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Ernährungsgewohnheiten Warum wir keine Hunde mehr essen. Eine kleine Geschichte der Tischsitten

Mahlzeit im Mittelalter
Das letzte Abendmahl, wie es sich ein Künstler um 1325 vorgestellt hat. Nahrungstabus sind sehr oft religiös motiviert
© Heritage Images / picture alliance
Das Messer immer rechts, mittags bitte Braten und bloß kein Hundefleisch – was für die einen völlig normal ist, finden andere absolut unanständig. Denn die Regeln, die unsere Ernährung bestimmen, sind vor allem: beliebig

Knallharte Regeln bestimmen unsere Mahlzeiten. Es gibt eine Gabel für Fisch, für Dessert und für normal, und sie soll immer links neben dem Teller liegen – außer sie ist das einzige Besteck, dann liegt sie rechts. Mit dem Messer ist es auch nicht einfacher, das darf man nicht mal zum Mund führen. Und bitte nicht die Pasta mit dem Löffel reinschaufeln! Der darf nur in Suppe oder Pudding getunkt werden, sonst gilt seine Verwendung als unfein.

Das macht Sinn, denn Regeln bringen Ordnung in die Dinge. Und Nahrung, unser alltäglichstes Gut, begleitet uns schließlich ständig. Sie bietet also viele Möglichkeiten, um sich Vorschriften und Rituale auszudenken. Die sich dann anfühlen, als gehöre das sich eben so – obwohl sie doch vor allem von der jeweiligen Zeit und Kultur abhängen, in der ein Mensch lebt. Denn das, was wir hier und jetzt unter "normal“ verstehen, ist keinesfalls immer so gewesen oder muss automatisch so sein.

ein edel gedeckter Tisch mit Besteck und Servietten
Spott, Jobverlust, sozialer Ausschluss: Wer sich nicht an Benimmregeln hält, kann sich viel Ärger einhandeln
© Photoshot / picture alliance

Komisch zum Beispiel, dass wir so auf den richtigen Gebrauch von Messer und Gabel bestehen – schließlich isst die Mehrheit der Weltbevölkerung bis heute mit den Fingern. Eine zweite Gruppe nimmt man Stäbchen, und die ist mit rund 2,5 Milliarden Menschen etwa doppelt so groß wie die der Gabel-Esser. Die Gabel benutzen Menschen sowieso erst seit etwa 300 bis 400 Jahren zum Essen, das Stäbchen hingegen bereits zehnmal so lange.

RTL-Dokumentation: "Die große GEO Story": Wie wir die Welt gesund essen

"Die große GEO Story": Wie wir die Welt gesund essen

00:31 min

Für "Die große GEO-Story: Wie wir die Welt gesund essen" geht Dirk Steffens dem Dilemma unserer Nahrungsproduktion auf den Grund: am 19. Oktober, 20:15 Uhr bei RTL und jetzt auf RTL+

Im Mittelalter bestanden in Europa die Teller aus einer alten, harten Brotscheibe, auf die man die festen Teile der Mahlzeit legte, die man dann bei Bedarf noch einmal mit dem Messer zerschnitt. Flüssiges wurde direkt aus kleinen Schüsseln geschlürft. An einigen Orten aßen die Menschen gemeinsam aus einem großen Topf mit Fingern und Löffel, den sie sich dabei oft auch noch teilten. Bis ins frühe 20. Jahrhundert hat man in manchen ländlichen Gegenden des europäischen Kontinents so gegessen. Das Messer hatte man selbst mitzubringen, und über die ersten Gabel-Esser hat man sich lange lustig gemacht.

Fleisch war übrigens lange Zeit Mangelware: Je ärmer man war, desto seltener konnte man es sich leisten. Nicht umsonst heißt der Sonntagsbraten nach dem einen Tag der Woche, an dem Fleisch möglichst auf den Tisch kommen sollte. Wenn heute Leute auf Steak oder Tafelspitz zum Mittag in der Kantine bestehen, hat das wenig damit zu tun, dass das immer so war – sondern dass Fleisch in den vergangenen hundert Jahren zu einem Statussymbol geworden ist.

Ein Mann isst ein Stück Fleisch mit Stäbchen
Die Gabel benutzen Menschen erst seit etwa 300 bis 400 Jahren zum Essen, das Stäbchen hingegen bereits zehnmal so lange
© picture alliance / AP

Der Philosoph Norbert Elias (geboren 1897) beklagte sich darüber, dass man in Europa immer mehr verwirrenden Benimmregeln folgen müsse. Ein Beispiel: In seiner Jugend sollte man in Deutschland die Suppe von der Löffelseite schlürfen – in England aber von der Spitze. Und das, obwohl die beiden Länder gar nicht so weit voneinander entfernt liegen.

