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Tödliches Glas Studie: An Fensterscheiben sterben weit mehr Vögel als gedacht

Vogel fliegt gegen Fensterscheibe
Vögel, die ungebremst gegen Fensterglas fliegen, hinterlassen oft sichtbare Spuren. Was sich auf dem Glas abzeichnet, ist sogenanntes Federpuder, das die Federn geschmeidig und wasserabweisend hält
© William Mullins/Alamy/Alamy Stock Photos / mauritius images
Jedes Jahr verenden Millionen Vögel, weil sie ungebremst gegen Festerglas fliegen. Und es könnten weit mehr sein als bislang angenommen. Denn viele Tiere sterben, obwohl sie den Aufprall zunächst überleben

Wer kennt das nicht: Fast wären wir in eine geschlossene Glastür gelaufen. Weil wir die durchsichtige, aber harte Fläche einfach nicht als solche erkannt haben. Was für Menschen meist glimpflich abgeht, endet für Vögel oft tödlich. Und offenbar sind die Opferzahlen weitaus höher als bislang gedacht. Eine neue Studie aus den USA hat die Zahl der Vögel, die in Nordamerika nach einer Kollision mit einer Glasfläche sterben, auf mehr als eine Milliarde jährlich beziffert.

Statt nur die Zahlen aufgefundener Todesopfer zu addieren, haben die Autorinnen und Autoren der Studie einen anderen Ansatz gewählt: Sie sammelten Daten von Tierärztinnen und -ärzten, zu denen die verletzten Vögel gebracht worden waren. Aus über 3000 "Fallstudien" wurde deutlich: Auch Vögel, die kaum sichtbar verletzt sind, sterben oft kurze Zeit nach dem Aufprall. Selbst bei bester medizinischer Versorgung haben viele Tiere so schwere innere Verletzungen, dass sie sterben oder getötet werden müssen, um ihnen Leiden zu ersparen.

Zudem hindern von außen nicht erkennbare Verletzungen der Augen, Blutergüsse oder Knochenbrüche viele Zugvögel daran, ihre jährliche Wanderung fortzusetzen. "Selbst bei optimaler tierärztlicher Behandlung starben 60 Prozent der Kollisionsopfer letztendlich an ihren Verletzungen", sagt Hauptautorin Ar Kornreich von der Fordham University in New York. Das deute darauf hin, dass Vögel, die nach einer Kollision nur benommen wirken oder gleich wegfliegen, mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit sterben als bislang angenommen. Frühere Schätzungen bezifferten die Opferzahlen für die USA auf mindestens 365 Millionen und maximal 988 Millionen Tiere.

Glasscheiben tragen zum Artensterben bei

Angesichts weltweit schrumpfender Singvogelbestände ist die neu berechnete Todesrate ein ernüchternder Befund. "Unsere Arbeit zeigt leider, dass wir den Rückgang der Populationen nicht mit Rehabilitationsmaßnahmen beheben können. Wenn wir nichts gegen künstliches Licht und Glas unternehmen, werden wir in den USA weiterhin jährlich über eine Milliarde Vögel verlieren – ein Tribut, den unsere Ökosysteme nicht verkraften können", ergänzt Co-Autor Dustin Partridge von der New York City Bird Alliance.

In der Ostküsten-Metropole hat man das Problem schon erkannt. Hier muss seit 2021 bei allen Neubauten und großen Renovierungen vogelfreundliches Material verwendet werden, zum Beispiel weniger reflektierendes Glas. Zudem müssen nachts nicht erforderliche Außenbeleuchtungen an Gebäuden der Stadt ausgeschaltet werden. Mit Erfolg: Nach einer vogelfreundlichen Renovierung des Javits Convention Center in Manhattan wurden rund 90 Prozent weniger tote Vögel am Gebäude gefunden, wie die Naturschutzorganisation New York City Audubon berichtet.

Wie ist die Situation in Deutschland?

Auch im dicht besiedelten Deutschland kommen jedes Jahr zahllose Vögel an Fensterscheiben um. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten schätzt in einer Publikation aus dem Jahr 2017, dass zwischen 100 und 115 Millionen Vögel jährlich an Glasscheiben sterben. Einbezogen wurden nicht nur Wohnhäuser, sondern etwa auch Wartehäuschen mit Glasscheiben und oft großflächig verglaste Hochhäuser. Möglicherweise müssen nun auch diese Zahlen nach oben korrigiert werden, weil mehr Tiere unbemerkt oder trotz tierärztlicher Behandlung sterben.

Dabei sind unsichtbare Hindernisse nicht einmal die größte Gefahr für Singvögel in Deutschland: Nach Schätzungen sterben jährlich 200 Millionen Vögel in den Krallen von Katzen.

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