Herr Käsbohrer, sind das die ersten Unterwasseraufnahmen überhaupt von so einem Vorfall?
Die meisten Skipper haben zwar Equipment dafür an Bord, aber in dieser Qualität habe ich bisher noch nichts Vergleichbares gesehen. Meist sind die Crews viel zu sehr mit sich, dem Boot und der Situation beschäftigt, als dass sie auf die Idee kämen, ihre GoPro an einer Stange unter Wasser zu halten.
Die Annäherung der Orcas sieht eher spielerisch aus. Kann man hier überhaupt von einer "Attacke" sprechen?
Nein. Es ist eher ein Herantasten. Die allermeisten Yachten, die betroffen sind, haben ein freistehendes Ruder. Diese Yacht hat aber zwei schräg stehende Ruder. Das ist möglicherweise ein neues Faszinosum für die Tiere. Man sieht, wie sie sich das von allen Seiten genau anschauen. Sehr typisch für die Situation ist, dass die Tiere sehr ruhig vorgehen. Da ist nichts, was an Hollywood-Shocker wie den "Weißen Hai" erinnert.
Erst beim energetischen Ausblasen sieht man, dass auch irgend etwas anderes dahinter sein könnte. Bis auf einen Moment sieht man im Video auch keinen besonderen Krafteinsatz.
Ein Skipper spricht im Video von einem "scary moment". Können Sie die Angst der Besatzung verstehen?
Ich kann die Crew schon verstehen, denn bei einem solchen Rennen geht es um viel. Alles, was das Boot gefährdet, gefährdet ein jahrelanges Invest, jahrelanges Training und Vorbereitung. Ein Schaden am Material kann das Aus für die ganze Kampagne bedeuten.
Und hat die Crew nach Ihrer Einschätzung adäquat reagiert?
Mich hat erstaunt, dass die nicht besser ausgerüstet waren. Man hört an verschiedenen Stellen des Videos, wie offenbar mit Blechtassen oder Ähnlichem an Deck geschlagen wird. In Seglerkreisen kursiert die Empfehlung, mit einem Schöpflöffel auf den Mastfuß zu hämmern oder Bratpfannen aneinanderzuschlagen. Das ist eher niedlich, denn wenn Lärm bei den Orcas Wirkung entfalten soll, dann muss das Unterwasserlärm sein. Offenbar hatte die Crew sich vorher keine Gedanken gemacht, was zu tun ist, wenn ihr Boot wirklich mal von Orcas bedrängt wird.
Und was hilft wirklich?
Die neueste Empfehlung ist, wenn möglich, mit maximaler Geschwindigkeit in Gewässer mit einer Tiefe von weniger als 20 Metern zu fahren ...
... Was für die Crew in einem Rennen wohl nicht in Frage kam.
Verstehen wir anhand der Aufnahmen nun besser, was die Orcas eigentlich vorhaben?
Wir denken sehr auf uns bezogen, so wie die Crew jetzt auch. Das Gefühl ist: 'Der Orca kommt auf uns zu, der will was von uns.' Aber die Aktivität hat auch eine soziale Bedeutung. Es ist ein gemeinsames Agieren, ein gemeinsames Ausprobieren, Erforschen und Trainieren, auch ein Präsentieren des eigenen Könnens. Das Boot ist aus meiner Sicht für die Orcas eine Art Trainingsgerät. Orcas sind sehr experimentierfreudig. In Kanada balancierte mal ein Orca einen toten Lachs auf dem Kopf. Ein Jahr lang machten alle anderen Orcas in der Bucht das nach. Das ist wie eine Mode.
Kürzlich gab es einen Bericht über eine Begegnung mit einer Segeljacht von den Shetland-Inseln, 3000 Kilometer weiter nördlich. Überrascht Sie das?
Nein. Es gab schon im Januar eine Meldung eines deutschen Skippers, der vor der Küste Norwegens unterwegs war. Natürlich stellt sich die Frage, wie das Verhalten sich ausbreiten kann. Ich halte es für denkbar, dass ein geschlechtsreifes Männchen auf Brautschau dieses Verhalten an Tiere einer nördlicheren Population weitergegeben haben könnte.
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