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Überschwemmungen Wie "unterirdisches Hochwasser" jetzt zur Gefahr wird

Ein Hof im Bremer Ortsteil Timmersloh steht unter Wasser
Im Bremer Ortsteil Timmersloh hat das Hochwasser ganze Bauernhöfe eingeschlossen. Der Deutsche Wetterdienst rechnet mit weiteren Niederschlägen
© Sina Schuldt / dpa / picture alliance
Sturzfluten und Hochwasser sind die zerstörerischsten Naturkatastrophen in Deutschland. Warum sie nicht zu verhindern sind und wie wir uns besser schützen können, erklärt der Hydrologe Axel Bronstert

Lahn, Main, Helme, Aller oder Weser: An vielen deutschen Flüssen herrscht zurzeit Hochwasser. Schon seit Wochen regnet es so viel, dass Flüsse über die Ufer treten. Von der Nordsee bis zum Bayerischen Wald wird vor weiteren Überschwemmungen gewarnt. Und während in Niedersachsen bereits die Sandsäcke knapp werden, kündigt der Deutsche Wetterdienst DWD weiter ergiebigen Regen an.

Doch wie kommt es eigentlich zu diesen Hochwassern? Warum fließt das Wasser nicht mehr ab oder versickert einfach im Boden? Wie kann sich das Land schließlich besser gegen künftige Überschwemmungen schützen?

Wasser verdunstet aus Ozeanen und Wäldern, es kondensiert in Wolken und fällt als Regen zurück auf die Erde. Mit der Zeit fließt es zurück ins Meer oder bleibt als Grundwasser in den Böden. Im globalen Kreislauf werden auf diese Weise große Mengen Wasser umgewälzt. Durch Satellitendaten ließ sich nachweisen, dass im Jahr 2011 Unwetter in Australien und Südamerika den Meeresspiegel temporär um einen halben Zentimeter sinken ließen. 

Überschwemmungen: Sowohl bei Dauerregen als auch bei kurzen Starkniederschlägen laufen erhebliche Wassermengen auf. An Hängen können sie sich zu Sturzfluten entwickeln. In Gebieten mit wenig Gefälle kann sich das Wasser auch über Flussufer hinweg aufstauen – oder in den Boden versickern und so zu Grundwasser werden. Steigt der Grundwasserspiegel aber dadurch an, kann das Wasser auch aus dem Boden wieder austreten
Sowohl bei Dauerregen als auch bei kurzen Starkniederschlägen laufen erhebliche Wassermengen auf. An Hängen können sie sich zu Sturzfluten entwickeln. In Gebieten mit wenig Gefälle kann sich das Wasser auch über Flussufer hinweg aufstauen – oder in den Boden versickern und so zu Grundwasser werden. Steigt der Grundwasserspiegel aber dadurch an, kann das Wasser auch aus dem Boden wieder austreten
© dpa-infografik GmbH / picture alliance

Auf dem Land können intensive Starkregenfälle zu reißenden Sturzfluten führen, wie etwa im Ahrtal im Juli 2021. Und auch lang anhaltender, ergiebiger Regen wie in den vergangenen Wochen kann Hochwasser bewirken – besonders in tief liegenden, flachen Regionen wie dem Nordwesten Deutschlands. Grundsätzlich aber könne es in ganz Deutschland zu Hochwassern kommen, so der Hydrologe Axel Bronstert von der Universität Potsdam. 

Warum fließt das Wasser nicht einfach ab?

Wasser folgt der Schwerkraft, wie eine Murmel, die eine Rampe herunterrollt. "Je steiler ein Gebiet, desto schneller fließt das Wasser ab", sagt Bronstert. So konnte die Flut im Ahrtal ihre zerstörerische Kraft entwickeln. Die jetzt stark betroffenen Gebiete in Niedersachsen allerdings sind sehr flach – das Wasser fließt nur äußerst langsam Richtung Meer. 

Professor Axel Bronstert guckt in die Kamera
Axel Bronstert ist Professor für Hydrologie und Klimatologie an der Universität Potsdam sowie Vizepräsident der Deutschen Hydrologischen Gesellschaft
© Tobias Hopfgarten

Teile Niedersachsens, etwa im Oldenburger Land oder bei Bremen, liegen sogar in Senken unterhalb des Meeresspiegels. Dort kann das Wasser gar nicht über Flüsse ins Meer abfließen. Um solche Gebiete frei von Wasser zu halten, pumpen Schöpfwerke regelmäßig Wasser aus den Senken heraus, sagt Hydrologe Bronstert.

Aber noch ein anderer Faktor ist entscheidend dafür, ob bei Regen auch ein Hochwasser entsteht: die Beschaffenheit des Bodens. Durch Kies oder Sand kann Wasser sehr schnell in tiefer liegende Schichten versickern, weil es durch große Hohlräume zwischen den Steinen und Körnern ablaufen kann. 

