Generationenwechsel im Altbau – neues Leben im Dorfkern

Jung kauft Alt

Als ländliche Gemeinde Leerstand vermeiden, Ortskerne beleben, den Flächenverbrauch reduzieren, junge Familien fördern und den Wertverfall bei Immobilien stoppen - sind das nicht vielleicht ein bisschen zu viele Aufgaben auf einmal? Nicht, wenn man wie in Hiddenhausen eine ebenso einfache wie effiziente Lösung parat hat.

Mitten im Kreis Herford im Nordosten Nordrhein-Westfalens liegt Hiddenhausen. Aber Hiddenhausen ist nicht gleich Hiddenhausen. Denn streng genommen ist es nur eins von insgesamt sechs Dörfern, die im Zuge einer Kommunalreform 1969 zur Gemeinde Hiddenhausen zusammenwuchsen. Also sollen auch Eilshausen, Lippinghausen, Oetinghausen, Schweicheln-Bermbeck und Sundern nicht unerwähnt bleiben. Wo es sich am schönsten lebt? Das ist natürlich Geschmacksache.

Ein junges Paar steht vor einem Hauseingang. Hiddenhausen - 1
Lars und Sarah Detzmeier sind nicht nur stolze Eigenheimbesitzer, sie konnten sich auch über einen jährlichen Bonus von der Gemeinde Hiddenhausen freuen © BLE

Für Lars Detzmeier ist die Antwort klar: "Für mich ist Eilshausen der schönste Teil von Hiddenhausen, deswegen haben wir auch ganz gezielt hier gesucht", erzählt der 32-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau Sarah seit 2012 stolzer Besitzer eines Einfamilienhauses im Ort ist. Eine ältere Dame, die die Detzmeiers über mehrere Ecken kannten, wollte ihr 1965 gebautes Haus verkaufen. Und dann ging alles ganz schnell. Denn nicht nur Eilshausen sollte es sein, sondern auch ein Altbau. "Hier ist schon ‘ne Geschichte drin. Das gefällt mir!", erklärt Detzmeier. "So ein rundum in Styropor eingepackter Neubau wär' nichts für mich."

Und so waren die Detzmeiers auch gerne bereit, einiges an Arbeit, Mühe und auch Geld zu investieren, um aus dem alten Haus ihr neues Zuhause zu machen. Das Prinzip "Junge Menschen kaufen alte Häuser" hat in Hiddenhausen Methode. So lautet nämlich der Titel eines 2007 eingeführten kommunalen Förderprogramms, mit dem die Gemeinde Hiddenhausen junge Familien dabei unterstützt, alte Immobilien zu erwerben. Sechs Jahre lang erhalten die Immobilienkäufer einen finanziellen Zuschuss von der Gemeinde. Für die Detzmeiers ein angenehmer Nebeneffekt: "Auf unsere Entscheidung, hier zu suchen, hatte das keinen Einfluss, aber es ist schon ein toller Bonus, wenn der Zuschuss einmal im Jahr auf unserem Konto landet und wir damit zum Beispiel den Tank unserer Ölheizung auffüllen können."

Leerstand vermeiden, Flächenverbrauch reduzieren

Was aber hat die Gemeinde bewogen, dieses Programm aufzulegen? Ausgangspunkt war ein Altersatlas. Den hatte die Kommune in Auftrag gegeben, um sich ein genaueres Bild davon zu machen, was ihr Bevölkerungsprognosen vorhersagten: eine schrumpfende und alternde Bevölkerung. Die Ergebnisse waren eindeutig. In allen Dorfkernen gab es eine beachtliche Anzahl alleinstehender älterer Hauseigentümer. Es war also absehbar, dass in naher Zukunft etliche Altimmobilien auf den Markt kommen würden und vielerorts der Leerstand drohte.

