Wir brauchen wirksame Lösungen für die nachhaltige, klimaschonende Arbeit im Feld und im Stall

Rede von Bundesminister Cem Özdemir auf der Konferenz „Agrarforschung zum Klimawandel“ am 11. März 2024

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

Vielen herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Konferenz. Ich freue mich sehr, hier bei Ihnen zu sein und möchte gleich mit einem flammenden Appell starten:

Retten Sie das deutsche Bier!

Jetzt werden sich sicher die ersten fragen, warum ein Bundesminister montagsmittags als erstes an Bier denkt, wenn er bei der Deutschen Agrar-Forschungs-Allianz spricht? Okay, einige werden vielleicht wissen, dass ich einmal Botschafter des Deutschen Bieres war – übrigens mit großem Stolz und großer Freude! Aber nein, das ist nicht der Hintergrund meines Appells. Vielmehr habe ich mit Sorge gelesen, dass die Klimakrise mit ihren hohen Temperaturen und zunehmender Trockenheit eine Gefahr für den Hopfenanbau in Deutschland ist. Denn laut einer aktuellen tschechischen Studie werden, wenn Hitze und Dürre bei uns weiter zunehmen, der Hopfenertrag um bis zu 18 Prozent sinken und der Gehalt an den wichtigsten Aromastoffen um bis zu 30 Prozent. Sie sehen also, man kann auch über ein gutes Bier die Diskussion starten, wie wir der Klimakrise begegnen können.

Schmelzende Polkappen oder Bilder von Eisbären auf abgebrochenen Eisschollen erscheinen uns manchmal weit weg. Aber an dem Beispiel mit unserem Bier sieht man deutlich, wie nah die Klimakrise ist und warum wir den Kampf gegen die Klimakrise gerade in der Landwirtschaft entschieden angehen müssen. Aber es geht nicht nur um ein kühles Bier am Abend. Es geht um Grundlagen unserer Existenz, unserer Versorgung und damit um Themen, die jeden und jede in allen Lebenssituation betreffen. Und das will ich auch gleich am Anfang deutlich sagen: Wir brauchen Lösungen auf allen unterschiedlichen Ebenen.

Das fängt im persönlichen Alltag von uns allen an, beim Energieverbrauch und bei der Ernährung. Darum begrüße ich die aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für eine noch stärker pflanzenbetonte Ernährung. Jeder und jede entscheidet natürlich selbst, was er oder sie isst und auf dem Teller liegt. Das geht mich nichts an. Aber wir wollen es denen, die es wollen, leichter machen, sich gut, das heißt gesund und nachhaltig zu ernähren. Dafür hat die DGE jetzt eine wertvolle Grundlage geliefert.

Wenn wir Veränderungen anstoßen wollen, stehen natürlich stets die Rahmenbedingungen im Fokus, die die Politik vorgibt. Idealerweise geschieht das auf wissenschaftlich fundierter Grundlage, an der Sie alle tagtäglich arbeiten. Dabei ist mir eines auch immer sehr wichtig: Die Klimakrise ist Menschen gemacht! Also haben wir die Pflicht, aber auch die Chance, selber wirksam gegenzusteuern. Das ist für mich eine enorme Motivation.

Ihre Konferenz mit unzähligen Praxisbeispielen zeigt, dass Sie Ihren Beitrag dazu leisten wollen – und können. Ein kurzer Blick in Ihren 300 Seiten starken Tagungsband zeigt eindrucksvoll, wie breit gefächert das Portfolio an Lösungsansätzen für eine nachhaltige Landwirtschaft im Kampf gegen die Klimakrise ist.

Anrede,

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass ein Wandel hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft mehrere positive Aspekte ergibt: Die Landwirtschaft wird resilienter gegenüber Krisen, Landwirtinnen und Landwirte erhalten Planungssicherheit und eine gute Zukunft, auch für künftige Generationen, Klima und Artenvielfalt werden endlich besser geschützt. Denn der Veränderungsdruck auf den Agrarbereich ist groß. Das aktuelle Zusammentreffen mehrerer Krisen verschärft zudem die Situation. Umso wichtiger, dass nicht die eine Krise unter Zurückstellung der anderen gelöst wird oder sie gar verschärft. Für die Bundesregierung gehören Klimaschutz, Klimaanpassung und die Verbesserung der Klimaresilienz zu wesentlichen Grundlagen einer zukunftsorientierten Politik.

Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) wird die Bundesregierung entscheidend dazu beitragen, wirksameren Klima- und Naturschutz zu ermöglichen. Die Federführung hat hier das Bundesumweltministerium, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Deshalb freut es mich, dass gleich nach mir der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Stefan Tidow, zu Ihnen spricht. Wir wollen gemeinsam mit diesem Programm den allgemeinen Zustand der Ökosysteme in Deutschland deutlich verbessern, ihre Resilienz, Biodiversität und ihre Klimaschutzleistung stärken.

Natürlicher Klimaschutz verbindet dabei für uns den Schutz von Klima und biologischer Vielfalt. Wir wollen zudem beim ANK im Schwerpunkt finanzielle Anreize für eine freiwillige Umsetzung von Maßnahmen des natürlichen Klimaschutzes geben. Denn uns ist sehr klar, dass Maßnahmen, die wesentlich in die Nutzung und damit das Eigentum eingreifen, möglichst auf freiwilliger Basis umgesetzt werden müssen. Das habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten in vielfachen Gesprächen gerade mit unseren Bäuerinnen und Bauern immer wieder gehört. Man ist bereit, sich den anstehenden Veränderungen zu stellen. Aber es muss auch finanziell honoriert werden, planbar und umsetzbar sein. 

Landwirtinnen und Landwirte leisten als Erzeuger von Nahrungsmitteln, Futter und Energie einen immens wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit und zur ländlichen Entwicklung. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft durch die Bewirtschaftung von Böden, die Tierhaltung und den Einsatz von Düngemitteln eine Quelle von Treibhausgasemissionen. Die damit zusammenhängenden Auswirkungen der Klimakrise wie Starkregen, Stürme, Hitze und Trockenheit machen der Land- und Forstwirtschaft schwer zu schaffen. Ihre Zukunft – und damit unser aller Zukunft – entscheidet sich daran, ob wir es schaffen, Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt besser zu schützen. Nur so können wir und kommende Generationen weiterhin die natürlichen Lebensgrundlagen nutzen, um unsere Nahrung zu sichern. Bei uns und überall auf der Welt!

Land- und Forstwirtschaft sind aber nicht nur von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen – sie sind auch Teil der Lösung. Schon heute leistet die Landwirtschaft in Deutschland ihren nationalen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Die Landwirtschaft hält die Ziele des Klimaschutzgesetzes ein! Das bedeutet aber nicht, dass wir uns auf dem Erreichten ausruhen dürfen. Wir müssen die Landwirtschaft so weiter entwickeln, dass sie auch in zehn Jahren ihre Ziele einhält und klimaresilienter ist als heute. Allen ist klar: Ohne Emissionen ist die Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen nicht möglich. Ziel ist aber, den Ausstoß zu reduzieren, wo immer es geht.

Dazu gehört unweigerlich die weitere Verbesserung landwirtschaftlicher Prozesse, sei es im Pflanzenbau oder bei der Tierhaltung. Nur bei einer weiteren Steigerung der Effizienz der Düngung und Reduktion der Nährstoffüberschüsse, nur bei einer Minderung der Methanemissionen aus der Tierhaltung wird ein nachweisbarer Effekt für den Klimaschutz in der Landwirtschaft entstehen. Das heißt dann konkret, dass wir weniger Tiere besser halten müssen und unsere Bäuerinnen und Bauern für Ihre Arbeit fair entlohnen. Darum treibe ich ja die Weiterentwicklung der Tierhaltung durch bessere und langfristige finanzielle Förderung, durch neue Maßnahmen für mehr Transparenz aktiv voran. Ich möchte, dass Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft hat, weil sie nachhaltig ist, weil sie Umwelt, Klima und Natur besser schützt, sie von Verbraucherinnen und Verbrauchern akzeptiert wird.

Wir wollen zudem die positiven Effekte des ökologischen Landbaus für den Klimaschutz deutlicher herausstellen und anreizen. 30 Prozent ökologischer Landbau bis 2030 sind unser Ziel! Um dies zu erreichen, haben wir die Bio-Strategie 2030 erarbeitet und setzen sie auch schon um. Dazu haben wir das Bundesprogramm ökologischer Landbau (BÖL) finanziell gestärkt. Die Forschung zur ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft wollen wir weiter ausbauen. Denn die ökologische Landwirtschaft steht für mehr Artenvielfalt, Halbierung der flächenbezogenen Treibhausgasemmissionen im Pflanzenbau, eine flächengebundene Tierhaltung, den Grünlanderhalt durch Weidetierhaltung, den Verzicht auf energieintensive leichtlösliche, mineralische Düngemittel oder das Erreichen höherer Humusgehalte im Boden. So ist der Öko-Landbau bereits heute Vorreiter im Klimaschutz in der Landwirtschaft.

