FamilienurlaubWarum Mecklenburgs Kleinseenplatte ganz groß ist
Unser Autor bereiste die Mecklenburgische Kleinseenplatte zuletzt als Kind kurz nach der Wende. Nun wiederholt er den Urlaub – mit eigener Familie. Eine Wiederentdeckung
Das leichte Schwappen und Schaukeln macht selig müde. Vor allem einen von uns. Wir sind keine Viertelstunde unterwegs, da ist das Kind schon eingeschlafen. Gebettet auf einer orange-grellen Rettungsweste und dem Oberschenkel meiner Frau, liegt Levi (2) da. Bemerkt nicht, wie vorbeiziehende Motorboote Wellen gegen unser Kajak schlagen. Nicht, wie immer Tropfen vom Paddel auf ihn fallen. Und auch nicht, wie ich über das hakelige Steuer schimpfe, das ich versäumt habe vor dem Ablegen richtig einzustellen.
Seine erste Paddeltour. Wie kann er so ein Abenteuer nur verschlafen?, denke ich – und weiß es eigentlich besser. Unsere Reise an die Mecklenburgische Kleinseenplatte ist auch eine in meine Vergangenheit.
Havelläufe, Kanäle und langestreckte Seen
Viele Urlaube habe ich als Kind mit meinen Eltern auf dem Wasser verbracht. Viel Zeit habe ich im Kajak zwischen ihren Beinen verschlafen. Und viel hat sich verändert seit den frühen 1990er Jahren, in denen ich zum letzten Mal mit ihnen hier war.
An den Orteingängen schreien die Discounter: Wir haben den Sozialismus hinter uns gelassen. Die Fassaden haben ihre grauen Kleider abgelegt. Einwohner sind gegangen, Gäste gekommen. Der Wasserwandertourismus ist zum wichtigen Wirtschaftszweig geworden - was an dem liegt, das auch drei Jahrzehnte nach der Wende unverändert ist: ein uriges Geflecht aus dicht bewachsenen Havelläufen, ehemaligen Flößerkanälen und langestreckten Seen.
Die Seen entstanden vor 20.000 Jahren im Pleistozän, als unter der eisbedeckten Oberfläche das abfließende Schmelzwasser tiefe Rinnen hinterließ. Heute machen sie die Kleinseenplatte zum Paradies für Ferienkanuten, Hausbootkapitäne und für alle anderen, die den Rausch der Entschleunigung suchen.
Ferienkanuten im Rausch der Entschleunigung
Von unserem Haus in Pälitzhof sind es wenige Schritte zum Pälitzsee. An seinem Ufer beginnen und enden unsere Tage. Am Morgen, bevor die Motorboote ausrücken, ruht er glatt wie ein gespanntes Tischtuch. Am Abend, wenn der Schilf zuckende Schatten auf die sanften Wellen wirft, ist das Wasser wärmer als die Luft.
Der Große Pälitzsee ist direkt mit dem Kleinen verbunden, der Canower See schließt sich an. Das erlaubt ausgiebige SUP- und familienfreundliche Kanutouren ohne zu schleusen oder umzutragen. Der Einstieg an unserer Badestelle ist flach, der Boden feinsandig. Mächtige Kastanien haben zwischen Ufer uns Schafskoppel ihren Platz gefunden. Es gibt wenig Gründe dieses Kleinod zu verlassen.
Touren-Tipp
Für Kanuwanderer zählt eine Paddeltour auf der Schwaanhavel, auch Schwanhavel oder Schwanenhavel, zu den ganz besonderen Erlebnissen auf den Gewässern der Mecklenburgischen Seenplatte. Naturbelassen mäandert das kleine Flüsschen zwischen Havel (nahe der Wesenberger Schleuse) und Plätlinsee durch verwunsche Erlenbruchwälder. Unter anderem Eisvögel haben in diesem - für Motorboote gesperrten - Refugium einen Lebensraum gefunden. Für eine Tour bietet sich etwa ein Start ab der Kanumühle Wesenberg an. Wer nur einen halben Tag auf dem Wasser verbringen möchte, fährt von dort aus bis zum Plätlinsee und wieder zurück. Wer mehr Zeit und Ausdauer hat, verlängert den Ausflug bis nach Wustrow. Aber Vorsicht: Die Schwanenhavel ist zum Teil sehr flach. Die Tour ist also nichts für absolute Anfänger.
Einer davon ist das Schloss Rheinsberg. Wie als Postkartenmotiv erdacht, erhebt es sich am Ufer des Grienericksees. Ein Anblick, der schon Friedrich II. gefiel. Er soll hier seine glücklichsten Jahre verbracht haben. Auch wenn er zu dieser Zeit noch nicht „der Große“, sondern ein kleiner Kronprinz war, hat Friedrich Spuren hinterlassen. So künden Schloss- und Parkanlage bereits vom friderizianischen Rokoko, den er der „Alte Fritz“ später mit Sanssouci perfektionierte.
Levi interessieren weder Sichtachsen und Blumenarrangements noch das hier beheimate Kurt-Tucholsky-Museum. Er wirft Steine in den Schlossgraben. Und gewiss ging es mir als Kind nicht anders. Denn obwohl ich Rheinsberg aus dem Familienfotoalbum kenne, war jede Erinnerung an diesen Ort daran verblasst. Umso lohnender ist der erneute Besuch.
Mehr Erinnerungen weckt der Gaumen. Urlaub in Mecklenburg, das hieß schon immer: Fangfrischer Fisch kommt auf den Tisch. Den Besten essen wir im Fischereihof Ahrensberg. Wobei dieses Urteil sicher nicht ganz unbeeinflusst von der Lage ist: Bei traditionell über Erlenholz geräuchertem Saibling und Wels fällt der Blick von der Terrasse des Fischimbiss‘ wahlweise auf den umwaldeten Finowsee oder die historische Hausbrücke Ahrensberg. 1928 erbaut, ist sie heute Wahrzeichen der Region und die einzige ihrer Art in Norddeutschland.
Nach vier Tagen verlassen wir den Pälitzsee Richtung Norden, wo erst die Seen größer werden und dann die Felder. Schnell verliert die Landschaft das Märchenhafte. Levi schläft auf dem Rücksitz und träumt wahrscheinlich von Schafen, Wald und Booten. Meine Frau und ich sehen uns an und denken beide das gleiche: Die kleine Seenplatte ist doch ganz groß.