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Sprache Die Erde verbrennt nicht: Wieso wir keinen Alarmismus beim Klima brauchen

Sonnenblumenfeld mit vertrockenten Blumen in Nahaufnahme
Die Auswirkungen des Klimawandels spüren nicht nur Menschen auf der anderen Seite der Erde, sondern auch wir vor unserer Haustür. In Brandenburg etwa klagen Bauern und Bäuerinnen immer wieder über Dürreperioden und Ernteausfälle.Tatsächlich ist die Jahresmitteltemperatur seit 1881 dort bereits um 1,3 Grad Celsius gestiegen, im Sommer sogar mehr. Wie viel Beweis braucht es noch?
© Jochen Eckel/SZ Photo Creative / mauritius images
"Katastrophe", "Krise" oder "globale Erwärmung": zu lahm. Wir sollten viel stärkere Worte nutzen, wenn wir über den Klimawandel sprechen, fordert ein Berliner Linguist. Auch Medienleute sagen sich das oft. Unsere Autorin sagt: Nein. Das Letzte, was wir brauchen, sind Angst und Panikmache

"Wir sind so gut wie tot", hat mein Bekannter zuletzt gepostet. Darunter zitiert er Studien, die belegen, wie der Klimawandel die Landwirtschaft kaputt macht. Abgesehen von seinen Untergangs-Posts habe ich lange nichts von ihm gesehen.

Mein Bekannter ist Teil der "Letzten Generation", für die ich große Sympathien trage. Ich kann verstehen, dass sich ihre Anhängerinnen und Anhänger fühlen wie mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt. Und ich bewundere die Unbedingtheit, mit der sie für ihre Sache eintreten. Nur ist Verzweiflung kein Zustand, indem es sich dauerhaft leben lässt.

Oft debattieren wir Klimajournalisten und -journalistinnen darüber, wie wir die Dringlichkeit des Themas noch deutlicher rüberbringen können. Klimakatastrophe statt Klimawandel sagen zum Beispiel. Rückenwind dafür gab es in dieser Woche aus der Wissenschaft: Selbst "Krise" und "Katastrophe" sind zu lasch, schreibt der Berliner Linguist und Psychologe Bálint Forgács. Klimasprache sei oft auch zu positiv emotional aufgeladen, zu viel "grün" und "öko-freundlich" tummelten sich darin. Forgács empfiehlt, stärkere Begriffe zu benutzen, besonders solche aus der Medizin. Kipppunkte würden dann zu Metastasen, der Klimawandel zur tödlichen Klimazerstörung, die Erderwärmung zur globalen Verbrennung.

Nun ist weithin bekannt, dass Sprache unser Denken formt. Deshalb sollte man sich unbedingt Gedanken machen, wie man über die Klimakrise spricht, schreibt, sendet. Nur hilft mehr Alarmismus dabei sicher nicht.

zwei Eisbären auf Eisscholle von Wasser umgeben
Wenn das Meereis der Arktis verschwindet, verlieren Eisbären ihren Lebensraum. Wie immer im Klimawandel ist aber nicht alles Schwarz-Weiß: Einige Populationen wachsen im Moment sogar, weil sie mehr offenes Wasser und damit mehr Beute finden
© Sepp Friedhuber / Getty Images

Klar: Der Klimawandel hat in der menschlichen Wahrnehmung ein Problem. Man kann ihn nicht riechen, nicht anfassen, nicht an einem einzelnen Ereignis erfassen. Er vollzieht sich so langsam, dass ein Menschenhirn ihn schlecht begreifen kann. Das ist ein Grund, weshalb wir so langsam reagieren. Der andere: Um ihn noch in den Griff zu bekommen, müssen wir im Prinzip alles verändern – die globale Wirtschaft, unseren Konsum, unsere Sicht auf die Erde, an der wir uns so selbstverständlich bedienen wie an einem Gratis-Buffet.

Es geht also um nichts weniger als einen umfassenden Kulturwandel. Und der setzt sich schlecht durch, wenn er auf Angst basiert. Die Umweltpsychologie kennt zwei typische Effekte, die eintreten, wenn wir mit Negativem konfrontiert werden: Wir stürzen in eine lähmende Sorgenspirale – oder wir wenden uns komplett ab.

Und das wäre das Schlimmste, was jetzt passieren könnte. Denn tatsächlich ist etwas in Bewegung geraten, zumindest in Deutschland: Der Fleischkonsum ist in wenigen Jahren sprunghaft gesunken, nachdem er jahrzehntelang stagnierte. 61 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stellten 2022 Klimaschutz an die Spitze ihrer Prioritätenliste – drei Jahre vorher waren es gerade mal acht Prozent. Klima ist kein Thema für Ökos mehr, sondern in aller Munde.

Eine schrillere Sprache würde nicht noch mehr Menschen von der Klimakrise überzeugen. Im Gegenteil, sie birgt sogar Gefahr. Denn wenn sich eine Kultur wandelt, schlägt das Pendel oft noch einmal in die andere Richtung aus, bevor es zur Ruhe kommt. Zu viel Alarmismus kann dazu führen, dass Menschen genug haben vom Klimawandel und seinen Zumutungen – und das Thema komplett verdrängen.

seitliche Ansicht auf schmelzende Eisberge
Nirgends sonst erwärmt sich die Erde so schnell wie in der Arktis und Antarktis. Schmelzende Gletscher wie hier vor Grönland tragen zum Meeresspiegelanstieg bei
© Paul Souders / Getty Images

Das kann man dumm finden. Es ändert aber nichts daran, dass Menschen nun einmal so ticken. Dagegen hilft: Wahrheitsgetreu informieren. Gute Geschichten finden, mit denen sich das Publikum wirklich identifizieren kann. Liebe zur Natur wecken statt Angst vor ihr machen. Und die Zusammenhänge wieder und wieder und noch einmal erklären. So wird die Klimakrise Teil der Realität, Teil unseres kulturellen Bewusstseins. Und zwar langfristiger als durch Schock und Affekte.

Die Erde verbrennt nicht, sie erhitzt sich. Wir werden weder in biblischen Fluten untergehen noch in infernalen Feuern. Was dagegen wahrscheinlich ist: dass unsere menschengemachten Systeme – Lieferketten, Katastrophenschutz, Nationen– nicht mehr funktionieren, weil sie auf einer Erde aufbauen, wie wir sie seit Jahrtausenden kennen. Mit Krieg und Not als Folge. Und davor bewahrt uns am besten Zusammenhalt, die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Und nicht Angst.

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