Die Bedingungen für die Erweiterung
Das Unionsrecht ist für die Verhandlungen in 35 Sachgebiete, die sog. Verhandlungskapitel, unterteilt worden. Die Beitrittsverhandlungen sind individuell und können mit jedem Beitrittskandidaten zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt abgeschlossen werden. Der Beitrittszeitpunkt hängt entscheidend von den jeweiligen Anpassungsfortschritten in den Beitrittsländern ab. Ziel der Verhandlungen und notwendige Bedingung für einen Beitritt ist die Übernahme des sog. gemeinschaftlichen Besitzstandes (Gesamtheit der EU-Rechtsvorschriften) durch die Beitrittsländer. Die Regeln für den Beitrittsprozess sehen eine strikte Konditionalität in allen Phasen der Verhandlungen vor. Zur Übernahme des EU-Besitzstandes sind in den Beitrittsländern zum Teil tiefgreifende Reformen erforderlich. Es sind eine große Anzahl von Rechtsvorschriften zu verabschieden bzw. bestehende Vorschriften an das EU-Recht anzugleichen und umzusetzen. Das Tempo des Beitrittsprozesses hängt von den Ergebnissen der Reformen in dem Land, mit dem verhandelt wird, ab, wobei jedes Land für sich beurteilt wird.
Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen, die für einen bestimmten Zeitraum Abweichungen vom Unionsrecht ermöglichen, sollen nur in wenigen, zwingend erforderlichen Fällen zugelassen werden, damit insbesondere das Funktionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt wird.
Besonders wichtig ist auch die Schaffung von leistungsfähigen Verwaltungs- und Gerichtsstrukturen zur Umsetzung und Anwendung des gemeinschaftlichen Besitzstandes in den Beitrittsländern. Dazu leisten die EU-Instrumente Twinning und TAIEX einen wichtigen Beitrag, indem sie im Rahmen von Verwaltungspartnerschaften die Kapazitäten der öffentlichen Verwaltungen hinsichtlich der Umsetzung der EU-Gesetzgebung fördern.
Die Erweiterung der EU stellt große Herausforderungen an die Beitrittskandidaten und die "alte" EU. Für die EU steht die Sicherstellung ihrer Handlungsfähigkeit durch effiziente Verfahren und Institutionen im Vordergrund.
Aufnahmefähigkeit der EU
Da es ein fortbestehendes Interesse einer Reihe von Staaten gibt, der EU beizutreten, stellt sich die Frage, ob die EU in der Lage ist, noch mehr Interessenten aufzunehmen, ohne ihre Handlungsfähigkeit zu verlieren. Hierzu hat die EU-Kommission am 8.11.2006 eine Analyse vorgelegt über die beim Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs am 14./15.12.2006 beraten worden ist. Hierbei wurde beschlossen, dass neben der Beitrittsfähigkeit des Kandidaten auch die Aufnahmefähigkeit der EU gegeben sein muss.
Beitrittsfähigkeit der Kandidaten
Der Europäische Rat hat 1993 in Kopenhagen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen von der Erfüllung bestimmter politischer und wirtschaftlicher Kriterien abhängig gemacht. Dadurch soll trotz der Verschiedenheit der zukünftigen Mitgliedsländer ein für das Funktionieren der EU notwendiges Maß an Gemeinsamkeiten garantiert werden. Neben der Erfüllung politischer Kriterien (institutionelle Stabilität; demokratische und rechtsstaatliche Ordnung; Wahrung der Menschenrechte und Achtung von Minderheiten) verlangen die "Kopenhagener Kriterien" als wirtschaftliche Voraussetzung für einen Beitritt die Schaffung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft durch die Beitrittsländer. Dazu gehört die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt standzuhalten und die aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen (so genannter gemeinschaftlicher Besitzstand) zu erfüllen.
Der Stand der Anpassungsprozesse in den Beitrittsländern wird von der Kommission jährlich überprüft und in "Fortschrittsberichten" dokumentiert. Die Europäische Union unterstützt die Beitrittsländer bei deren Reformbemühungen von 2014 bis 2020 im Rahmen von IPA II (Instrument for Pre-Accession Assistance II, in englischer Sprache) durch Heranführungshilfen von 11,7 Mrd. Euro. Mit diesen Mitteln werden Investitionen (insbesondere Infrastrukturmaßnahmen im Verkehrs- und Umweltbereich sowie die Modernisierung der Landwirtschaft) und der Aufbau von effizienten Verwaltungsstrukturen finanziert.