Elias machte dafür die Zivilisation verantwortlich, die den Menschen von seinen Trieben entfernen wolle, indem sie ihm Peinlichkeitsgefühle beibringe. Mit rationalen oder hygienischen Gründen habe das Ganze nichts zu tun.

Genauso wenig wie Besteck ist es gegeben, dass sich Menschen zu einer Mahlzeit gesittet auf Stühlen um einen Tisch herum versammeln. Wir könnten genauso gut auf dem Boden sitzen, wie es in vielen Ländern der Erde normal ist – oder sogar liegen: Die alten Griechen und Römer hatten in ihren Häusern Speiseliegen statt Stühle und Tische. Aufgestützt auf dem linken Ellenbogen ruhten sie langgestreckt darauf und aßen mit der rechten Hand von ihren Tellern. In den Ruinen von Pompeji sieht man in den feinsten Wohnhäusern solche Bänke, im Rechteck angeordnet um eine Plattform, auf der das Essen serviert wurde.

eine Familie beim Essen mit der Hand und auf dem Boden
Auf dem Boden oder am Tisch, mit der Hand oder der Gabel: Was für die einen beim Essen ganz normal ist, finden andere merkwürdig. Nahrung bringt Menschen zusammen – aber kann sie auch voneinander trennen.
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Wie wir essen sollen, kann ganz schön kompliziert sein – die Regeln, was wir essen sollen, aber auch. Essenstabus gibt es wohl in so gut wie allen Kulturen und Religionen. In der Bibel und in der Thora etwa steht: "Du sollst nicht essen, was dem Herrn ein Greuel ist“. Seitenlang wird beschrieben, welche Tiere man essen darf und wie sie zuzubereiten sind. Das geht: Rind, Schaf, Ziege, Hirsch und Antilope. Das geht gar nicht: Schwein, Hase, Klippschliefer. Die Erklärung liefert Gott gleich mit: Nur die Tiere sind zum Verzehr geeignet, die Schuppen und gleichzeitig Flossen besitzen. Und solche, die wiederkäuen und gespaltene Hufe haben. Letzteres trifft allerdings auch auf das Kamel zu – essen darf man es trotzdem nicht.

Sind solche Essensgebote wörtlich zu nehmen? Oder versteckt sich eine symbolische Bedeutung dahinter? Dienen sie der Hygiene, mit der es zur Zeit der Bibelentstehung nicht besonders weit her war?

Anthropologen haben eine andere Theorie: Wo sich eine Religion durchsetzen will, muss sie sich von anderen unterscheiden. Gebote können genau das leisten. Die Unterteilung "rein“ gegen "unrein“ findet sich in fast jeder großen Glaubensrichtung – nur überlesen Christen (außer die fundamentalen) das 3. Buch Mose großzügig. Im Islam heißen rein und unrein "halal“ und "haram“. Dort ist Schweinessen verboten, dafür kommt viel Rind auf den Tisch. Das wiederum würden gläubige Hindus nie anrühren.

Für die einen ist es geliebtes Haustier und Freund, für die anderen lecker Bockwurst: Pferdefleisch ist in Europa umstritten – nicht so sehr aber wie Hundefleisch, das als tabu gilt
Für die einen ist es geliebtes Haustier und Freund, für die anderen lecker Bockwurst: Pferdefleisch ist in Europa umstritten – nicht so sehr aber wie Hundefleisch, das als Tabu gilt
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Essenstabus wollen uns anleiten, damit wir tun, was gut für uns ist. Nur ist "richtig“ oder "falsch“ meistens eine Frage der Perspektive. Besonders deutlich wird das etwa beim Hund. Darf man den besten Freund des Menschen essen?! Die Antwort wird den meisten in Deutschland ziemlich einfach fallen. Dabei ist unsere Welt durchzogen von einer unsichtbaren Hundelinie: Auf der einen Seite werden die pelzigen Vierbeiner verspeist, auf der anderen nicht mehr oder sowieso nie.

Die Linie läuft durch Amerika, Afrika und Asien und macht einen großen Bogen um Europa. Aber dass wir im globalen Norden heute keine Hunde mehr essen, kann nicht an zu viel Zuneigung liegen: Die Indonesier lieben ihre Hunde auch, aber sehen trotzdem kein Problem darin, sie zu schlachten, wenn die Zeit gekommen ist. Genauso die Maori oder die Bewohner Tahitis. Und auch wir lagen einst diesseits der Hundelinie: Die alten Griechen empfahlen Hund als besonders schonende Nahrung für Kranke, und bei den Römern kochte man sie wie Hasen. Als sich jedoch die drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam über die Welt verbreiteten, verbannten sie auch den Hund vom Speisezettel. Nicht, weil ihre Anhänger Mitleid mit treuen Hundeaugen hatten – sondern weil die Tiere im Gegenteil als unrein galten.

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