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Bauernproteste "Der Frust hat auch mit Angst und Perspektivlosigkeit zu tun"

Traktor Konvoi gegen Subventionskürzungen in Nordhessen
Während einer "Aktionswoche" machen Bauern im ganzen Land ihrem Unmut Luft
© dpa / picture alliance
Treckerkolonnen und wütende Parolen: Über die aktuellen Bauernproteste sprachen wir mit dem Landwirt Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Und fragten ihn, was jetzt passieren muss

GEO: Herr Schulz, die aktuellen Proteste richten sich gegen Maßnahmen, die inzwischen teilweise schon wieder kassiert wurden. Demonstriert wird trotzdem, teils mit wütenden Parolen. Verstehen Sie das?

Martin Schulz: Ja, ich verstehe den Frust. Und der hat nicht nur mit dem Agrardiesel, sondern auch mit einer Angst und einer Perspektivlosigkeit der Landwirte zu tun. Im Moment ist für viele einfach unklar, wohin die Reise gehen soll. Viele wissen nicht, wie sie ihre Betriebe entwickeln sollen – es sei denn, sie sind schon Mitte 50 und wollen den Betrieb ohnehin auslaufen lassen. 

Kürzlich wurde Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Urlaub von Landwirten bedrängt, weite Teile des Straßenverkehrs in Deutschland wurden lahmgelegt. Ist das noch zu rechtfertigen?

Nein, es gibt schon Protestformen, die aus meiner Sicht völlig überzogen sind. Eine Ampel am Galgen ist unangebracht. Politiker und Politikerinnen zu bedrängen genauso. In meinem Landkreis in Niedersachsen wurde kürzlich der Hof der Landwirtschaftsministerin blockiert. So was ist inakzeptabel, und es dient der Sache auch nicht. Wir haben Politiker und Politikerinnen auf unserer Seite, die unsere Anliegen unterstützen. Mit solchen Aktionen verlieren wir sie.

Soziale Netzwerke und Demonstrationen der Landwirt*innen werden offenbar von Rechtsaußen unterwandert oder für eigene Zwecke instrumentalisiert. Gibt es eine ausreichende Abgrenzung?

Es gibt vermutlich in jeder Berufsgruppe Menschen, die rechtes Gedankengut pflegen, aber ich habe mittlerweile den Eindruck, dass die Bauern und Bäuerinnen sich von Rechtsaußen abgrenzen. Ich kenne viele, die in sozialen Medien ein Banner mit dem Text "Widerstand ist bunt und nicht braun" gepostet haben. Die Junge AbL hat ein Video gemacht, in dem sie sich von rechts ganz klar abgrenzt. Das ist total durch die Decke gegangen. Bei uns in der Gegend haben sich kürzlich AfD-Leute in eine Treckerkolonne gemischt und ihre Banner ausgerollt. Aber die Bauern haben das unterbunden. Sie wollen nicht für parteipolitische Interessen benutzt werden.

Die AbL vertritt die Interessen der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. Mit welchen Problemen haben die aktuell zu kämpfen?

Die kleinen Betriebe kämpfen schon seit Jahren damit, dass sie weniger Subventionen bekommen, weil die an die Fläche gebunden sind. Aber auch die Dieselbeihilfen sind für kleine Betriebe einkommenswirksam. Bei einem Gewinn von, sagen wir, 30.000 Euro entsprechen 2000 Euro mehr als sechs Prozent. Darum haben wir als AbL gesagt, wenn man nicht umhinkommt, beim Agrardiesel zu kürzen, dann bitte nicht linear, sondern degressiv. Also so, dass zum Beispiel Beihilfen nur noch für die ersten 10.000 Liter bezahlt werden. So etwas gab es schon einmal, unter einer rot-grünen Bundesregierung.

Die AbL fordert in einem Sechs-Punkte-Plan zuerst faire Preise für Milcherzeuger. Können Sie das mal erklären?

Der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation der Europäischen Union gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, Verträge zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Molkereien verpflichtend einzuführen. Milchviehhalterinnen und -halter könnten dann zum Beispiel am Anfang des Jahres festlegen, welchen Milchpreis sie bei ihrer Kostenstruktur brauchen, und die Molkerei verpflichtet sich, für einen gewissen Zeitraum diesen Preis zu zahlen. Wenn ich als Milchviehhalter Preise bekomme, die die Erzeugungskosten decken, dann brauche ich vielleicht gar keine Subventionen. Aus meiner Sicht muss es da eine politische Intervention geben, aber ich bin mittlerweile pessimistisch, dass die Politik das überhaupt will. Wenn Lebensmittelpreise steigen, wirkt sich das sofort auf die Inflation aus.

Dass immer mehr Betriebe aufgeben müssen, ist nicht nur der aktuellen Regierung anzulasten. Warum wehren sich Bäuerinnen und Bauern nicht schon seit Jahrzehnten gegen eine Agrarpolitik, die für das Höfesterben mitverantwortlich ist?

Der Bauernverband hat es immer geschafft, das "Wachsen oder weichen"-Denken auch bei kleineren Betrieben zu verankern. Und viele haben gesagt, wir hören sowieso irgendwann auf. Es wurde als gegeben hingenommen.

Hat es denn niemanden gestört, dass Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren gehen?

Die landwirtschaftlichen Betriebe haben immer versucht, steigende Kosten bei stagnierenden Preisen durch eine Steigerung der Produktivität zu kompensieren. Indem zum Beispiel eine Person immer mehr Kühe gemolken oder Schweine gefüttert hat. Als ich vor 30 Jahren Landwirtschaft gelernt habe, war das ein gegebenes System: Wer in der Landwirtschaft überleben will, muss die Produktivität steigern. Und wer da nicht mithalten kann, muss aussteigen.

Aber wir kommen jetzt an die Grenzen dieser Steigerung, weil die Gesellschaft sagt: Wie ihr eure Tiere haltet, ist nicht akzeptabel. Und durch immer größere Flächen und immer rationellere Bewirtschaftung ist auch die Artenvielfalt auf dem Acker geschwunden.

An Ideen zur Finanzierung von mehr Platz im Stall fehlt es nicht. Die Borchert-Kommission, die sich inzwischen aufgelöst hat, schlug eine Tierwohl-Abgabe vor. Es gibt auch den Vorschlag, die Verringerung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für tierische Produkte abzuschaffen.

Das würde ungefähr die Summe einspielen, die für den Umbau der Tierhaltung nötig ist. Aber Steuererhöhungen sind mit der FDP nicht zu machen. Stattdessen gibt es aus dieser Partei Forderungen, auch noch die für die Stallumbauten eingeplante Milliarde im Bundeshaushalt einzusparen. Daran kann man ermessen, wie wichtig dieser Partei der Umbau der Tierhaltung ist.

Am 20. Januar wollen Sie in Berlin selber demonstrieren, als Teil eines großen Bündnisses. Um was geht es?

Es geht dem Bündnis "Wir haben es satt!" seit 2011 darum, eine Transformation der Landwirtschaft voranzutreiben, die aus unserer Sicht nötig ist. Ethische oder ökologische Probleme wie Tierschutz, Bodenverarmung und Biodiversitätsverlust bekommen wir nicht mit Ordnungsrecht in den Griff. Landwirtschaftliche Betriebe erbringen über die Erzeugung von Lebensmitteln hinaus gesellschaftliche Leistungen, die honoriert werden müssen. Aus unserer Sicht muss die Politik hier endlich umsteuern. Die jetzige Agrarpolitik ist nicht zukunftsfähig.

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