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Herz Interview: Moderne Naturheilkunde

Aderlass, Heilfasten und kalte Güsse: Das klingt nach Mittelalter und Scharlatanerie. Doch Studien zeigen, dass einige dieser Therapien bei Bluthochdruck wirksamer sind als Medikamente. Professor Andreas Michalsen, Experte für moderne Naturheilkunde, erklärt, wie manche alte Heilmittel bei Herzproblemen helfen können
Herz: Professor Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin
Professor Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin
© Dawin Meckel

GEO WISSEN: Herr Professor Michalsen, Sie sind Internist und klinischer Wissenschaftler, wurden zudem in Intensiv- und Notfallmedizin ausgebildet – in Disziplinen also, die man eher mit Technik verbindet. Was hat Sie zur Naturheilkunde gebracht?

Professor Andreas Michalsen: Ich habe zwar die großen Fortschritte und Erfolge in der Akutversorgung der Herzerkrankungen, insbesondere des Infarktes, hautnah miterlebt. Gleichzeitig wurde mir aber bei der täglichen Arbeit, vor allem im Herzkatheterlabor, deutlich, dass mit den technischen Entwicklungen die zugrunde liegende Erkrankung praktisch nicht beeinflusst wurde. Patienten wurden zu chronisch Kranken, mit jährlichen Katheterinterventionen und vielen Medikamenten. Sich mit dem Lebensstil und dem Stress der Betroffenen zu befassen, dafür blieb den Ärzten keine Zeit. Ich wollte mich aber um die Wurzel der Krankheit und nicht nur um die Linderung der Symptome kümmern – deshalb die Naturheilkunde.

Kann Naturheilkunde überhaupt sinnvoll sein bei Krankheiten des Herz- Kreislauf-Systems? Dabei geht es ja schließlich oft um Leben und Tod.

Wir Naturheilkundler sind uns mit Kardiologen völlig einig: Bei einem akuten Infarkt oder Herzversagen hat die Naturheilkunde nichts zu suchen. Sie kann aber sehr wohl einem solchen dramatischen Ereignis vorbeugen; und ein chronisches Herzleiden auch effektiv lindern. Ihre Methoden können hervorragend mit denen der Schulmedizin kombiniert werden und sie unterstützen. Wir nennen das „Integrative Medizin“.

Welche ernst zu nehmenden Hinweise gibt es, dass Naturheilkunde bei Herzpatienten nachhaltig wirksam ist?

Alles, was wir in der stationären und ambulanten Versorgung für herzkranke Menschen anbieten, ist evidenzbasiert – das heißt, es beruht auf klinischen Studien. Seit etwa 20 Jahren wandelt sich die Naturheilkunde vom reinen Erfahrungswissen hin zu einer wissenschaftlichen Disziplin mit modernsten Nachweismethoden.

Welche Betroffenen mit Herzproblemen lassen sich bei Ihnen naturheilkundlich behandeln?

Die meisten sind Hochrisikopatienten: also Menschen, denen ein Infarkt oder Schlaganfall bevorsteht, wenn sie ihren Lebensstil nicht drastisch ändern. Schwere Fälle werden uns von niedergelassenen Kardiologen überwiesen, die in ihrer Praxis keine Zeit finden, intensiver auf die Patienten einzugehen. Einige Betroffene kommen auch von sich in unsere naturheilkundliche Hochschulambulanz – etwa, weil ihnen immer mehr Medikamente verschrieben worden sind und sie sich fragen, ob das tatsächlich sinnvoll ist oder ob sie zum Beispiel wenigstens die Dosis reduzieren können.

Herz: Kneippgänge im kalten Wasser trainieren die Elastizität der Adern: Das stärkt die Pumpfunktion des Herzens
Kneippgänge im kalten Wasser trainieren die Elastizität der Adern: Das stärkt die Pumpfunktion des Herzens
© mauritius images/Alamy

Das Ziel von Naturheilkundlern ist: weg von den Medikamenten?

Wir setzen klassische Herzmedikamente nicht einfach sofort ab. Wenn ein 60-jähriger Patient zu uns kommt, dessen Herzkranzgefäße sich trotz mehrerer Stents weiterhin verengen und bei dem der Blutdruck hoch bleibt, dann nimmt er seine Medikamente weiterhin ein, aber wir behandeln ihn zusätzlich so lange naturheilkundlich, bis der Blutdruck auf einen Wert von 120 mmHg gesunken ist. Hat er das geschafft, kann man die medikamentösen Blutdrucksenker tatsächlich absetzen.

