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Spektakuläre "Science"-Studie Neu entdeckte Superalge könnte die Landwirtschaft revolutionieren

Die Alge Braarudospharea bigelowii in 1000facher Vergrößerung. Der schwarze Pfeil zeigt auf ein Zellorgan, das sich im Laufe der Evolution aus einem Bakterium entwickelt hat und Stickstoff aus der Luft gewinnen kann
Die Alge Braarudospharea bigelowii in 1000facher Vergrößerung. Der schwarze Pfeil zeigt auf ein Zellorgan, das sich im Laufe der Evolution aus einem Bakterium entwickelt hat und Stickstoff aus der Luft gewinnen kann
© Tyler Coale
Forschende haben eine Alge näher untersucht und entdeckt, dass sie gleich zwei Sensationen birgt: Sie besitzt ein noch unbekanntes Zellorgan und kann Stickstoff aus der Luft gewinnen. Ließe sich diese Fähigkeit auf Nutzpflanzen übertragen, könnte das gigantische Mengen an umweltschädlichem Kunstdünger einsparen

Die Biobücher könnten umgeschrieben werden: Ein Forschungsteam ist auf eine bislang unbekannte Lebensform gestoßen, die gasförmigen Stickstoff in lebenswichtige Verbindungen umwandelt. Nach bisherigem Wissen sind nur Bakterien und ähnliche Mikroorganismen (Archaeen) dazu fähig. 

Doch nun entdeckte das Team um Jonathan Zehr von der University of California dass eine Meeresalge auf besondere Weise mit einem Cyanobakterium namens UCYN-A fusioniert ist. Das Bakterium lebte ursprünglich wohl im Inneren der Alge. Im Laufe der Evolution hat es jedoch so viele Gene verloren, dass es der Alge nun als Organell dient, als eine Art Mini-Organ.

Das Fachblatt "Science" hat die Studie zu dem stickstoffbindenden Organell sogar zur Titelstory erhoben. Nach Meinung der Forschenden können ihre Erkenntnisse einmal zur Entwicklung von Pflanzen beitragen, die ihren eigenen Dünger herstellen – und damit die Welternährung revolutionieren.

Der Mechanismus ist bereits von Chloroplasten bekannt

Die Forschenden nennen das neue Organell "Nitroplast". Das ist eine Wortkombination aus Stickstoff (englisch "nitrogen") und Chloroplasten. Chloroplasten sind jene grünen Zellorganellen der Pflanzen, die mittels Photosynthese Kohlendioxid in Sauerstoff und Kohlenstoff umwandeln. Deren Vorläufer – auch ein Cyanobakterium – war ebenfalls in eine größere Zelle eingewandert, aus der später alle Pflanzen hervorgegangen sind.

Derartige Organellen, die aus einer zellulären Lebensgemeinschaft (Endosymbiose) entstanden, besitzen meist die Fähigkeit, sich in der Wirtszelle bei Bedarf eigenständig zu vermehren. Darum können etwa Pflanzenzellen abhängig von den Lichtverhältnissen unterschiedlich viele grüne Chloroplasten besitzen. Außerhalb ihrer Wirtszelle sind Organellen nicht lebensfähig. 

Der Nitroplast verhält sich wie ein echtes Organell

Bislang nahmen Forschende an, dass das Cyanobakterium UCYN-A als eigenständiger "Endosymbiont" in der einzelligen Meeresalge Braarudosphaera bigelowii lebt und diese mit Stickstoff versorgt. Doch nun haben die Forschenden genauer hingeschaut: Die Verbindung ist demnach mehr als nur eine Symbiose zwischen zwei Lebewesen.

Bereits im März schrieb ein Team um Zehr im Fachjournal "Cell", dass die Wachstumsraten der Alge und des Cynobakteriums synchronisiert sind. Es bezeichnete das Bakterium als "organellenähnlich". Die "Science"-Studie zeigt nun unter anderem, dass das Cyanobakterium eine Reihe von Proteinen aus seinen Wirtszellen aufnimmt, die es selbst nicht produzieren kann, weil es keine Gene mehr dafür hat.

Auch wir Menschen haben Endosymbionten in unseren Zellen

"Das ist eines der Kennzeichen dafür, dass sich etwas von einem Endosymbionten zu einem Organell entwickelt", sagte Zehr. "Sie fangen an, DNA-Stücke wegzuwerfen, und ihre Genome werden immer kleiner." Auf diese Weise werden Endosymbionten laut Zehr nach und nach abhängig davon, dass die Mutterzelle sie versorgt. 

Zellteilung der Alge
Wann immer die Alge sich durch Zellteilung vermehrt, teilt sich auch der Nitroplast (hellblau). Der rundliche Zellkern (dunkelblau) enthält das Erbgut der Alge. Zwei Chloroplasten (helllila) und mehrere Mitochondrien (grün) leben ebenfalls im Zellinneren
© Valentina Loconte

So fehlen dem Nitroplasten zum Beispiel Proteine, die etwa zum Bau von bestimmten Genbausteinen nötig sind. Etwa die Hälfte der 2000 Proteine des Nitroplasten erhält er von der Algenzelle. Auch teilen sich Algenzelle und Nitroplast synchron: Jede neue Alge erhält genau einen Nitroplasten. Das Cyanobakterium UCYN-A konnte zudem noch nie einzeln im Labor kultiviert werden. Offenbar hat es bereits ein evolutionäres Stadium erreicht, in dem es allein nicht mehr lebensfähig ist.

