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Nachwuchs ohne Sex Jungfernzeugung: Wer braucht schon Männchen?

Ein Spitzkrokodil, Crocodylus acutus
Das amerikanische Spitzkrokodil ist die erste Art aus der Ordnung der Krokodile, bei der Forschende eine Jungfernzeugung nachwiesen
© Gary corbett / Alamy Stock Foto
Bei Fischen, Schlangen, Echsen und Vögeln entwickeln sich immer wieder Junge aus unbefruchteten Eiern. Nun wurde das Phänomen erstmals bei einem Krokodil beobachtet. Das wirft die Frage auf: Konnten sich auch Dinosaurier fortpflanzen, ohne sich zu paaren?

In der Bibel ist die unbefleckte Empfängnis ein einmaliges, einzigartiges Werk Gottes. In der Tierwelt ist sie ein weitaus weniger wundersames Vorkommnis. Je genauer Forschende hinschauen, je leichter sie das Erbgut von Individuen entziffern können, desto mehr Fälle entdecken sie. Für Fadenwürmer und Blattläuse, Milben und Marmorkrebse ist sie der übliche Modus Operandi.

Doch auch unter Wirbeltieren, die zur Fortpflanzung normalerweise das Erbgut von Mutter und Vater kombinieren, tritt sie auf. Von etlichen Vögeln, Schuppenkriechtieren (Echsen und Schlangen) sowie Knorpelfischen (Haien, Rochen und Sägefischen) ist bekannt, dass sich gelegentlich aus unbefruchteten Eiern Nachwuchs entwickelt – ein Vorgang, der in der Biologie als fakultative Parthenogenese bezeichnet wird. Nun wurde er erstmals bei einer weiteren Ordnung von Reptilien beobachtet: den Krokodilen.

Ein Gelege trotz 16 Jahren Einsamkeit

Bei der Mutter handelt es sich um ein Spitzkrokodil-Weibchen, das 16 Jahre lang in einem Zoo in Costa Rica gelebt hatte, abgeschottet von jeglichen Artgenossen. Im Januar 2018 entdeckte das Zoo-Personal 14 Eier in ihrem Gehege. Sieben davon wurden künstlich ausgebrütet. Als nach drei Monaten noch kein Nachwuchs geschlüpft war, wurden die Eier geöffnet und untersucht. Eines enthielt einen voll entwickelten, aber toten weiblichen Fötus. Ein Team um Forschende des Chiricuhua Desert Museum in den USA analysierte daraufhin das Erbgut des Jungtiers. Es war nahezu identisch mit dem der Mutter; bei seiner Zeugung war also kein Vater im Spiel gewesen.

Um zu verstehen, wie das geschehen kann, muss man zuerst die genetischen Grundlagen der sexuellen Fortpflanzung betrachten. Die DNA, die unsere Erbinformationen trägt, ordnet sich in der Zelle zu Chromosomen an. Bei nahezu allen Wirbeltieren enthalten die Zellen des Körpers einen doppelten Satz an Chromosomen. Einzige Ausnahme sind die Keimzellen:  Ei und Spermium tragen nur eine einfache Ausfertigung in sich. Verschmelzen sie, findet also eine Befruchtung statt, besitzt das Ei wieder zwei Chromosomensätze. Erst erst jetzt kann aus ihr neues Leben entstehen.

Zur Jungfernzeugung benötigt die Eizelle also einen zweiten Chromosomensatz. Bei der Krokodil-Mutter aus Costa Rica wurde dieser nicht von einem Spermium, sondern durch einen Prozess namens "terminal fusion automixis" beigesteuert. Auch bei anderen zur Jungfernzeugung fähigen Arten scheint er verbreitet zu sein. Er vollzieht sich während des letzten Entstehungsschritts der Eizelle. Ihre Vorläuferzelle enthält noch einen doppelten Chromosomensatz. Teilt sie sich, wandert ein Satz in die fertige Eizelle, ein Satz hingegen in eine kleinere Zelle namens Polkörper. Normalerweise haftet dieser Polkörper am Ei, bis der Körper ihn schließlich abbaut. Verschmilzt er stattdessen mit dem Ei, enthält es nun wieder zwei Chromosomensätze – und kann sich zu einem Jungtier entwickeln.

Das Krokodil bringt dazu noch eine genetische Besonderheit mit: Über sein Geschlecht bestimmen keine Chromosomen (so wie es X- und Y-Chromosomen beim Menschen tun). Stattdessen entscheidet die Temperatur im Ei darüber, ob Männchen oder Weibchen schlüpfen. Der Fähigkeit zur Jungfernzeugung scheint das allerdings nicht im Weg zu stehen.

Sexuelle Fortpflanzung liefert genetische Vielfalt, bedarf aber eines Partners

Aus evolutionärer Perspektive ist die Jungfernzeugung ein Weg mit Vor- und Nachteilen. Er liefert nicht jene genetische Vielfalt, die sexuelle Fortpflanzung so verlockend macht; stattdessen sind die Jungen quasi Klone ihrer Mutter. Fakultative Parthenogenese scheint außerdem die Fitness der Nachkommen zu verringern: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass nicht lebensfähige Föten und Entwicklungsanomalien in Würfen oder Gelegen von Parthenogenen auftreten, und dass selbst äußerlich gesunde Individuen langfristig nicht gedeihen", schreibt das Forschungsteam in der Veröffentlichung zum Spitzkrokodil. Andererseits: Manche tun es, und zeugen sogar ihrerseits Nachwuchs. Die Jungfernzeugung ist damit eine attraktive Alternative, um den Fortbestand der Art zu sichern, wenn sich partout kein Paarungspartner auftreiben lässt.

Die Autoren und Autorinnen der Krokodil-Fallstudie vermuten, dass sich die Fähigkeit zur Parthenogenese schon sehr früh in der Evolutionsgeschichte der Reptilien entstand – immerhin gingen Vögel, Echsen, Schlangen und Krokodile allesamt aus derselben Entwicklungslinie hervor. Womöglich konnten also auch Pterosaurier und Dinosaurier bei der Fortpflanzung auf Männchen verzichten. Ein Forschungsteam, dass 2021 Jungfernzeugung bei Schlangen untersucht hatte, kam sogar zu dem Schluss, dass die Bedeutung fakultativer Parthenogenese "für die Evolution der Wirbeltiere unterschätzt wurde."

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