kilo, braucht aber ein Fünftel der Gesamtenergie unseres Körpers. 

Die Blut-Hirn-Schranke büßt an Leistungsfähigkeit ein

Welche Stoffe ins Nervengeflecht gelangen und welche in der Blutbahn verbleiben, darüber entscheidet die sogenannte Blut-Hirn-Schranke. Diese zellphysiologische Grenze sorgt normalerweise dafür, dass im roten Körpersaft gelöste Giftstoffe oder auch Krankheitserreger nicht ins zentrale Nervensystem gelangen. So bleibt das empfindliche Denkorgan bestmöglich vor Schäden geschützt. Im Gehirn herrscht ein eigenes Milieu, das sich vom Rest des Körpers unterscheidet. 

Doch Studien zeigen: Bei sehr starker Hitze kann die Blut-Hirn-Schranke einen Teil ihrer Kontrollfunktion einbüßen. Sie wird durchlässiger, sodass Keime oder auch Schadsubstanzen mit höherer Wahrscheinlichkeit ins Gehirn gelangen. Infolgedessen kommt es zu entzündlichen Prozessen. 

Ob steigende Temperaturen unsere Gehirne gar schrumpfen lassen? Zumindest auf lange Sicht könnte ein solcher Wandel tatsächlich geschehen. Zu dieser Einschätzung jedenfalls kamen Wissenschaftler, nachdem sie die Hirngrößen unserer fernen Vorfahren verglichen und in Zusammenhang mit Klimadaten stellten. Sie fanden heraus, dass die Denkorgane unserer Ahnen nach dem Ende der letzten Kälteperiode vor rund 10.000 Jahren, als das Thermometer weltweit stieg, signifikant an Volumen einbüßten. Die globale Erwärmung, so schreiben die Forschenden im Fachmagazin Brain, Behaviour and Evolution, begünstige also tendenziell eine geringere Größe des Gehirns. Dieser Trend wird sich aber, wenn überhaupt, nur in den Köpfen nachfolgender Generationen, also in weiterer Zukunft, abzeichnen. 

Sonnenstiche, Schlafprobleme, Stresshormone. Aggressionen, Konzentrationsschwächen, Störungen der Botenstoffe und der Blut-Hirn-Schranke: Die Auswirkungen von Hitze auf unsere Gesundheit, eben auch die unseres Gehirns, sind erstaunlich vielfältig. Natürlich schadet es niemandem, den Sommer zu genießen, Sonne zu tanken, auch mal zu schwitzen. Und doch sollte man die (zunehmende) Hitze nicht unterschätzen. Sollte – wenn möglich – seinem Körper Gelegenheit zum Abkühlen, zur Erholung geben. Nicht zuletzt, damit das Denken weiterhin funktioniert. Und der Geist auf Dauer gesund bleibt. 

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