Anzeige

Psychologie Kennen Sie "Phubbing"?

Junger Mann schaut auf sein Smartphone, eine gelangweilte junge Frau daneben
Genervt und ignoriert: Die junge Frau hat vermutlich wenig Interesse, den phubbenden Dating-Partner wiederzusehen 
© Paolo / plainpicture
Auf der ganzen Welt wird ein neues Phänomen beobachtet: das Brüskiertwerden durch das Smartphone in sozialen Situationen. Dass dies nicht nur unhöflich ist, sondern auch das Selbstwertgefühl und die Zufriedenheit betrifft, gilt als gesichert 

Da passierte es: Als ich neulich mit einer Freundin verabredet war, wir wollten um die Alster spazieren und hatten gerade die ersten Schritte getan, da griff diese plötzlich in ihren Beutel, um ein sanft vibrierendes Telefon aus der Tiefe hervorzuziehen. Auf dem Display stand der Name einer Freundin. Beide starrten wir auf den Namen auf dem klingelnden Gerät, und dann, ich zuckte, ging meine Freundin doch tatsächlich ans Telefon.

Natürlich war es überhaupt nichts Weltbewegendes, was die andere wollte, aber meine Verabredung sprach ungerührt einige Sätze, während ich bemerkte, wie mich ein Anflug schlechter Laune, vielleicht sogar von Melancholie anwehte, dass unsere Unterhaltung so einfach gekappt wurde. Früher, so dachte ich pikiert, war man verabredet. Als es noch keine Handys gab, hätte niemand auf einem Freundschaftstreffen ein laufendes Gespräch unterbrochen, um ein neues mit einer anderen Freundin am Telefon zu beginnen. 

Phubbing senkt Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden 

Natürlich war das harmlos und die Irritation recht schnell verflogen. Dennoch gibt es mittlerweile bereits eine wissenschaftliche Diskussion um ein weltweit neu beobachtetes Phänomen: Phubbing. Der Definition nach ist Phubbing die "flüchtige Interaktion mit dem Smartphone", während man ein persönliches Gespräch mit jemand anderen führt, also das spontane Umschalten der Aufmerksamkeit von diesem Gespräch zum Smartphone.

Passiert dies gelegentlich, ist das nicht weiter wild. Eine systematischere Form von Phubbing-Erfahrung soll allerdings die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden doch stark stören. Inzwischen gibt es detaillierte Studien zu verschiedenen Betroffenengruppen – sie beleuchten die Auswirkungen von phubbenden Eltern auf ihre Kinder, die also den Nachwuchs ignorieren, weil sie durch Insta scrollen, jene von phubbenden Partnern auf ihre Liebespartner und auch phubbende Vorgesetzte, die nebenbei auf eine Whattsapp gucken, während sie ein Meeting leiten, haben massiven Einfluss auf die Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl ihrer Mitarbeitenden. Das einheitliche Ergebnis: Phubbing-Verhalten kann Depressionssymptome und soziale Ängste schüren. Wurden Kinder durch ihre Eltern gephubbt, legten diese einer Studie zufolge anschließend größeres Suchtverhalten nach ihrem Smartphone und nach Tik-Tok-Kurzvideos an den Tag und zeigten eine höhere Bereitschaft, sich an Cybermobbing gegenüber anderen Kindern zu beteiligen und wiederum selbst andere zu phubben. 

Phubbende Mütter wirken negativer als Väter 

Wie Phubbing-Verhalten empfunden wird, legt das Wort nahe: Es setzt sich aus dem englischen "phone" und "snubbing" (brüskieren) zusammen, nichts anderes bedeutet das Phänomen - jemanden durch das Smartphone zu brüskieren. Gephubbte fühlten sich durch die Erfahrung unsichtbar, ignoriert und abgelehnt. Sie schilderten den Eindruck, nicht wichtig zu sein und fühlten sich vor den Kopf gestoßen und traurig. 

