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Tiere fragen - Dr. Tatjana antwortet

Das Liebesleben der Tiere ist reich an Rekorden und Monstrositäten. Und deshalb brauchen sie gelegentlich Rat. Und den bekommen Sie auch - von der britischen Evolutionsbiologin Dr. Olivia Judson alias "Dr. Tatjana"

Inhaltsverzeichnis

Sexmüde in der Serengeti

Liebe Dr. Tatjana,

Wenn meine Löwin brünstig ist, will sie vier oder fünf Tage und Nächte alle halbe Stunde nur das eine: Sex. Ich bin völlig geschafft. Aber sie soll es nicht merken. Können Sie mir irgendetwas Leistungssteigerndes empfehlen?

Tiere fragen - Dr. Tatjana antwortet
© Daniel Matzenbacher

Sie sollten sich schämen. Ein großer, starker Löwe wie Sie müsste einmal im Jahr doch ohne solche Hilfsmittel auskommen. Unter Ihren Artgenossen soll es Kerle geben, die zwei Weibchen in 55 Stunden 157mal begattet haben.

Und Ihre Freundin leidet unter ausgeprägter Sexsucht. Die Symptome treten nicht nur bei Löwinnen auf. Auch die Frauen von Wanderratten, Goldhamstern und Kaktusmäuschen brauchen viel sexuelle Zuwendung - nicht nur zur Steigerung der Lust, sondern um überhaupt empfangen zu können.

Löwinnen gelten in dieser Beziehung als besonders anspruchsvoll. Fortpflanzungsexperten gehen davon aus, dass erst die sexuelle Stimulation den Eisprung auslöst und weniger als ein Prozent aller Kopulationen überhaupt zu einer Schwangerschaft führen.

Aber auch das gesellschaftliche Umfeld spielt wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Löwinnen leben im Familienverband. Zu diesem so genannten Rudel gehört gewöhnlich eine Gruppe von Männern, meistens Brüder. Sie sind die Väter sämtlicher Löwenbabys und beißen fremde Mähnenträger von "ihrem" Rudel weg. Vielleicht möchten die Frauen sich mit dem Virilitätstest davon überzeugen, dass die Beschützer im Vollbesitz ihrer Kräfte und damit in der Lage sind, das Rudel noch ein paar Jahre zu verteidigen.

Verschreckt in Gabun

Liebe Dr. Tatjana, mein Freund ist der hübscheste Bärenmaki, den ich je gesehen habe. Er riecht bezaubernd und hat die grazilsten Hände und Füße, die Sie sich vorstellen können. Nur eines befremdet mich an ihm: Können Sie mir erklären, warum sein Penis mit derart riesigen Stacheln besetzt ist?

Damit er Sie besser kitzeln kann, meine Liebe. Wenn Sie sich mal in seiner Verwandtschaft umsehen, werden Sie feststellen, dass Ihr Liebster kein Einzelfall ist: Galagos und viele andere Primaten dieser Gruppe besitzen monströse Penisse. Manche sehen aus wie mittelalterliche Folterinstrumente. Sie sind mit Stacheln, Höckern und Borsten gespickt, oft noch absonderlich verdreht. Sie müssen wissen, dass Penisse weit mehr Zwecken dienen als der Entwässerung oder Besamung. Ein Liebhaber, der es schafft, seine Partnerin so zu stimulieren, dass sie von seinen Spermien größere Mengen aufnimmt als von denen seiner Nebenbuhler, hinterlässt der Nachwelt mehr von seinem genetischen Erbe. Für Primaten und Insekten gilt als Faustregel, dass die Männer jener Arten, deren Frauen stets nur mit einem Partner Umgang haben, kleine, uninteressante Penisse besitzen. Werfen Sie doch mal einen Blick auf den Gorilla - ein Riesenkerl, mit einem winzigen Ding. Ein männlicher Gorilla kann mehr als 200 Kilo wiegen, aber sein Penis bringt es nur auf klägliche fünf Zentimeter Länge und weist keinen einzigen Höcker oder Stachel auf. Als Pascha eines Harems muss der Gorilla sich wenig sorgen über die Spermien irgendwelcher Rivalen. Daher nehme ich an, dass der Penis Ihres Gefährten so prachtvoll bestückt ist, weil Bärenmakifrauen gern mal fremd gehen. Doch ob Ihnen die Penisstacheln von der Evolution zur Lust oder zum Bürsten entwickelt wurden - finden Sie es doch einfach heraus!

