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Ungewöhnliche Senioren-WG Viehstall statt Pflegeheim: Mit Alpaka, Huhn und Schwein zu neuem Lebensmut

Bewohner Horst H.
An das Landleben musste sich Horst H. erst gewöhnen. "Am Anfang hat die Ruhe fast wehgetan", sagt er.
© Kai Kapitän
Statt im Heim auf ihr Lebensende zu warten, misten alte Menschen auf einem Bauernhof im Westerwald Ställe aus und sammeln Eier ein – trotz Demenz oder körperlicher Beschwerden. Können Landwirtschaft und Pflege auch anderswo gemeinsam funktionieren? 

Eigentlich ist Horst H. Stadtmensch. Mit seiner Frau lebte er sein ganzes Leben lang im Rhein-Main-Gebiet, beobachtete, wie die Städte im Laufe der Jahrzehnte in die Höhe und in die Breite wuchsen, wie immer mehr Flugzeuge starteten und landeten. Oft hob er damit selbst ab und flog um die Welt. H. arbeitete als Ausbilder für Wuchtmaschinen, es war die Zeit, in der die ersten Satelliten ins All geschossen wurden, sein Wissen sehr gefragt war. Die Geschäftsreisen nach Japan begeisterten ihn besonders. Das Judo, die Begrüßungszeremonien, die quirligen Städte – all das faszinierte H.

Jetzt lehnt sich Horst H. in einem Stall über ein halbhohes Holztor und hat seinen rechten Arm um ein weißbefelltes Alpaka gelegt wie um einen alten Freund. Einzelne Strohhalme haben sich auf seinen schwarzen Fleecepullover verirrt, es liegt Frühling in der Luft und der Geruch von Heu und Mist. Horst H. hat die Stadt gegen einen Bauernhof mitten im Westerwald eingetauscht. In Marienrachdorf, 1021 Einwohner, sieben Alpakas, drei Kaninchen, Rasse Deutscher Riese. "Am Anfang hat mich die Ruhe angesprungen", sagt H. "Das hat fast wehgetan." Inzwischen hat er sich daran gewöhnt. Der Bauernhof im Westerwald, er wird H.s letztes Zuhause sein. So wie er sich um die Alpakas kümmert, so kümmern sich Pflegerinnen und Pfleger um den 84-Jährigen und seine Mitbewohner. Horst H.s neue Heimat ist ein Pflegbauernhof. 

Die Landwirtschaft steckt in der Krise: Landwirte müssen immer größere Flächen für immer weniger Ertrag bewirtschaften, gesetzliche Auflagen erfüllen, gegen trockene Böden und Starkregen kämpfen, die der Klimawandel mit sich bringt. Kaum jemand kann sich noch dafür begeistern, einen Hof zu übernehmen. Auch die Pflege steckt in der Krise: Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Menschen versorgen, arbeiten im Akkord bis zur Überlastung und haben dennoch das Gefühl, den Pflegebedürftigen nicht gerecht zu werden. Kaum jemand kann sich noch dafür begeistern, in der Pflege zu arbeiten.

Guido und Alexandra Pusch haben in Marienrachdorf beide Welten zusammengeführt. Sie haben ihren Bauernhof so umgebaut, dass Seniorinnen und Senioren dort leben und gepflegt werden können, während sie sich gleichzeitig in den Hofalltag einbringen: Stall ausmisten, Eier holen, Honig abfüllen. Sie sind überzeugt: In der Landwirtschaft und in der Pflege ergeben Minus plus Minus ein Plus. Haben sie recht?

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