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Entfremdung Geliebte, entfremdete Wildnis: Über unser gestörtes Verhältnis zur Natur

Yosemite National Park. California, USA.
Natur auf Breitwand: Im Yosemite-Nationalpark erlebt das Publikum die kalifornische Gebirgswelt von der ersten Reihe aus – wie im Kino
© Zed Nelson
Der Mensch ist Teil der Natur und sehnt sich nach ihr. Auf der anderen Seite fürchten wir die Wildnis, haben sie großteils in Reservate verbannt. Wieviel Natur wollen wir wirklich – und wieviel brauchen wir?



Mein Lieblingsschild im deutschen Warn- und Hinweiszeichendickicht steht in Niedersachsens Wäldern: In rot-weißen Alarmfarben zeigt es einen mächtigen Ast, der splitternd vom Baum bricht und einen Menschen am Kopf trifft. Das Opfer stürzt, Finger abgespreizt, Mund geöffnet, nach hinten (und wohl ins Jenseits). Unübersehbar warnt die Landesforstverwaltung: "Achtung! Totholz – Lebensgefahr!". Und erklärt: "Aus ökologischen Gründen werden hier alte und tote Bäume nicht gefällt. Diese können jederzeit umstürzen oder auseinanderbrechen."

Ich sehe dieses Schild häufiger und freue mich jedes Mal, nicht nur über seine Max-und-Moritz-Ästhetik. Denn abgesehen von der ansprechenden Wortkombination aus "Totholz" und "Lebensgefahr" kündet es ja davon, dass unsere Wälder wieder wilder werden. Dass die Natur zurückkehren darf. Aber der Subtext ist ein anderer: Der Wald, sofern aus menschlicher Nutzung entlassen, wird zu einem bedrohlichen Ort. Das Schild steht auch für eine Entfremdung – für eine Angst vor der Natur, die offenbar um sich greift: Wenn Wälder verwildern, wird Natur gefährlich.

American Museum of Natural History, New York, USA
Ein gefahrloser Ausflug in die Prärie: Die Bisonherde grast im American Museum of Natural History in New York
© Zed Nelson

Wir haben Wildnis, von wenigen Restbeständen abgesehen, in Reservate verbannt. Im "Nationalpark" wird sie feierlich beschworen, als "unser Naturerbe". Dort können wir sie besichtigen, oft bequem vom Auto aus. Natur als Fotokulisse: Es ist diese Art distanzierter Landschaftsschau, die Zed Nelson in seinen Bildern vor Augen führt. Alles wie hinter Glas, gefühlt, oder tatsächlich: Natur im Schaukasten. 

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