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Interview mit Manuel Möglich Eine Reise zu den bizarrsten Deutschland-Kulten der Welt

Pomerode, Brasilien
Grüß Gott in Pomerode! Die Einfahrt in die brasilianische Kleinstadt mutet sehr deutsch an
© mauritius images / robertharding / Michael Runkel
Der Journalist Manuel Möglich war auf fünf Kontinenten unterwegs, um deutsche Spuren zu suchen. Er feierte in Brasilien das Oktoberfest, traf DDR-Kinder in Namibia, schüttelte auf Samoa einem deutschen Häuptling die Hand. Was er dadurch über das Deutschlandbild im Ausland erfuhr, verrät er im Interview

Herr Möglich, auf Reisen möchte man ja nicht unbedingt mit dem Heimatland konfrontiert werden. Sie haben jedoch explizit in aller Welt danach gesucht. Warum?

Ich fragte mich, wie Leute über die Deutschen urteilen, die sich dem Land verbunden fühlen, jedoch von einer anderen Kultur sozialisiert wurden. Ich wollte wissen, wie es in den ehemaligen deutschen Kolonien und Ländern, die mit der deutschen Geschichte eng verflochten sind, heute aussehen mag und wie die Menschen dort über Deutschland denken. Da ich so etwas als Reisebericht noch nie gelesen hatte, versuchte ich mich daran. Ich war zudem von Christian Krachts Buch „Imperium“ angetan, eine verrückte Geschichte, die zur Kolonialzeit von Deutsch-Neuguinea spielt. Als mir dann auch noch ein Spiegel-Artikel über die Stadt Lüderitz in Namibia in die Finger fiel, wo angeblich noch Hitlers Geburtstag gefeiert wird, buchte ich sofort einen Flug.

Ist an Hitlers Geburtstagsparty was dran?

Das Gerücht hält sich hartnäckig. In der Öffentlichkeit deutete aber nichts darauf hin. Vorstellen kann ich es mir dennoch.

Insgesamt waren Sie auf fünf Kontinenten unterwegs, um Spuren deutscher Kultur zu suchen. Wo sind Sie überall fündig geworden?

Eigentlich überall. Vor allem aber in Namibia und in Brasilien, dort insbesondere im Bundesstaat Santa Catarina. Auf den beiden Reisen bin ich mit Deutsch häufig weiter gekommen als mit Englisch. Die Menschen sprechen nicht nur unsere Sprache, sie heißen auch noch Günter und Hans.

Was war Ihre bizarrste Begegnung?

Die mit Frau Schröder eines Morgens im Hotel Schröder war durchaus bizarr, einer alten Dame aus dem Städtchen Pomerode, der Ort mit der höchsten Dichte an Deutschstämmigen in Brasilien. Sie backt fast das ganze Jahr Weihnachtsplätzchen, die sie ihren Gästen zum Frühstück serviert. Die Nachfrage danach sei enorm, meinte sie.

In Brasilien ist das Oktoberfest in Santa Catarina sogar das zweitgrößte Volksfest - nach dem traditionellen Karneval. Die Straßen sind Schwarz-Rot-Gold geschmückt, die Menschen tanzen in Trachten zu Schlager. Wie erklären Sie sich das?

Das Oktoberfest ist zu einem Event geworden, das in vielen Ländern gefeiert wird. In Blumenau treiben sie es auf die Spitze. Es lässt sich ein wenig mit Halloween in Deutschland vergleichen – bloßer Partyanlass.

Rostock Ritz
"Rostock Ritz": Die Einfahrt zu einer Lodge in der Wüste Namib.
© Manuel Möglich

In Südwestafrika trafen Sie Namibier, die perfekt Hochdeutsch sprechen und von ihrer Kindheit in der DDR erzählten. Was für eine Lebensgeschichte steckt dahinter?

Die Eltern der rund 400 DDR-Kinder aus Namibia kämpften ab Ende der 70er einen Befreiungskampf gegen Südafrika, das damals das heutige Namibia verwaltete. Die SWAPO-Befreiungskämpfer trugen den sozialistischen und kommunistischen Gedanken in sich. Die DDR nahm die Kinder der Befreiungskämpfer auf, um ihre Ideologie zu schärfen, um sie danach zurückzuschicken.

Auf Samoa lernten Sie einen deutschen Häuptling kennen.

Der einzige deutsche Matai auf der Insel, so nennt man einen samoanischen Häuptling. Ein angesehener Titel, mit dem sich sogar der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland nicht schmücken darf. Der deutsche Häuptling ist allerdings erst in den 90ern ausgewandert. Wegen seiner guten Kontakte zu einflussreichen Familien und seinem Engagement machte man ihn zum Matai.

Viele der Spuren gehen in diesen Ländern auf die dunkle Kolonialzeit zurück. Wie denken die Nachfahren der Kolonialherren heute über Deutschland und ihre Identität?

Auf Samoa haben alle, mit denen ich gesprochen habe, von den Deutschen geschwärmt. Auch weil die Kolonialherren die Uniform auf das Archipel brachten und Samoaner angeblich sehr auf Uniformen stehen, die sie mit dem Lava-Lava kombinierten, eine Art Männerrock. Es gibt wohl keine andere Polizei in der Welt, die so einzigartig aussieht.

