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Artenvielfalt Verkannte Schönheit: Eine Liebeserklärung an den Löwenzahn

Blühender Löwenzahn
Sinnbild der Lebensfreude: das intensive Gelb der Löwenzahnblüte
 
© Jan Håkan Dahlström / plainpicture
Er blüht betörend schön. Er ernährt Insekten. Er braucht keine besondere Pflege. Und wird trotzdem gehasst. Es ist Zeit für einen neuen, unverstellten Blick auf den Löwenzahn

Vielleicht ist es die perfekte Blüte: ein Kissen aus unzähligen, leuchtend gelben Blütenblättern. Eine Zierde jeder sattgrünen Frühlingswiese. Aus der Nähe betrachtet, eine verschwenderische Pracht. Nicht aus den Tropen oder den Gewächshäusern botanischer Gärten, sondern eine, die sich ganz von selbst einstellt: Der Löwenzahn dringt noch durch die kleinste Ritze im Asphalt, seine Blüten sind ein grandioses "Trotzdem", ein Statement der Natur auch an den unwahrscheinlichsten, unwirtlichsten Orten, inmitten von Industriebrachen, Agrowüsten, völlig zerstörten Landschaften. Und sogar in deutschen Vorgärten.

Die dulden ja traditionell nur Asphalt, Beton und Cotoneaster, allenfalls noch gefärbte Hackschnitzel und genormten Schotter aus dem Baumarkt, Drei-Zentimeter-Einheitsrasen und Begonien in Waschbetonkübeln oder aufgeschnittenen und lackierten Autoreifen. Die Partisanenschönheit des Löwenzahns ist hier nicht erwünscht. 

Nahaufnahme: Zwei Bienen auf einer Löwenzahnblüte
Nicht nur Honigbienen schätzen im Frühjahr den Nektar und den Pollen des Löwenzahns
© Paul Tessier / Stocksy United

Googelt man "Löwenzahn", findet man Verwendungs- und Verwertungsmöglichkeiten in der Hausapotheke und Küche, als Kautschukersatz für Autoreifen – und zahllose Tipps, wie man ihn vernichtet. Und zwar idealerweise endgültig, mit Hausmitteln und Giftmischungen, mit Spezialwerkzeugen ("Unkrautstecher"), die versprechen, das vermeintliche Übel an seiner dicken Wurzel zu packen und auszurotten. Als "Unkraut" gebrandmarkt, scheint der Löwenzahn das Böse unter der Sonne zu verkörpern. Dabei wissen die meisten Gralshüter*innen der Monotonie nicht einmal, was genau sie da eigentlich bekämpfen.

Verwirrende Biologie: Löwenzahn ist keine Art

Löwenzahn ist streng genommen keine Art, sondern die Bezeichnung einer, nunja, Verwandtschaft, die selbst für Fachleute nicht einfach zu entwirren ist. Was wir Löwenzahn nennen, ist nur ein Sammelbegriff, ein Gattungsname: Taraxacum. Es gibt in Deutschland 16 verschiedene Arten, die genau genommen allerdings keine Arten sind, sondern "Sektionen". Und die, wie sollte es anders sein, nur schwer voneinander zu unterscheiden sind. Um es noch verwirrender zu machen: Es gibt – einzigartig im Reich der deutschen botanischen Nomenklatur – noch eine weitere Gattung (Leontodon) die denselben Namen trägt: Löwenzahn. Deren Angehörige sehen aber ganz anders aus. Für Fachleute, zumindest.

Nahaufnahme der Samen des Löwenzahns
Von ihren fiedrigen Schirmchen lassen sich Löwenzahnsamen kilometerweit tragen 
© Deirdre Malfatto / Stocksy United

Sollen sich damit die Botanikerinnen und Botaniker herumschlagen. Richtig bleibt in jedem Fall: Die Blüte des Löwenzahns (es sind genau genommen rund 200 einzelne Blüten, so genannte Zungenblüten) ist geradezu verschwenderisch schön, sie bietet zahllosen Insekten im zeitigen Frühjahr willkommene Nahrung und – was die wenigsten wissen –: Sie duftet auch für uns Menschen zum Niederknien. (Versuchen Sie es mal. Haben Sie keine Angst, dass jemand Sie dabei beobachtet.) Sie schließt sich schützend bei Regen und Trockenheit, aber auch am Ende des Tages. Und dann ein letztes Mal, bevor sie uns über den Erfindungsreichtum der Natur staunen lässt: als Pusteblume.

Eigenartig, dass der Löwenzahn kaum je als das gewürdigt wird, was er ist: Ein strahlend schöner, dabei anspruchsloser Pionier, ein Sinnbild der Lebensfreude und -kraft. Ein Zeichen der Hoffnung.

Und falls sich Ihr Nachbar einmal über die Fallschirme beschwert, die als Botschafter des Lebens zu ihm herüberwehen: Seien Sie nachsichtig mit ihm oder ihr. Lächeln Sie. Wie eine Löwenzahnblüte.

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