Wir investieren ganz nach dem Motto "Schützen und Nutzen"

Interview von Bundesminister Cem Özdemir mit "Agra-Europe"

Frage: Herr Minister, Sie haben unlängst betont, kein anderes Thema habe in den ersten zehn Monaten Ihrer Amtszeit so viel Zeit in Anspruch genommen wie der Umbau der Nutztierhaltung. Ist der Wald dabei zu kurz gekommen?

Cem Özdemir: Als Minister jonglieren Sie mit vielen Bällen gleichzeitig, das ist Teil der Aufgabenbeschreibung. Auch solche, die wir zu Beginn gar nicht eingeplant haben, wie den verbrecherischen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine und die damit verbundenen Folgen. Der Umbau der Tierhaltung ist dringend notwendig, das ist Konsens. Und er wurde von den Vorgängerregierungen zu lange verschleppt. Natürlich geht so ein Umbau nicht von heute auf Morgen per Ordre di Mufti. Entscheidend ist, dass wir den Umbau jetzt begonnen haben. Damit ist klar, wir stellen die Tierhaltung zukunftsfest auf und nehmen die Betriebe mit. Die Haltungskennzeichnung wird kommen. Darüber hinaus unterstützen wir die Bäuerinnen und Bauern beim Umrüsten der Ställe und, ganz entscheidend, auch bei den laufenden Kosten für mehr Tierschutz. Dazu gehören dann auch langfristige Verträge, mit denen die Betriebe besser planen können. Der Umbau geht los und ist planbar; das ist ein großer Ampel-Erfolg. Heißt das jetzt Schweine oder Wald? Im Gegenteil, wir brauchen den Wald als Klimaschützer und wir müssen ihn gleichzeitig gegen die Klimakrise stark machen. Da drängt die Zeit. Deshalb habe ich alles in meiner Macht Stehende getan, damit unser Wald-Klima-Paket schnellstmöglich an den Start gehen kann. Aber natürlich arbeiten wir in einer Koalition aus verschiedenen Parteien, so dass sich die Verhandlungen teilweise auch mal etwas schleppen können. Ich freue mich, dass die Waldbesitzenden, die ja alle schon in den Startlöchern sitzen, jetzt bald eine Förderung beantragen können.

Frage: Die Liste Ihrer Gesprächspartner aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie dem Umweltbereich ist lang. Viele davon haben Sie seit Ihrem Amtsantritt mehrfach getroffen. Warum dauert es bis Ende November, bevor es zum ersten Gespräch mit der AGDW-Spitze und seinem Präsidenten Bitter kommt?

Cem Özdemir: Sie fassen es ganz gut zusammen: Die Liste der Gesprächspartner ist lang. Als ich Bundesminister wurde, musste ich feststellen, dass mein Tag leider nicht plötzlich auf magische Weise zusätzliche Stunden dazubekommen hat. Auch mein Tag hat weiterhin nur 24 Stunden. Mir ist es wichtig, dass ich mit den Akteuren aus der Forstwirtschaft im Gespräch bin und bleibe.

Frage: Welchen Stellenwert hat das Thema Wald für Sie persönlich, Ihre Politik und die Ihres Ministeriums?

Cem Özdemir: Der Stellenwert ist da deckungsgleich. Unsere Wälder sind ein echter Schatz. Sie fungieren als natürliche Klimaanlage, schenken uns den nachwachsenden Rohstoff Holz, bieten uns Raum zum Erholen. All seine Funktionen kann der Wald aber nur dann erfüllen, wenn er stabil oder - mit anderen Worten - gesund ist. Wir alle kennen aber die Bilder der abgestorbenen Bäume im Harz oder erinnern uns mit Schrecken an Wälder in der Sächsischen Schweiz, die im Dürresommer wie Stroh verbrannt sind. Mit einer nachhaltigen Waldpolitik das wertvolle Ökosystem zu stärken und den Menschen, die vom Wald leben, ein Einkommen zu sichern - das hat einen hohen Stellenwert.

Frage: Warum hat es so lange gedauert, bis das neue Förderprogramm "Klimaangepasstes Waldmanagement" nun endlich starten kann, nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages bereits vor der Sommerpause die für 2022 vorgesehenen Mittel entsperrt hatte?

Cem Özdemir: Ich hatte die Herausforderungen mit Blick auf die Entscheidungsfindungen einer Regierung aus mehreren Koalitionspartnern schon kurz angesprochen. Aber lassen Sie mich noch einmal genauer auf die Besonderheiten des Prozesses eingehen. Mit der Förderung eines klimaangepassten Waldmanagements wird nicht nur inhaltlich Neuland betreten, sondern - was die Ausmaße angeht - auch zeitlich und finanziell. Die Unterstützung für private und kommunale Waldbesitzende für zusätzlichen Leistungen für den Klimaschutz, für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel sowie für die Waldbiodiversität umfasst ein ganzes Maßnahmenbündel und stellte inhaltlich eine große Herausforderung dar. Zudem soll die Maßnahme für einen langfristigen Zeitraum gelten, was ebenfalls Neuland ist. Finanziell bewegen wir uns in sehr großen Dimensionen mit jährlich 200 Millionen Euro. All das musste natürlich in Einklang mit dem Haushalts- und Zuwendungsrechts gebracht werden, was immer aufwändig ist. Dafür haben wir uns auch mit den Ländern abgestimmt.