Tiere fragen - Dr. Tatjana antwortet
© Daniel Matzenbacher

Ermattet in Indien

Liebe Dr. Tatjana, ich heiße Twiggy und bin eine Stabschrecke. Dass ich mich paare, während ich dies schreibe, ist mir peinlich. Aber mein Partner, der nun schon seit zehn Wochen mit nichts anderem beschäftigt ist, lässt kein Zeichen von Erschöpfung erkennen. Er sagt, er liebe mich so sehr. Aber ich glaube, er ist einfach verrückt. Was kann ich tun, damit er endlich von mir ablässt?

Wer hätte gedacht, dass eine Stabschrecke zu den unermüdlichsten Liebhabern der Welt gehört? Zehn Wochen! Ich kann verstehen, dass Sie ihn satt haben. Doch Ihr Verdacht, meine Liebe, stimmt nur zum Teil. Ihr Geliebter ist verrückt - aber nicht vor Liebe, sondern vor Eifersucht. Indem er pausenlos mit Ihnen kopuliert, kann er sichergehen, dass Ihnen kein Konkurrent zu nahe kommt. Ihr Fall ist extrem, aber kein Einzelfall. Die Männer vieler Arten legen gegenüber ihren Partnerinnen ein äußerst besitzergreifendes Verhalten an den Tag. Nicht ohne Grund. Denn bei jeder sich bietenden Gelegenheit treiben es die Mädels mit dem nächstbesten Kerl. "Nicht doch", höre ich Sie einwenden. "Ist es nicht ein allgemein anerkanntes Naturgesetz, dass Männer promiskuitiv, Frauen aber keusch sind?"

Diese Ansicht war in wissenschaftlichen Kreisen lange verbreitet. Aber in den 1980er Jahren ist ein raffiniertes genetisches Analyseverfahren entwickelt worden. Seitdem ist klar, wer wessen Kinder gezeugt hat. Fazit: In der gesamten Tierwelt - von den Ameisen bis zu den Zaunkönigen - gibt es kaum treue Frauen. Übrigens auch nicht bei den Stabschrecken.

Enteiert in Vancouver

Liebe Dr. Tatjana, es ist ein Fiasko. Ich bin ein Dreistachliger Stichlingsmann, bewache meine Eier und höre plötzlich ein Geräusch. Nur eine Sekunde lang wende ich mich um, und als ich wieder hinsehe, sind alle Eier gestohlen. Wer kann so etwas Schreckliches tun, und wie kann ich verhindern, dass sich das Verbrechen wiederholt?

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© Daniel Matzenbacher

Eierräuber - ein altes Problem. Mehr als aufpassen können Sie nicht. Weibchen vieler Fischarten laichen gern in ein Nest, in dem bereits Eier liegen. Das scheint ihnen zu beweisen, dass es sich um einen sicheren Hort han-delt und der Mann, der es bewacht, besonders männlich ist und seine Vaterrolle ernst nimmt. Erfolg zieht Erfolg an, könnte man sagen. Bei Stichlingen zieht Erfolg allerdings auch häufig Diebe an. Der Räuber wird die Eier höchstwahrscheinlich in sein eigenes Nest tragen, damit er vorgeben kann, er sei einer von den begehrten Übervätern. Am schlimmsten ist der Umstand, dass dieses Verhalten oft genug belohnt wird. Bei Arten wie der Ihren scheint es den Frauen egal zu sein, wie ein Mann an den Laich in seinem Nest gelangt ist. Sie fragen nicht nach Herkunftsnachweisen, sondern halten sich an die Burschen mit den meisten Eiern. Es ist wie überall auf der Welt: die anständigen Jungs kommen immer zu kurz.