Daraufhin beschloss die Gemeinde fortan auf die Ausweisung neuer Baugebiete am Ortsrand zu verzichten. Man rief Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner, Immobilienmakler und Baufinanzierer zusammen und entwickelte gemeinsam mit ihnen am "Runden Tisch" das Projekt "Jung kauft alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser". Dessen Grundidee war, jüngere Menschen durch finanzielle Anreize dafür zu gewinnen, Altbauten zu erwerben und so neues Leben in die Dorfkerne zu bringen. Nutznießer dieser Idee sind aber nicht nur die jungen Käufer, sondern auch die älteren Hausbesitzer, die vom Werterhalt ihrer Immobilie profitieren. Denn der Verzicht auf neue Baugebiete wirkt dem Preisverfall entgegen, indem er die Nachfrage nach Bestandsimmobilien aufrechterhält. Und auch der Gemeinde bringt die Idee – neben lebendigen Ortskernen – weitere wichtige Vorteile wie einen reduzierten Flächenverbrauch und den Zuzug neuer Einwohner.

So viel Gutes hat natürlich seinen Preis. Waren es 2007, als das Programm eingeführt wurde, noch 20.000 Euro, die die Gemeinde Hiddenhausen für die Finanzierung des Programms aufwenden musste, ist der Betrag mittlerweile auf 270.000 Euro pro Jahr angewachsen. Das zeigt aber auch, wie gut das Programm angenommen wird. Bislang wurde der Erwerb von 424 Altbauten mit durchschnittlich rund 920 Euro pro Objekt und Jahr gefördert.

Finanzielle Förderung ist eine Win-Win-Lösung

Dabei setzt "Jung kauft alt" auf zwei Bausteine. Zum einen erhalten Käufer eine Unterstützung von bis zu 1.500 Euro für die Einholung eines Altbau-Gutachtens, das die Einschätzung der Umbau- und Sanierungskosten erleichtert. Zum Zweiten wird der Erwerb einer mindestens 25 Jahre alten Immobilie sechs Jahre lang ebenfalls bis zu einem jährlichen Höchstbetrag von 1.500 Euro gefördert. Der Zuschuss besteht jeweils aus einem Grundbetrag von 600 Euro, der für jedes im Haushalt lebende minderjährige Kind um weitere 300 Euro aufgestockt wird. Seit 2012 werden neben der Sanierung auch der Abbruch eines Altbaus und die Errichtung eines Ersatzneubaus an gleicher Stelle bezuschusst.

Ein Modell, das sich auch für die Gemeinde rechnet. "Wenn man gegenüberstellt, was wir den Käufern zahlen und was wir im Gegenzug an Schlüsselzuweisungen erhalten und wenn man dann auch noch die Einsparungen bei den Infrastruktur-Folgekosten berücksichtigt, die bei Neubaugebieten am Stadtrand viel höher wären, sind die verbleibenden Kosten für die Gemeinde ziemlich gering", rechnet Andreas Homburg, Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung vor. Eine Einschätzung, die auch durch eine wirtschaftswissenschaftliche Forschungsarbeit zum Thema "Folgekosten der Siedlungsentwicklung" gestützt wird, die das Hiddenhausener Modell genau unter die Lupe genommen und festgestellt hat, dass die Gemeinde letztlich auch finanziell von dem Projekt profitiert.

Die Gemeinde hat die Gesamtentwicklung und die langfristige Perspektive im Blick. "Wir begleiten aktiv den Strukturwandel und sichern Schul- und Kita-Plätze, in dem wir Familien dazu bewegen, in Hiddenhausen zu bleiben oder hierher zu ziehen", erläutert Homburg. "Wir haben in jedem der sechs Ortsteile eine Grundschule und mindestens einen Kindergarten."

Diese Faktoren sind für junge Familien mindestens genauso wichtig wie die finanzielle Förderung. "Nicht die Summe macht’s, sondern die Idee!", ist sich Bürgermeister Ulrich Rolfsmeyer sicher. "Die Leute kommen zwar nicht des Geldes wegen nach Hiddenhausen, aber sie werden so auf uns und die tollen Rahmenbedingungen aufmerksam, die Familien hier vorfinden. Das hat auch viel mit Marketing zu tun." Einfache Regelungen, unkomplizierte Antragswege und kurze, verständliche Formulare ebnen den Weg zum eigenen Häuschen.