Ganz zentral wird zudem die Speicherung von Kohlenstoff in Biomasse, Mooren und landwirtschaftlich genutzten Böden sein. Wir werden unsere Klimaschutzziele nicht erreichen können, wenn wir unsere Moorböden – dort wo es möglich ist – nicht wiedervernässen. Das bedeutet aber auch die Absage an etwas, das vorherige Generationen unter unglaublichen Anstrengungen ermöglicht haben und was auch politisch wie gesellschaftlich gewollt war – das Trockenlegen von Moorböden. Nur so wurde Wertschöpfung und Lebensmittelerzeugung in vielen Regionen überhaupt erst möglich. Deshalb müssen wir auf freiwilliger Basis Lösungen finden, die dem Klimaschutz dienen und gleichzeitig den Betroffenen eine persönliche und wirtschaftliche Perspektive zu geben: Den Betrieben, Regionen und Kommunen. Wir setzen dabei auf eine sinnvolle Bewirtschaftung der betroffenen Flächen. „Paludikulturen“ wie Schilf und Rohrkolben sind hier das Stichwort.

Nicht vergessen will ich an dieser Stelle das Thema Moor- und Agri-Photovoltaik (PV). Moor-PV kann Einkommen auf wiedervernässten Flächen generieren. Und mit Agri-PV können wir effektiv Klimaschutz in der erneuerbaren Energieerzeugung mit aktiver Landnutzung verbinden. Ich bin überzeugt, dass diese Anlagen eine große Zukunft vor sich haben. Ich habe mir im vergangenen Jahr einige spannende Projekte dazu persönlich angeschaut und interessante Einblicke zu den Potentialen erhalten.

Zudem fördert das BMEL auch entsprechende anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungs- sowie Modell- und Demonstrationsvorhaben. Das Projekt HumusKlimaNetz, über das ich mich gerade beim Humus-Klima-Tag ausführlich informiert habe, verbindet zum Beispiel auf eindrucksvolle Weise Forschung und Praxis. Auf 150 Modell- und Demonstrationsbetrieben deutschlandweit werden humusbildende und –erhaltende Maßnahmen erprobt. Die Umsetzung wird wissenschaftlich begleitet und anschließend jedem Interessierten zur Verfügung gestellt. Es gibt also eine Vielzahl von konkreten Beispielen und Projekten, die verdeutlichen: Beim Klimaschutz und bei der Klimaanpassung unserer Landwirtschaft sind wir auf einem guten Weg und wir als Landwirtschaftsministerium sind bereit, dafür auch in Forschung und Wissenschaft zu investieren.

Und ich freue mich, dass das BMEL eine engagierte und schlagkräftige Ressortforschung hat, die viele der genannten Aspekte aufgreift. Ich bin mir aber sicher, dass die Arbeiten der Ressortforschung allein nicht ausreichen werden, alle Themen erschöpfend zu bearbeiten. Daher haben wir ein mit rund 100 Millionen Euro ausgestattetes Forschungsprogramm zum Klimaschutz in der Landwirtschaft auf den Weg gebracht. Die ersten Projekte sind bereits gestartet. 

Meine Damen, meine Herren,

wir müssen unsere Landwirtinnen und Landwirte im Kampf gegen die Klimakrise weiter unterstützen. Wir brauchen wirksame Lösungen für die nachhaltige, klimaschonende Arbeit im Feld und im Stall. Nutzen und schützen, bewahren und weiterentwickeln – das müssen wir miteinander in Einklang bringen. Für Betriebe mit guter Perspektive auch in den kommenden Generationen, damit unsere Versorgung mit heimischen und regionalen Produkten sicher ist - auch beim Bier! Es ist eine gewaltige Aufgabe, aber keine unlösbare. Auch weil es Ihre Forschungsarbeit gibt!

Schaffen Sie weiterhin Lösungsansätze, die uns im Kampf gegen die Klimakrise helfen! Dazu braucht es dann sicherlich auch die Möglichkeiten des gemeinsamen Austauschs in unterschiedlichen Formaten. Denn der Kampf gegen die Klimakrise wird sicherlich nicht von einigen wenigen allein erfolgreich zu bestreiten sein. Deshalb möchte ich zuletzt noch ein paar Worte des Dankes an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DAFA-Geschäftsstelle richten, die diese Konferenz auf die Beine gestellt haben.

Vielen Dank für dieses beeindruckende Programm!

Ich wünsche Ihnen allen einen guten Austausch, ideenstiftende Diskussionen und viele neue Erkenntnisse!

Erschienen am im Format Rede

Ort: Potsdam


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