»Wir waren wirklich nicht sicher, ob Aderlass etwas nützt. Umso stärker hat uns das Ergebnis überrascht: Der Blutdruck der Probanden sank deutlich«

Wie lässt sich mit Mitteln der Naturheilkunde der Blutdruck senken?

Patienten mit Bluthochdruck, Übergewicht und erhöhten Konzentrationen des Eisenspeicherproteins Ferritin im Blut können wir etwa mit einem Aderlass oder der Empfehlung, regelmäßig Blut zu spenden, rasch den Druck senken. Dann folgen Heilfasten, Kneipp-Wasseranwendungen und Stressabbau. Das alles sind Selbsthilfestrategien, die der Betroffene bei uns lernt und später auch zu Hause praktizieren kann.

Aderlass, das klingt nach Mittelalter und Quacksalberei.

Wir haben dieses alte Verfahren quasi wiederentdeckt und wissenschaftlich erforscht. Dafür haben wir in einer ersten Studie mit 64 Patienten bei der Hälfte der Versuchspersonen zwei Aderlässe von 400 Milliliter innerhalb von sechs Wochen vorgenommen. Bei ihnen ergab sich eine Senkung des Blutdrucks von knapp 17mmHg. Das ist enorm viel, das schaffen oft nicht einmal die besten Medikamente. Und bei einer aktuellen Studie mit 300 Probanden des Blutspendedienstes der Berliner Charité wurden die Teilnehmer alle zwei bis drei Monate zur Spende aufgefordert und im Gegenzug ein Jahr lang ausführlich untersucht. Bei den Versuchspersonen mit Bluthochdruck zeigte sich auch hier eine deutliche Senkung. Wir waren wirklich nicht ganz sicher, dass ein Aderlass etwas bringt – und umso mehr hat uns das Ergebnis überrascht.

Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Aderlass ist allen Hochdruckkranken zu empfehlen, wenn sie nicht gerade Bluter sind oder unter Eisenmangel leiden. Bei Männern ist das alle zwei Monate zu empfehlen, bei Frauen alle drei Monate, weil sie generell etwas weniger rote Blutkörperchen haben, auch wegen ihrer Periode. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass Frauen erst nach den Wechseljahren, also dem Ausbleiben der Periode, ein ebenso hohes Herzinfarktrisiko haben wie Männer.

Wie ist der Wirkmechanismus beim Aderlass? Senkt er den Druck, weil dann zunächst weniger Blut im Körper zirkuliert?

Kurzfristig ist das tatsächlich so. Doch der positive Effekt hält über Wochen bis Monate an. Eine Ursache dafür ist, dass die jungen Blutzellen, die neu im Knochenmark gebildet werden, geschmeidiger sind als die älteren. Daher kann das Herz das Blut mit weniger Druck durch die kleinen Kapillargefäße pumpen.

Vor allem aber ist der Effekt wohl darauf zurückzuführen, dass mit der Blutentnahme die Konzentration des Eisenspeicherproteins Ferritin gesenkt wird. Und wir wissen: Viel Ferritin im Blut schädigt die Gefäßwände.

Herz: Nach einem Aderlass produziert der Körper neue, sehr geschmeidige Blutzellen, die das Herz leichter durch die Gefäße pumpen kann
Nach einem Aderlass produziert der Körper neue, sehr geschmeidige Blutzellen, die das Herz leichter durch die Gefäße pumpen kann
© blickwinkel/M/dpa Picture-Alliance

Sie erwähnten auch Wasseranwendungen. Wie genau wirken die?

Der Wechsel von kalten und warmen Temperaturreizen, wie zum Beispiel durch Kneipp-Güsse, trainiert die Elastizität der Gefäße, der Blutdruck sinkt langfristig, der Herzschlag verlangsamt sich, das Herz wird dadurch geschont und seine Pumpfunktion gefördert. Es gibt inzwischen einige Studien, die das belegen. Die regelmäßige Anwendung ist dabei wichtig, am besten macht man das täglich.

Also hatte Pfarrer Kneipp, der um 1850 zu den Begründern der Hydrotherapie gehörte, schon damals recht?

Ja, er empfahl zum Beispiel bei akutem Bluthochdruck Armbäder, bei denen die Temperatur in den Armen über 20 Minuten durch Zugabe heißen Wassers gesteigert wird. Auch das trainiert, erweitert und entspannt die Blutgefäße, und es wirkt kalten Händen entgegen, dem typischen Symptom von Bluthochdruck und Herzschwäche. Dazu kommt es, weil die Gefäße an den Körperenden nicht mehr richtig erweitert werden. Durch die Armbäder dehnen sich diese Gefäße, der Blutdruck fällt ab und das Herz muss weniger arbeiten.

Wir wissen inzwischen, dass Menschen, die drei- bis viermal pro Woche in die Sauna gehen, ihr Herzinfarktrisiko halbieren – ebenfalls durch den Wechsel von heiß und kalt.

Auch weniger Gewicht reduziert das Risiko für Herzkrankheiten. Müssen Ihre Patienten abnehmen?

Extreme Diäten, vor allem eine Nulldiät, können zu Herzrhythmusstörungen führen, das wäre also geradezu fahrlässig. Wir empfehlen das Heilfasten. Beim Buchinger-Saftfasten etwa, benannt nach dem Arzt Dr. Otto Buchinger, wird zwar die Kalorienzahl drastisch reduziert, aber über kleine Mengen Gemüsebrühe und Säfte erhält der Körper eine geringe Kalorienmenge zur Vermeidung des Eiweißabbaus sowie Vitamine und Spurenelemente. Patienten, denen das auf den Magen schlägt, können verdünnten Haferschleim oder Reisschleim löffeln. Das geht über sieben Tage und sollte bei Herzkranken immer unter Aufsicht eines Arztes und am besten in einer Klinik erfolgen.

Herz: Saunagänge, regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, können das Herzinfarktrisiko deutlich vermindern
Saunagänge, regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, können das Herzinfarktrisiko deutlich vermindern
© Martin/Le Figaro Magazine/laif

Nimmt man dabei nachhaltig ab?

Das ist nicht das unmittelbare Ziel. Sie verlieren zwar zunächst an Gewicht, vor allem aber bewirkt das Heilfasten eine Art „Reset“ in Ihrem Körper: Der Stoffwechsel ordnet sich dadurch neu, indem sich Zucker- und Cholesterinspiegel verändern. Der Blutdruck sinkt, und über die veränderte Darmflora verbessert sich das Immunsystem.

Gleichzeitig macht das Fasten einem die Bedürfnisse des Körpers wieder bewusst; es erleichtert den Einstieg in einen gesünderen Lebensstil, zum Beispiel zu vegetarischem oder veganem Essen. Dies führt dann langfristig zu einer Gewichtsreduktion.

Gibt es etwas, was ich daheim für meine Herzgesundheit tun kan, ohne gleich eine Fastenklinik aufzusuchen?

Diese positiven Effekte können Sie auch mit weniger Aufwand erreichen – allerdings nicht ganz so intensiv –, wenn Sie einen Obsttag pro Woche einlegen oder alle zwei Wochen zwei Tage lang fasten. Das lohnt sich auf jeden Fall. Aber auch sonst hat das, was wir essen und trinken, erheblichen Einfluss auf das Risiko von Herzkrankheiten. Die wichtigsten Faktoren für eine gesunde Ernährung sind: wenig tierische Proteine, wenig gesättigte Fette – also kaum Fleisch und Milchprodukte –, reichlich gesunde Fette aus Nüssen sowie Olivenöl, Leinöl, viel Gemüse und Obst. Und: alles sparsam salzen, Alkohol nur in Maßen.

Herz: Neustart für den Körper: Nach dem Heilfasten ordnet sich der Stoffwechsel neu, der Blutdruck sinkt
Neustart für den Körper: Nach dem Heilfasten ordnet sich der Stoffwechsel neu, der Blutdruck sinkt
© Sven Döring/xxpool/Ag. Focus

Sind das alles Regeln für eine allgemein gesunde Ernährung, oder helfen diese Tipps speziell auch dem Herz-Kreislauf-System?

Der US-Mediziner Dean Ornish konnte nachweisen, dass sich durch eine gesunde Ernährung sogar Gefäßverengungen zurückbilden. Davon konnte er beispielsweise seinen Patienten Bill Clinton überzeugen, den früheren US-Präsidenten, der nach einer Bypass-Operation sowie zwei eingesetzten Stents zum Veganer wurde. Bei Clinton hatten zuvor eine Kalorienreduktion und mehr Bewegung nicht verhindert, dass sich seine Herzkranzgefäße weiter verengten – vermutlich, weil er aus einer Familie mit Herzkrankheiten stammt und er viel Stress hatte. Das kam erst durch eine andere Kost. Womöglich haben sich seine Herzkranzgefäße durch die Ernährungsumstellung tatsächlich geweitet – Clinton selbst sagt jedenfalls, es ginge ihm besser als je zuvor.

Muss man dazu Veganer werden?

Nicht unbedingt. Schon der Nutzen einer pflanzenbasierten oder lakto-vegetarischen Kost bei Herzleiden ist durch umfassende Studien eindeutig belegt. Unsere klinische Erfahrung zeigt, dass vegane Ernährung womöglich noch gesünder als vegetarische ist, auch wenn es dazu noch nicht ausreichend viele Untersuchungen gibt. Allerdings: Was nützt mir eine strikt vegane Ernährung, wenn ich Schwierigkeiten habe, sie im Alltag umzusetzen? Ich bin selbst seit zehn Jahren Vegetarier und habe auch einige Monate lang versucht, vegan zu leben, doch wenn man viel unterwegs ist, ist das sehr schwierig. Ich bin da eher Pragmatiker: Schon wenn ich einen Fleischesser davon überzeuge, mediterrane Kost mit viel Gemüse und Obst, Fisch und wenig Fleisch zu wählen, habe ich sein Herzrisiko erheblich gesenkt.

Was ist von Nahrungsergänzungsmitteln mit Wirkstoffen in konzentrierter Form zu halten, etwa von Fischöl-Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren, die angeblich sehr herzgesund sind?

Studien zeigen, dass ein gesundes Lebensmittel sich nicht durch einzelne Bestandteile ersetzen lässt. Das liegt daran, dass alle Wirkstoffe in der Natur in viele andere Substanzen eingebunden sind, die sie unterstützen oder Nebenwirkungen abpuffern. Nehmen sie nur das Beta-Carotin, das in Obst und Gemüse vor Lungenkrebs schützt. Isoliert verabreicht, ist es überhaupt nicht gesund, es erhöht sogar das Krebsrisiko, weshalb die Studie dazu abgebrochen werden musste.

»Forscher haben ›Super-Foods‹ identifiziert, die hohe Cholesterinwerte senken, Entzündungen hemmen und gut für die Gefäßwände sind«

Können Sie besonders herzgesunde Lebensmittel empfehlen?

Ergebnisse internationaler Forschergruppen zeigen, dass es offenbar sogenannte „Super-Foods“ gibt, die viele positive Funktionen vereinen: Sie wirken aufgrund ihrer Inhaltsstoffe blutdruck- und cholesterinsenkend. Zudem sind sie oft entzündungshemmend, was gut für die Gefäßwände ist. Bei den Super-Foods handelt es sich vor allem um Rote-Bete-Saft, Walnüsse, Leinsamen und Leinöl, Beeren, grünen Tee, dunkle Schokolade, Granatapfelsaft, Hibiskustee und Sojaeiweiß, also zum Beispiel Tofu, sowie Kurkuma, das Gelbwurzelpulver, das unter anderem in Curry enthalten ist.

Was heißt das für mich persönlich? Sollte ich nun alles mit Kurkuma würzen, literweise Rote-Beete-Saft trinken und jeden Tag Tofu essen?

Ich sage meinen Patientinnen und Patienten: Probieren Sie aus, was Ihnen davon schmeckt, wechseln Sie ab – aber schauen Sie, dass Sie täglich mindestens zwei dieser Lebensmittel zu sich nehmen.

Anderes Thema: Wie kann Naturheilkunde zum Stressabbau beitragen?

Wir wissen, dass Stress für ein Drittel des Herzinfarktrisikos verantwortlich ist. Dagegen setzen wir verschiedene Methoden der sogenannten „Mind-Body-Medizin“ ein, die aus den USA kommt, aus der Stressforschung. Dazu gehören Meditation, Achtsamkeitstraining, Yoga und andere stressabbauende Verfahren.

Welche Techniken sind besonders sinnvoll?

Einfache Atemübungen können bereits hilfreich sein, aber auch Verfahren wie die „Mindfulness-Based Stress Reduction“, eine Achtsamkeitstherapie, entwickelt von dem Stressforscher Jon Kabat-Zinn. Den Kern seiner Technik hat Kabat-Zinn aus der fernöstlichen Meditation entliehen, allerdings ohne deren spirituelle Botschaft. Hilfreich sind auch Techniken wie die progressive Muskelrelaxation, bei der nacheinander verschiedene Muskelgruppen gezielt angespannt und anschließend maximal entspannt werden.

Was geschieht bei solchen Methoden physiologisch?

Die Verfahren wirken über die verschiedenen Botenstoffsysteme im Körper, aber auch über das vegetative Nervensystem. Denn so wie der Körper auf Stress mit der typischen „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ antwortet, also Herzschlag und Blutdruck erhöht, so lässt sich mit mentalen Übungen bewusst das Gegenteil hervorrufen, also eine Entspannungsreaktion. Das senkt auch den Ausstoß von Stresshormonen wie beispielsweise Adrenalin.

Vermögen Patienten damit tatsächlich messbar den Herzschlag zu senken?

Sehr gut sogar – wenn sie die Disziplin haben, täglich ihre Übungen zu machen. Die Herzfrequenz, die normalerweise zwischen 60 und 80 Schlägen pro Minute liegt, bei manchen Patienten aber auch bei bis zu 100 Schlägen, lässt sich durch regelmäßiges Praktizieren von Mind-Body-Medizin auf etwa 50 senken. Das erreichen ansonsten nur sehr gute Ausdauersportler. Das schont das Herz, weil sein Muskel und das ganze Gefäßsystem weniger beansprucht werden.

Empfehlen Sie auch Sport?

Bewegung ist extrem wichtig. Es gibt eine beeindruckende Studie von Kardiologen aus Leipzig, wonach regelmäßige Bewegung auf einem Fahrradergometer bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit dem Einsetzen eines Stents per Herzkatheter sogar überlegen ist. Bewegung senkt den Blutdruck nachhaltig um etwa vier bis fünf mmHg und hilft sogar bei schweren Formen von Herzinsuffizienz. Ein wichtiger Effekt ist dabei die Absenkung der Herzfrequenz: Bewegung ist ein besserer Beta-Blocker als viele Medikamente.

Wie viel Bewegung ist minimal nötig?

Es sollten etwa zweieinhalb Stunden pro Woche an Aktivität sein, eher Walking als Jogging, ohne allzu großen Ehrgeiz. Bewegung in der Natur, an frischer Luft scheint in diesem Zusammenhang vorteilhafter zu sein als Training in Innenräumen – denn die Aktivierung aller Sinne ist wichtig. Sehr hilfreich sind auch die sanften Bewegungslehren des Ostens: Tai-Chi, Qigong und Yoga.

Was genau können die bewirken?

Alle drei Praktiken sind blutdrucksenkend und hemmen den Sympathikotonus, der einen Druckanstieg und eine Beschleunigung der Herzfrequenz auslöst. Dazu gibt es verschiedene Studien, die das bestätigen. Yoga dehnt und kräftigt zudem den Körper, entspannt, verbessert die Haltung und vertieft die Atmung. Wir zeigen den Patienten in der Klinik vieles davon und lassen sie dann auswählen, was am besten in ihr Leben passt.

»Bewegung hilft sogar bei schwerer Herzinsuffizienz. Sie senkt den Blutdruck und ist ein besserer Beta-Blocker als viele Medikamente«

Empfehlen Sie auch Praktiken der Traditionellen Chinesischen Medizin wie etwa Akupunktur?

Eher nicht. Die Akupunktur ist zu schwach, um den Blutdruck nachhaltig senken zu können – da müssten Sie sich das ganze Leben lang jede Woche nadeln lassen. Und die chinesischen Kräuter haben das Risiko, dass sie möglicherweise mit anderen Medikamenten gefährliche Wechselwirkungen eingehen.

Es gibt heimische Pflanzen, die herzstärkend sein sollen, etwa Weißdorn. Was halten Sie von solchen Mitteln?

Bei leichter Herzschwäche ist der Eingriffelige Weißdorn durchaus empfehlenswert, weil er natürliche Glykoside und Katechine enthält – Wirkstoffe, die die Schlagkraft und gleichzeitig die Reizschwelle des Herzens erhöhen und die den Gefäßwiderstand senken. Das entlastet und kräftigt das Herz zugleich. Insofern können sie eine Therapie mit Herzmedikamenten unterstützen. Die Dosierung sollte aber auf jeden Fall ein Arzt festlegen.

Ein sehr hilfreicher natürlicher Wirkstoff bei Herzschwäche ist auch das früher häufig verwendete Strophanthin. Diese Substanz aus einer afrikanischen Kletterpflanze ist sehr gut erforscht – allerdings konnten die Hersteller die erhöhten Anforderungen des Arzneimittelgesetzes bislang nicht erfüllen. Daher ist Strophanthin in Deutschland noch nicht als Arzneimittel erhältlich.

Auch wenn es oft überzeugende Studien gibt: Ist es nicht ein großes Problem, dass viele Patienten auch die besten Ratschläge nicht konsequent befolgen?

Man muss ihnen die Zusammenhänge präzise und überzeugend erklären. Wenn die Patienten an den Nutzen glauben und Fortschritte sehen, dann sind sie auch motiviert und halten durch. Männer zum Beispiel sind eher technikaffin und wollen schnelle Lösungen, die es aber nicht gibt. Von mir hören sie meist zum ersten Mal, dass der Stent oder Bypass, den sie eingesetzt bekommen haben, keinerlei Einfluss auf ihr Krankheitsbild in der Zukunft hat, sondern nur eine Reparatur ist. Das leuchtet ihnen ein – und führt bei den meisten dazu, dass sie unsere Therapien konsequent umsetzen.

Es gibt inzwischen die unterschiedlichsten Geräte zur Selbstkontrolle – nicht nur Blutdruckmessgeräte, sondern auch mobile Schrittzähler sowie Apps für die Herzfrequenz oder den Blutdruck. Ist so etwas zu empfehlen?

Solche Geräte können tatsächlich bei manchen Personen die Motivation unterstützen und auch ein spielerisches Element in die ansonsten ernste Thematik bringen. Wichtig ist aber vor allem, dass Betroffene ein geräteunabhängiges Körperbewusstsein für Stress-Symptome und das individuelle Wohlbefinden entwickeln – und nicht noch mehr auf Displays starren.

Braucht es da die Schulmedizin überhaupt noch?

Sie ist ein Segen. Im Akutfall ist sie hocheffizient und kann viele Leben retten. Aber bei chronischen Herzleiden ist die Kardiologie eigentlich eher eine Palliativmedizin: Sie lindert einen lebensbedrohlichen Zustand lediglich, ohne zu heilen.

Unsere Stärke als Naturheilkundige ist die Ganzheitlichkeit: Wir setzen Menschen aus verschiedensten Berufsgruppen ein – Ökotrophologen, Sozialpädagogen, Sportwissenschaftler, Psychologen –, die im Team versuchen, den Menschen sozusagen von allen Seiten zu „packen“. Wir wollen ihm helfen, sein Leben zu ändern …

... was das schwierigste Unterfangen überhaupt ist, wie jedermann weiß.

Aber es gelingt eben doch oft. Dafür ist es wichtig, dass bei der Therapie von Herzkranken nicht die Bedrohung im Vordergrund steht. Wir bemühen uns, Patienten in ihren Potenzialen zu stärken, ihre Lust auf Veränderung zu wecken. Wenn das erfolgreich ist, werden sie so leben können, dass ihr Herz nicht weiter geschädigt wird.

Lesen Sie weitere Beiträge zum Thema in

GEO WISSEN Gesundheit Nr. 2 "Herz".

Herz: Interview: Moderne Naturheilkunde

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GEO WISSEN GESUNDHEIT Nr. 2 - So schützen Sie Ihr Herz!

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