Das ebenso einfache wie erfolgreiche Modell weckt nicht nur bei Familien Interesse. Auch zahlreiche andere Gemeinden sind aufmerksam geworden. Mindestens 50 Kommunen in Deutschland haben inzwischen ganz ähnliche Programme aufgelegt, und das Interesse reißt nicht ab. Jede Woche erhält Projektleiter Andreas Homburg zwei bis drei Anfragen von Kommunen, die sich für das Hiddenhausener Modell interessieren, und etwa einmal im Monat begibt er sich auch auf Reisen durch Deutschland, um das vielfach prämierte Projekt vorzustellen.

Eine Förderklasse der besonderen Art

Die Bilanz, die er potenziellen Nachahmern dabei präsentiert, kann sich sehen lassen. Als "Jung kauft alt" 2007 startete, war die Wanderungsbilanz noch negativ: Die Zahl der Wegzüge überwog die der Zuzüge um 203. 2015 waren es bereits 291 mehr Zuzüge als Wegzüge. 790 Erwachsene und 488 Kinder, darunter 89 Neugeborene, sind über das Programm in Hiddenhausen heimisch geworden, sodass inzwischen beinahe jeder zehnte Hiddenhausener Schüler aus einem geförderten Haushalt stammt. Im Sommer 2014 wurden allein 23 "Jung kauft alt"-Kinder eingeschult – rein rechnerisch eine ganze Grundschulklasse.

Kein Wunder also, dass der Rat wegen des großen Erfolges einstimmig beschlossen hat, das Projekt unbefristet fortzuführen. Aber wie lässt sich das Erfolgsgeheimnis hinter "Jung kauft alt" kurz und knapp auf den Punkt bringen? "Ich denke, es ist der ganzheitliche Ansatz!", ist Bürgermeister Ulrich Rolfsmeyer überzeugt. "Wir fördern nicht nur die Jungen, auch die Alten spüren, dass wir uns um sie kümmern. Und deswegen kommt das Programm auch bei Jung und Alt gut an und hat so eine positive Wirkung."

Erschienen am im Format Good Practice

Adresse

Hiddenhausen
32120 Hiddenhausen, Nordrhein-Westfalen

zur Übersichtskarte

Das könnte Sie auch interessieren

Land.OpenData – Ideenwettbewerb (Thema:Digitales Land)

Qualitativ hochwertige und leicht zugängliche Daten bilden eine wichtige Grundlage für einen effizienten Staat und eine moderne Gesellschaft. Darüber hinaus können sie viele Verwaltungsvorgänge vereinfachen. Die Bereitstellung offener Verwaltungsdaten, auch Open Data genannt, bietet einen hervorragenden Hebel, um die Entwicklung ländlicher Räume voranzutreiben. Hier setzt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit seinem Ideenwettbewerb "Land.OpenData" für ländliche Kommunen an.

Mehr

Arbeitsstab "Ländliche Entwicklung" bündelt das Engagement der Bundesregierung für die ländlichen Räume" (Thema:Dorfentwicklung)

Mit dem Arbeitsstab Ländliche Entwicklung hat die Bundesregierung beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2015 auf der politischen Ebene ein Austauschgremium über die Politik der Bundesressorts zur Entwicklung ländlicher Räume geschaffen.

Mehr

BMEL-Förderprojekt "Stadt-Land-Drohne" zur Verbesserung der Nahversorgung erfolgreich gelandet (Thema:Dorfentwicklung)

Der Einsatz von Lieferdrohnen zur besseren Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs in ländlichen Räumen rückt mit dem BMEL-Förderprojekt „Stadt-Land-Drohne“ immer näher an die Realität heran. Jetzt hat die sogenannte „Marktschwalbe“ ihren Jungfernflug im Land Brandenburg absolviert.

Mehr