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Lichtverschmutzung Kunstlicht lässt Bäumen andere Blätter wachsen – mit Folgen für die Artenvielfalt

Laternen an einer Strasse in Berlin bei Nacht
Lichtverschmutzung hat nicht nur Auswirkungen auf uns Menschen. Auch Pflanzen wie etwa Straßenbäume reagieren auf die künstliche Bestrahlung – ihnen wachsen teils andere Blätter
© Photodisk / Getty Images
Straßenbäume müssen nicht nur mit Abgasen und Hunde-Urin klarkommen. Viele von ihnen stehen auch nachts im Hellen. Forschende haben nun herausgefunden: Durch Dauerbeleuchtung bilden Bäume andere Blätter. Mit Folgen für das Ökosystem Stadt

Alle Lebewesen unterliegen Rhythmen. Einige Arten orientieren sich an den Jahreszeiten (Pilze sprießen im Herbst aus dem Waldboden), andere an den Mondphasen (bei Vollmond werden Meeresringelwürmer geschlechtreif). Der Biorhythmus der meisten Spezies, inklusive der von uns Menschen, schwankt aber vor allem mit dem Wechsel von Tag zu Nacht. Wenn es dunkelt, werden viele Tiere müde, andere wach.

Und auch Pflanzen achten darauf, ob die Sonne scheint, folgen einem "zirkadianen Rhythmus". Schließlich fangen die grünen Wesen tagsüber Lichtstrahlen ein und basteln via Photosynthese energiereichen Zucker. Nachts schalten sie auf andere Stoffwechselprozesse um.

Jahrmilliarden lang konnten sich die Organismen auf eben diesen natürlichen Takt von Hell und Dunkel verlassen. Doch spätestens seit der Mensch seine Behausungen und Siedlungen illuminiert, herrscht vielerorts Verwirrung. Nicht nur uns bringt Kunstlicht durcheinander, lässt viele schlechter oder gar nicht einschlafen. Insekten kreisen um Laternen, Zugvögel verlieren ihre Orientierung, beleuchtete Brücken hindern Fische an ihrer Wanderung flussaufwärts. 

Die Forschenden analysierten 5500 Blätter von Straßenbäumen

Und Pflanzen? Noch ist nicht allzu viel bekannt darüber, ob sich Lichtverschmutzung auf das Stadtgrün auswirkt. Und mit welchen Folgeeffekten. 

Nun habe Forschende aus Peking untersucht, inwieweit das Plus an Helligkeit Bäume und deren Wachstum tangiert. Dafür sammelten und analysierten die Wissenschaftler rund 5500 Blätter von zwei Arten, die in der chinesischen Metropole viele Straßen säumen: der Japanische Schnurbaum (Styphnolobium japonicum) und die Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica). Sie untersuchten ihre Proben auf Größe und Zähigkeit, auf Wassergehalt, Nähr- und Abwehrstoffe. Und auch auf etwaige Zeichen von Insektenfraß. 

Schließlich war einer der Ausgangspunkte für die Studie, die im Fachblatt Frontiers in Plant Science erschien, die Beobachtung, dass Blätter von Stadtbäumen oft weit weniger Spuren hungriger Insekten zeigten als jene, die in natürlichem Umfeld wuchsen.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Beide Baumarten bildeten umso härtere Blätter, je intensiver sie von künstlichem Licht bestrahlt wurden. Und: Je stärker das Licht, desto seltener stießen die Forschenden auf angeknabberte Blätter. 

Doch warum führt die künstliche Beleuchtung zu diesem Effekt? Den Mechanismus dahinter haben die Forschenden noch nicht eindeutig klären können. "Es ist möglich, dass Bäume, die nachts künstlichem Licht ausgesetzt sind, die Dauer der Photosynthese verlängern", sagt Autor Shuang Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. "Zudem könnten die Blätter einen größeren Part ihrer Ressourcen in strukturelle Verbindungen wie Fasern investieren."

Makellose Blätter gefallen uns Menschen, aber nicht den Insekten

Es ist bekannt, dass manche Pflanzen die Härte ihrer Blätter gezielt erhöhen – als Schutz vor gierigen Mäulern. Der größere Anteil an Fasern und ein geringerer Gehalt an Nährstoffen machte das pflanzliche Grün, so die Vermutung der Wissenschaftler, also weniger schmackhaft für Insekten.

Dauerbeleuchtung bei Nacht – wie an Hauptverkehrsstraßen üblich – würde sich demnach nicht bloß auf die Bäume auswirken, sondern hätte weitreichende Folgen für das gesamte Stadtökosystem. Makellose Blätter gefielen zwar uns Menschen, so Zhang. Doch Herbivorie (also die Ernährung von Pflanzen) sei ein grundlegender Prozess in der Natur, der die Artenvielfalt von Insekten sichern würde. Und nicht nur ihre.

Es könne zu "Kaskadeneffekten" kommen, die sich auf vielschichtige Weise durch das feingesponnene Nahrungsnetz ziehen: Zähere Blätter führen dazu, dass pflanzenfressende Insekten weniger zu futtern haben, ihre Anzahl verringert sich. Dadurch wiederum leiden Raubinsekten, auf deren Speiseplan andere Sechsbeiner stehen. All dies wiederum wirkt sich auf höhere Ebenen der Nahrungskette aus: So hätten beispielsweise Vögel, die Insekten jagen, das Nachsehen. Und Beutegreifer, die Vögeln nachstellen ...

Und auch auf mikroskopischer Ebene, im Kosmos jener Organismen, die für die Verwesung zuständig sind, führt härteres Laub zu Veränderungen. Denn, so schreiben die Autoren in ihrer Studie: Blätter mit höherer Zähigkeit zersetzen sich langsamer. Und so gelangten die in ihnen gebundenen Substanzen weniger schnell zurück in den Nährstoffkreislauf.

Die künstliche Beleuchtung, sie mag uns in Städten so vertraut sein wie der rauschende Verkehr. Wir machen uns wenig Gedanken darüber, wie die Natur darauf reagiert, wenn wir die urbane Nacht zum Tag machen. Doch die Lichtverschmutzung, das offenbaren Studien wie diese, hat ihren Preis. Sie kostet das Ökosystem Stadt aller Wahrscheinlichkeit nach: Leben, Artenreichtum. Und die Effekte sind bei Weitem noch nicht vollends verstanden. "Unsere Studie umfasste nur eine Stadt und zwei Baumarten", sagt Autor Zhang. Die Forschung über die ökologischen Folgen der Urbanisierung, sie stecke noch "in den Kinderschuhen."

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