Dass Endosymbionten zu Organellen werden, ist extrem selten

Es sei rar, dass Organellen aus solchen Endosymbionten entstehen, sagt Erstautor Tyler Coale: "Das erste Mal, glauben wir, geschah es, als sich alles komplexe Leben entwickelte", sagt Coale mit Blick auf die Mitochondrien. Diese Kraftwerke der Zellen, die auch wir Menschen besitzen, wandeln Nahrung in Energieträger um. "Alles Kompliziertere als eine Bakterienzelle verdankt sein Dasein diesem Ereignis", ergänzt Coale. 

"Vor etwa einer Milliarde Jahren geschah es erneut mit den Chloroplasten, und das brachte uns die Pflanzen." Vor rund 60 Millionen Jahren verband sich ein weiteres photosynthesefähiges Cyanobakterium mit einer Amöbe. Der Nitroplast ist demnach das vierte Beispiel für dieses sehr seltene Ereignis. Nach Angaben der Universität könnte er vor etwa 100 Millionen Jahren entstanden sein.

Der Nitroplast bietet enormes Potenzial für die Landwirtschaft

Die Studie zeige, dass sich das Cyanobakterium von einem Symbionten zu einem Organell für die Stickstofffixierung – dem Nitroplasten – entwickelt habe, bekräftigt Ramon Massana vom Institut de Ciències del Mar (CSIC) in Barcelona in einem "Science"-Kommentar.

Damit sei eine Fähigkeit, von der angenommen wurde, dass nur Bakterien und Archaeen darüber verfügen, auf höhere Lebewesen ausgeweitet worden. "Dieses System bietet eine neue Perspektive für die Stickstofffixierung und könnte Anhaltspunkte dafür liefern, wie ein solches Organell in Nutzpflanzen eingebaut werden könnte", so Coale.

Kunstdünger verbrauchen Unmengen Energie und schaden der Umwelt

Um zu verstehen, warum der Nitroplast die Forschenden so sehr in Euphorie versetzt, muss man wissen, dass alle Lebewesen auf Stickstoff angewiesen sind. Stickstoff ist der Grundbaustein von Eiweißen, die Mensch und Tier etwa zum Aufbau von Gehirnzellen oder Museklfasern benötigen. Und jedes Eiweiß, das auf unserem Teller landet, stammt letztlich aus Pflanzen. Die benötigen ebenfalls Eiweiß, um zu wachsen. Pflanzen synthetisieren Eiweiß ihrerseits aus Stickstoffverbindungen, die sie über die Wurzeln aufnehmen.

Aus diesem Grund sind Stickstoffverbindungen wie Ammonium oder Nitrat der Hauptbestandteil kommerzieller Kunstdünger. Solche Kunstdünger stellen die Ernährung von Milliarden Menschen sicher. Sie haben jedoch unter anderem den Nachteil, dass sie das Grundwasser belasten und gigantische Mengen Energie für Herstellung und Transport aufgewendet werden müssen. 

Denn bei der Produktion von Kunstdünger wird mittels des sogenannten "Haber-Bosch-Verfahrens" gasförmiger Stickstoff aus der Luft (N2) in lösliche Verbindungen umgewandelt, die die Pflanze aufnehmen kann. Dieser Prozess ist enorm energieintensiv und für rund 1,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

Auch Leguminosen können Stickstoff aus der Luft binden

Zwar können einige Pflanzenarten (sogenannte "Leguminosen") zu denen etwa Bohnen, Klee und Linsen zählen, schon heute Stickstoff aus der Luft nutzen – allerdings nur indirekt. Sie gehen dazu eine Symbiose mit bestimmten Bodenorganismen (Knöllchenbakterien) ein, die sich dazu sogar in den Pflanzenwurzeln ansiedeln.

Diese Knöllchenbakterien holen den Stickstoff aus der Atmosphäre und übergeben ihn der Pflanze. Im Gegenzug erhalten die Bakerien energiereichen Zucker, den die Pflanze aus der Fotosynthese gewinnt und ihren Helfern zur Verfügung stellt. Denn auch die Bakterien benötigen für den Prozess der Stickstoffbindung Energie.

Forschende wollen eine unerschöpfliche Stickstoffquelle anzapfen: die Atmosphäre

Schon lange suchen Forschende nach Wegen, diese Fähigkeit auch anderen Nutzpflanzen wie Weizen, Reis oder Mais mithilfe gentechnischer Methoden zu verleihen. Diese könnten dann eine quasi unerschöpfliche Stickstoffquelle anzapfen: Denn die Atmosphäre, die unseren Planeten umgibt besteht zu rund 80 Prozent aus Stickstoff. Der Nitroplast soll, so die Hoffnung, den entscheidenden Schlüssel hierfür liefern.

Der Alge Braarudospharea bigelowii hat der Nitroplast jedenfalls schon jetzt zu enormem Erfolg verholfen: Sie ist in allen Ozeanen der Welt verbreitet.

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