Erdschichten aus feineren Bodenpartikeln wie Ton bieten hingegen nur kleinste Hohlräume, durch die nur wenig Wasser zugleich abfließen kann, sodass es sich staut wie Fahrzeuge an einer Autobahnbaustelle. In der Hydrologie, erklärt Axel Bronstert, wird dies die hydraulische Leitfähigkeit genannt: "Je größer die Poren des Bodens sind, desto höher ist diese Leitfähigkeit."

Hochwasser kann auch aus dem Boden kommen

Doch auch die höchste Leitfähigkeit hilft nicht, wenn der Boden bereits vollständig mit Wasser getränkt ist. Dann entsteht im Verborgenen ein zweites, unterirdisches Hochwasser. An tief liegenden Baustellengruben oder eigentlich von Deichen geschützten Senken, die unter dem Bodenwasserspiegel liegen, tritt dann ebenfalls Wasser aus. Und so können auch Keller bei Starkregen plötzlich unter dem Wasserspiegel liegen und überfluten, wenn sie nicht vollständig abgedichtet sind. 

Ein Wohnhaus am Deich im Hochwassergebiet Niedersachsen
Noch hält der Deich auf der Weserinsel Hagen-Grinden. Doch durch den Boden kann Wasser aus den Flüssen trotzdem auf die andere Seite sickern – je näher am gestauten Wasser, desto höher steigt der Grundwasserspiegel, und desto mehr Wasser kann wieder austreten
© Christof Dathe / dpa / picture alliance

Unterirdische Gebäudeteile komplett abzudichten, bietet allerdings auch keinen sicheren Schutz gegen Wasserschäden. Wie ein Schiff im Wattenmeer, das von der Flut gehoben wird, kann Grundwasser ganze Gebäude aufschwemmen. Dies geschah etwa beim Rheinhochwasser 1993 mit dem heutigen Sendehaus der "Deutschen Welle" in Bonn, erzählt Hydrologe Bronstert. Das gestiegene Grundwasser hob damals das Gebäude um bis zu 70 Zentimeter in die Höhe. Es entstand ein Millionenschaden, das Hochhaus konnte erst mit jahrelanger Verspätung in Betrieb genommen werden. 

Simulationen könnten helfen, Hochwasser besser vorherzusagen

Lässt sich vorhersagen, wie lange die aktuellen Hochwasser in Deutschland noch andauern werden? Axel Bronstert ist vorsichtig: Die Dauer eines Hochwassers hänge besonders von der Regenmenge ab, also vom Wetter. Allerdings seien längerfristige Wettervorhersagen nicht zuverlässig genug, um diese genau zu prognostizieren. 

Mithilfe spezieller Modelle ließe sich zumindest genauer vorhersagen, wie schnell Wasser abfließen wird. In den Niederlanden gibt es bereits ein solches System, in das Daten zu Niederschlägen, Wettervorhersagen, Bodentypen und Bodennutzungen eingespeist werden, um vorherzusagen, wie schnell die Wasserpegel von Flüssen steigen oder fallen werden. Deutsche Behörden hingegen werten die zahlreichen Daten der Grundwasserstände derzeit nicht auf diese systematische Weise aus, so Bronstert.

Wie Deutschland sich besser auf Hochwasser einstellen kann

Doch auch ohne jede Simulation ist klar: Die starken Regenfälle der letzten Wochen haben die Grundwasserspiegel in Deutschland deutlich angehoben. Wären sie nicht durch die Dürre der vergangenen Jahre bereits recht niedrig gewesen, hätten die Hochwasser mancherorts noch heftiger ausfallen können, so Bronstert. Und umgekehrt könne der erhöhte Wasserspiegel im Boden nun sogar dazu beitragen, dass Flüsse bei einem künftigen Dürresommer weniger schnell trockenfallen.

Es könnte Prognosen zufolge durch den Klimawandel in Zukunft noch häufiger zu anhaltendem Regen und Hochwasser in Deutschland kommen. Durch intelligente Maßnahmen lässt sich aber zumindest der mögliche Schaden verringern, den Hochwasser anrichten. Naturnahe Wälder und entsiegelte Flächen in der Stadt fördern etwa die Versickerung von Wasser. Deiche können das steigende Wasser im Flussbett halten, Flussauen und künstliche Regenreservoirs verschaffen dem Wasser mehr Fläche zum Ausweichen. 

Doch unabhängig davon sollten Hausbesitzer in gefährdeten Überschwemmungsgebieten auch überlegen, ihre Keller mit sogenannten Kellerwannen wasserdicht auszubauen. Denn: "Wir können Hochwasser nicht verhindern", so der Hydrologe Axel Bronstert.  

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