Beklommen in Norfolk

Liebe Dr. Tatjana, ich heiße Jerome, bin ein Teichhuhn und mache mir ernste Sorgen über das brutale Verhalten der Mädels meiner Spezies. Das sind keine netten Hühnchen, sondern Harpyien. Beim geringsten Anlass gehen sie in die Luft und bearbeiten einander mit den Krallen. Warum rasten Frauen so leicht aus, und wie kann ich verhindern, dass sie sich umbringen?

Seien Sie unbesorgt: Die Frauen der meisten Arten sind viel zu vernünftig, um sich gegenseitig abzuschlachten. Wenn es doch mal zum Kampf auf Leben und Tod kommt, dann geht es gewöhnlich nicht um einen Mann, sondern um etwas Wichtiges - zum Beispiel ein Haus. Selbst wenn sich die Junggesellen in Scharen anbieten, streiten und zanken die Mädels um jene Burschen, die attraktiver sind als andere. Es ist eine alte Geschichte: Jede möchte sich den reichen Erben angeln, der arme picklige Junge gefällt keiner.

Genau darum geht es auch bei Ihren Teichhühnchen, Jerome. Alle sind auf den kleinsten, fettesten Kandidaten scharf, nicht auf die großen Schlaksigen. Wenn also die Hennen sich in die Federn geraten, sobald Sie auftauchen, müssen Sie hinreißend mollig sein. Warum diese Vorliebe für kleine runde Partner? Weil bei Teichhühnern von alters her die Hähne den Nachwuchs ausbrüten, und das zehrt auf Dauer gewaltig. Zumal zwischendurch kein Imbiss gereicht wird. Nur fette Männer halten bis zum Schluss Eier und Küken warm, während die Dünnen zusehends schwächeln. Aus diesem Grund - und weil Frauen mit dicken Partnern es sogar auf mehr als ein Gelege pro Saison bringen können - lohnt es sich, für den Molligsten in den Ring zu steigen.

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© Daniel Matzenbacher

Angstvoll in Amboseli

Liebe Dr. Tatjana, vielleicht können Sie mir helfen. Ich weiß nicht, was plötzlich mit mir los ist. Ich bin ein 27-jähriger Afrikanischer Elefant - und ständig wütend. Wenn ich nur einen anderen Elefantenbullen sehe, möchte ich ihn am liebsten umbringen. Außerdem denke ich immer nur an DAS EINE. Nacht für Nacht habe ich erotische Träume, und der Anblick einer schönen Elefantenkuh bringt mich völlig aus der Fassung. Das Schlimmste aber: Mein Penis hat sich grün verfärbt. Bin ich noch zu retten?

Tiere fragen - Dr. Tatjana antwortet
© Daniel Matzenbacher

Unkontrollierbare Aggression; sexuelle Obsession; krankhafte Selbstbeobachtung - das hört sich vollkommen normal an für einen jungen Burschen Ihrer Spezies. Ihr Pech, dass sich vermutlich in den nächsten 20 Jahren an diesem Zustand nichts ändern wird. Elefantenfrauen bevorzugen nämlich ältere Partner.

Bis Sie ein Stück gewachsen sind, werden die Kühe vor Ihnen davonlaufen und laut um Hilfe trompeten, damit einer der älteren Bullen aus der Nachbarschaft Sie vertreibt - oder verprügelt. Bei Elefanten, die wie Sie zu bestimmten Zeiten des Jahres von einem Hormongewitter gebeutelt werden, das man als "Musth" bezeichnet, steigt der Testosteronspiegel auf das Fünffache des normalen Wertes - was sich deutlich auf ihr Verhalten auswirkt. Neben den von Ihnen beschriebenen Symptomen wedeln Bullen mit den Ohren, schütteln den Kopf und sondern ständig Tropfen stark riechenden Urins ab - weshalb ihr Penis diese grünliche Färbung annimmt.

Bei jungen Männern dauert der Anfall nur Tage, bei älteren Bullen bis zu vier Monate.

Mein Rat an einen unerfahrenen jungen Hüpfer wie Sie lautet daher: Wer kämpft und flieht, der hat gut lachen, denn er kann später Hochzeit machen.

GEO Nr. 05/97

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