Und in Südwestafrika?

Obwohl im Namen des Deutschen Reichs ein Völkermord an den Stämmen der Herero und Nama stattfand, ist die weiße Bevölkerung durchaus stolzerfüllt, wenn es um ihre Identität und Vorfahren geht. Das bestehende Deutschlandbild in einigen Köpfen hat nicht viel mit der Realität gemein, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte habe ich oft vermisst.

Wie sehen das die einst Unterdrückten?

In Namibia haben sie die Geschichte natürlich nicht vergessen, hegen aber keinen spürbaren Groll auf Deutschland. Es hatte den Anschein, als würde sich die schwarze Bevölkerung so langsam emanzipieren und mehr Raum für die eigene Kultur fordern – bei meinem zweiten Besuch waren etliche Straßen nicht mehr mit den deutschen Namen ausgeschildert, ein strittiges Kolonialdenkmal wurde umgesetzt.

Schlägt sich der Rassismus denn noch deutlich nieder?

Bei vielen Älteren leider ja.

Leben die in der Vergangenheit oder gleich in einer Fantasiewelt aus einem verselbständigten Kult?

Überall findet man Ewiggestrige. Doch viele haben sich eine Art Fantasiedeutschland erschaffen und leben in einer Heimatfilmblase, ohne es selbst zu merken.

Manuel Möglich
Journalist und Autor Manuel Möglich.
© Benjamin Eichler

Manuel Möglich

Bekannt wurde der Journalist und Autor Manuel Möglich als Fernsehreporter mit seiner Serie "Wild Germany" auf ZDFneo. Darin begab sich der 38-Jährige mit größter Offenheit in die skurrilsten Milieus in Deutschland. Sein Buch "Deutschland überall - Eine Suche auf fünf Kontinenten" ist bei Rowohlt erschienen. Derzeit arbeitet er am nächsten Buch und an einer ARD-Reportage, die im Spätsommer ausgestrahlt wird.

Ist das Deutschland-Klischee noch von Bayern geprägt?

Ja. Obwohl vor allem junge Leute das Land vermehrt mit Berlin assoziieren was tatsächlich erfrischend ist.

Sie begegnen auch den schrägsten Ansichten immer offen. Haben Sie nicht auch einmal etwas entgegnet, wenn es zu problematisch wurde?

Doch, habe ich. Als ich einen deutschen Club in Londrina im brasilianischen Bundesstaat Paraná besuchte, führte ich ein verstörendes Gespräch mit Inge, der um die achtzig Jahre alten Gastgeberin. Im Buch nenne ich sie Nazi-Inge, wir diskutierten über unsere unterschiedlichen Ansichten.

Viele der Deutschland-Fans, die Sie trafen, waren ewig nicht mehr oder noch nie in Deutschland. Würde eine Reise dorthin ihre Illusion zerstören?

Ganz bestimmt. Mir wurde mehr als einmal erzählt, dass jemand aus der Familie irgendwann mal Deutschland besuchte und schlichtweg überfordert war.

Überhaupt werden überall vermeintlich deutsche Tugenden gelobt. Gerade gibt es eine Debatte über die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière formulierte deutsche „Leitkultur“. Muss man die demnach nicht eher im Ausland suchen?

Nicht unbedingt, aber der Blick von außen kann dabei helfen zu verstehen, wie sich Migranten oder Minderheiten fühlen. Die Menschen mit deutschen Wurzeln, die ich kennenlernen konnte, glorifizieren die Heimat ihrer Vorfahren. Sie krallen sich an deren Geschichte nicht selten fest, der frühere Herkunftsort der Urgroßeltern wird zu einem Anker, die Kultur romantisch verklärt - das fördert ihre „deutsche“ Identität. Nicht anders scheint es ja für viele Migranten in Deutschland, die sich auf ihren Ursprung fokussieren. Schwierig wird es, wenn unklar bleibt, wie ich mich verhalten sollte um dazugehören zu können. In Deutschland wurde das versäumt und ein paar Regeln könnten helfen, aber der Begriff „Leitkultur“ erscheint mir nicht nur unglücklich gewählt, sondern ist daneben und kaum förderlich.

Dieser Patriotismus im Ausland und der unreflektierte Umgang mit der Geschichte erzeugt bei Ihnen zurecht häufig Unbehagen. Gab es auch einen „gesunden“ Blick von außen auf das Land?

Natürlich, klar. Es gab reflektierende Momente, in denen meinen Gesprächspartner sich Strukturen und sogar die Bürokratie aus Deutschland wünschten. Und den Umgang und die Offenheit lobten - interessant wäre es zu erfahren, ob sich ihr Blick in den letzten beiden Jahren verändert hat. In Deutschland ist ein deutlicher Sinneswandel bei vielen Menschen in der Gesellschaft wahrzunehmen, wenn es um das Thema Weltoffenheit geht. Was bekommt man davon in Namibia mit und wie denken sie dort darüber?

Was haben Sie typisch Deutsches an sich selbst entdeckt?

Abgesehen von einigen klischeebehafteten Sekundärtugenden die innere Zerrissenheit in puncto Nationalstolz. Der ist unter Deutschen ja entweder gar nicht ausgeprägt oder schnell in einem unangenehmen Maß.

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