Phubben Eltern ihre Kinder, so entscheidet der Bindungsstil darüber, wie negativ sich das Smartphone in den Händen der Erziehungsberechtigten auf das Kind auswirkt. Wenig überraschend: Unsicher gebundene Kinder reagierten tendenziell mit mehr negativen Symptomen als sicher gebundene Kinder. Die Autoren Ke Liu und Kollegen einer chinesischen Studie kamen zu dem Schluss, dass besorgte und ängstliche Jugendliche (durch unsichere Bindung) das Phubbing als elterliches Zeichen deuteten, dass diese nicht an ihnen interessiert waren oder sie sogar ablehnten. Sichere Kinder fühlten sich der elterlichen Liebe würdig und vergaben nachsichtig das phubbende Fehlverhalten. Interessanterweise scheint es einen negativeren Einfluss auf ein Kind zu haben, wenn seine Mutter es phubbt, als wenn der Vater dies tut. Mutter-Phubbing scheint für Kinder problematischer zu sein. 

Chefs am Smartphone können Mitarbeitende demotivieren 

Auch Vorgesetzte können die Stimmung und das Selbstwertgefühl von Beschäftigten empfindlich stören, wenn sie während einer Teambesprechung auf ihr Smartphone blicken und dadurch nicht anwesend erscheinen. Die Autoren James A. Roberts und  Meredith David fanden in ihrer Studie auch heraus, dass Phubbing durch Vorgesetzte einen indirekt negativen Effekt auf das Mitarbeiterengagement hatte, dann nämlich, wenn es das Vertrauen in den Vorgesetzten senkte. War dies der Fall, reduzierte sich das Engagement der Angestellten als indirekte Folge des gesenkten Vertrauens in die Chefs. Häufig verschlechterte sich also die Beziehung zur Führung, da Mitarbeitende das Gefühl hatten und aus dem Phubbing folgerten, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wurde. Der empfundene Wert, die Würde und die Sinnhaftigkeit bei der Arbeit sanken also durch phubbende Bosse, genauso nahm das das betriebsbedingte Selbstwertgefühl ab.

Was aber kann Phubbing-Verhalten wahrscheinlich machen? Als Auslöser werden von Experten Langeweile, die Furcht, etwas zu verpassen, Einsamkeit und Smartphonesucht in internationalen Studien untersucht. 

Neurotische Menschen phubben eher 

Natürlich hat die Wissenschaft mittlerweile beleuchtet, welche Persönlichkeitseigenschaften dazu führen, dass ein Mensch dazu tendiert, andere zu phubben. Eine Studie an türkischen Universitätsstudenten ergab etwa, dass von den Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen die Gewissenhaft das Verhalten signifikant negativ vorhersagte, also unwahrscheinlich machte (weil diese Menschen Impulse gut kontrollieren), wohingegen Neurotizismus das Verhalten deutlich positiv vorhersagte. Die Studienautoren vermuteten, dass neurotische Menschen möglicherweise weniger Willenskraft aufbringen, ihre Impulse zu kontrollieren, was gewissenhaften Menschen gut gelingt.  

Übrigens ist das Verhalten inzwischen so weit verbreitet, dass bereits bei Haustieren beobachtet wurde, wie sie auf Phubbing ihrer Halter reagieren: mit dem gleichen traurigen, sehnenden Blick wie gephubbte Kinder oder Freunde. 

Die Frage nach Abhilfe muss wohl vor allem auf ein Bewusstwerden setzen. Es lässt sich auch das Vertrauen stärken, dass Handynutzende durch Technologie nicht zwangsläufig determiniert sind. Es gibt die freie Willenskraft, die es möglich macht, eingehenden Reizen auf dem Smartphone zu widerstehen und bei dem in der Gegenwart zu verweilen, was  vor dem Reiz auf der Tagesordnung stand. Das Vermögen, seine Aufmerksamkeit selbst zu steuern, lässt sich glücklicherweise lernen - und das macht nebenbei sogar glücklich. Vielleicht sage ich das demnächst auch meiner Freundin. 

 

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel