Simultankirchen

Gemeinsam unter einem Dach

Meist laden Kirchen die Gläubigen in ihre eigenen Gotteshäuser ein. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellen sogenannte Simultankirchen dar. Hier feiern sowohl evangelische als auch katholische Gläubige Gottesdienste. Somit sind diese Gebäude sichtbare Zeichen eines friedlichen ökumenischen Miteinanders.

Die ersten Simultankirchen Deutschlands entstanden im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation. An vielen Orten übernahmen Protestant*innen die Kirchen. An anderen jedoch wurde dasselbe Gotteshaus sowohl für Gottesdienste der Altgläubigen als auch der Protestant*innen genutzt.

Die älteste Simultankirche in Deutschland

Die älteste und eine der größten Simultankirchen Deutschlands ist der Dom St. Petri zu Bautzen in der Oberlausitz. Schon ab 1524, gar nicht lange nach Luthers Veröffentlichung seiner Thesen, nutzen Protestant*innen und Katholik*innen den Dom für ihre Gottesdienste. Da blieben Konflikte nicht aus. Deshalb schlossen der Bautzener Stadtrat als Vertreter der Protestant*innen und das Domstift im Jahr 1543 einen Vertrag, in dem die Nutzung des Doms durch beide Konfessionen geregelt wurde. Von da an nutzten die Katholik*innen den Chor und die Protestant*innen das Langhaus für ihre Gottesdienste, die zu unterschiedlichen Zeiten stattfanden. Der „Lettner“ – ein Gitter, das früher die Bereiche für Geistliche und Laien voneinander getrennt hatte – trennte nun die Bereiche der beiden Konfessionen voneinander ab. Heute ist dieses Gitter nur noch einen Meter hoch und seine Türen sind oft geöffnet. Mehrmals im Jahr werden auch gemeinsame Gottesdienste und ökumenische Gemeindefeste gefeiert.

St. Michaelis in Hildesheim ist UNESCO-Weltkulturerbe

Die Kirche St. Michaelis in Hildesheim gehört seit 1985 sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auch diese Kirche wird schon seit 1542 von beiden Konfessionen genutzt. Als sie evangelisch wurde, durften die Mönche des zugehörigen Klosters die Krypta und Teile eines Querhauses weiterhin nutzen. Der Durchgang zwischen Kirche und Krypta, die seither voneinander getrennt waren, ist seit 2006 wieder geöffnet. Die Sakristei wird nun von beiden Konfessionen genutzt.

Streit ums Taufbecken

Viele Simultankirchen entstanden nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Kirchen waren zerstört worden und es fehlte an Geld, sie wieder aufzubauen. Kurzerhand verfügten einige Landesherren, dass die vorhandenen Kirchen von beiden Konfessionen genutzt werden sollten. In der Folge entstanden Tausende Simultankirchen in Deutschland.

Eine Lutherbibel unter dem Tabernakel, Reformatorenporträts neben Heiligenbildern – das Zusammenleben unter einem Dach barg nicht selten Streitpotential: Gottesdienstzeiten und Glockenläuten, die Ausstattung der Kirche und der Wohnort des Pfarrers lösten immer wieder Diskussionen aus. An einigen Orten konnte man sich einigermaßen arrangieren und den ganzen Kirchenraum im Wechsel nutzen. An anderen wurden Wände mitten durch die Kirche gezogen und es mussten verschiedene Eingänge genutzt werden.

In der bis 1957 als Simultankirche dienenden Stadtpfarrkirche St. Marien in Sulzbach gipfelte der Streit kurios: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versah der katholische Pfarrer den Deckel des Taufbeckens mit einem Schloss. Auf diese Weise sollte den Protestant*innen die Taufe verwehrt werden. Kurzerhand brachten auch die Protestanten*innen ein Schloss an, so dass in der Kirche über 100 Jahre lang keine Taufen mehr stattfinden konnten.

Kurbeln am Altar

Jede Simultankirche organisierte das Zusammenleben anders. Mal gab es mehrere Altäre und Orgeln, mal wurde alles gemeinsam genutzt. Manchmal mussten auch vor jedem Gottesdienst erst die Bilder ausgetauscht werden, die in der Kirche hingen. Für die Kirche Maria Himmelfahrt in Erbendorf wurde deswegen sogar ein spezieller Altar entwickelt, dessen Bilder mit Hilfe einer Kurbelkonstruktion auf die Konfession abgestimmt werden konnten. So konnten die Katholik*innenen während des Gottesdienstes Mariä Himmelfahrt betrachten, während die Protestant*innen die Himmelfahrt Christi zu sehen bekamen.

Simultankirchen bringen zusammen

Das enge Miteinander hatte aber nicht nur negative Folgen – ganz im Gegenteil. Meist wird die Ökumene an diesen Orten heute besonders selbstverständlich gelebt. Man kennt sich gut und weiß um die jeweiligen Besonderheiten. Man feiert gemeinsame Gottesdienste und Feste und renoviert die Kirche zusammen. Auch wenn Heizkosten und Strom fein säuberlich getrennt abgerechnet werden – oft sogar mit getrennten Zählern –, verwundert eine Lutherbibel unter dem Tabernakel hier niemanden mehr.

Es gibt übrigens bis heute auch eine rein evangelische Simultankirche: die Kirche Sankt Fabian in Ringstedt, die sich die lutherische und die reformierte Gemeinde teilen.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts stand vielerorts wieder genügend Geld zur Verfügung, um neue Kirchen zu bauen – die meisten Simultankirchen wurden aufgelöst.

Simultankirchen-Radwandern

51 der einstigen und noch genutzten Simultankirchen in der mittleren und nördlichen Oberpfalz kann man inzwischen auf einer Tour auf dem Simultankirchen-Radweg entdecken: www.simultankirchenradweg.de.

(ub)

Screen www.simultankirchenradweg.de

Simultankirchenradweg