Frage: Was ist für Sie der Kern des neuen Förderinstruments?

Cem Özdemir: Neu und einzigartig ist, dass die Förderung darauf abzielt, unsere Wälder resilient zu machen. Mit anderen Worten: Wir investieren ganz nach dem Motto "Schützen und Nutzen". Es kommt also darauf an, wie Sie ihren Wald bewirtschaften. Eine Förderung erhalten die Waldbesitzenden dann, wenn Sie elf beziehungsweise zwölf Kriterien einhalten, die für mehr Anpassung und eine Erhöhung der Biodiversität sorgen - und damit für einen vorausschauenden Klimaschutz. Das ist ein gewaltiges Wald-Klima-Paket.

Frage: Mit welcher Summe je Hektar können die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer im Rahmen des Klimaangepassten Waldmanagements rechnen?

Cem Özdemir: Die Betriebe bekommen bis zu 100 Euro pro Hektar und Jahr, wenn alle zwölf Kriterien über zehn Jahre eingehalten werden.

Frage: Ab wann erfolgt die Auszahlung?

Cem Özdemir: Sobald die Förderrichtlinie in den nächsten Tagen im Bundesanzeiger veröffentlicht ist, können Anträge bei der FNR gestellt werden. Wir haben das Verfahren so schlank wie möglich gemacht, damit dieses Jahr noch Mittel ausgezahlt werden können.

Frage: Sie sprechen von einem "gewaltigen Wald-Klima-Paket". Im Haushalt stehen in den kommenden vier Jahren 900 Mio Euro bereit. Fachleute nicht zuletzt aus Ihrer Ressortforschung beziffern den Bedarf auf ein Mehrfaches, um einen Umbau des Waldes gemäß den Erfordernissen des Klimawandels vorzunehmen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Cem Özdemir: Nicht umsonst haben wir die Förderung auf zehn beziehungsweise 20 Jahre angelegt. Denn natürlich kann es nicht von heute auf morgen gelingen, die Wälder an das veränderte Klima anzupassen und die Artenvielfalt hinreichend zu stärken. Ich setze mich deshalb natürlich für die weitere Unterstützung der Betriebe ein. Und erwarte auch von den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung, dass der Waldumbau entsprechend priorisiert wird. Es geht hier schließlich auch um unsere Verpflichtungen, die Klimaziele zu erreichen.

Frage: Was bedeutet das für die künftige Inanspruchnahme von Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds sowie dem Haushalt des BMEL und insbesondere für die Ausstattung der GAK?

Cem Özdemir: Über die GAK fördern wir Investitionen in den Baumartenwechsel, also den Waldumbau, und die Wiederbewaldung von Schadflächen. Die Zusammenarbeit mit den Ländern ist für diese Mammutaufgabe vor Ort unerlässlich, und hier müssen wir weiter dranbleiben. Der Weg hin zu klimaresilienten Wäldern, die dauerhaft ihre Ökosystemleistungen erbringen können, ist damit aber nicht zu Ende. Fachleute sagen uns, dass die Anpassung an den Klimawandel alle Lebensphasen der Wälder betrifft. Deshalb bringen wir jetzt einen weiteren Förderbaustein, der die GAK-geförderten Maßnahmen sinnvoll ergänzt.

Frage: Müssen sich Politik und Gesellschaft darauf einstellen, dass der Finanzbedarf des Waldes in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter steigen wird?

Cem Özdemir: Wir alle müssen begreifen, dass unsere Ressourcen einen Wert haben und ebenso wie Ökosystemleistungen nicht umsonst sind. An der Finanzierung der Umweltleistungen müssen sich alle beteiligen, sonst wird es unfair. Wir diskutieren das ja schon länger bei der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik, wo wir darauf abzielen möchten, das öffentliche Geld auch in öffentliche Leistungen zu investieren. Eben damit die Landwirtinnen und Landwirte nicht auf den Kosten für Umweltleistungen sitzen bleiben. Was eben auch nicht geht, ist, dass wir auf Kosten unserer Kinder wirtschaften.

Frage: Sie kennen die strittige Diskussion um die Nicht-Nutzung von Waldflächen. Warum ist Ihnen dieses Kriterium so wichtig?

Cem Özdemir: Wir fördern, was wirkt. Und einen sehr kleinen Teil des Waldes einer natürlichen Einwicklung zu überlassen, das hat eben nachweislich große positive Effekte für Biodiversität und Klimaschutz. Davon abgesehen ist dieses Kriterium für die Betriebe bis 100 ha freiwillig; erst die großen Betriebe müssen das verpflichtend umsetzen.

Frage: "Wir brauchen weniger Regulierung und mehr individuellen Gestaltungsspielraum, um standortgerechte Lösungen und einen stabilen Wald zu bekommen", sagt AGDW-Präsident Bitter. Hat er Recht?

Cem Özdemir: Regulierung ist das ja genau nicht. Die Betriebe können die Förderung in Anspruch nehmen, müssen das aber nicht tun. Und auch wenn die Waldbesitzenden die Förderung in Anspruch nehmen, entscheiden sie selbst das Gros der Bewirtschaftung. Sie sehen das ganz gut in der Landwirtschaft: Wenn Sie beispielsweise zehn Betriebe besuchen, die etwa Öko-Schweinehaltung machen, muss nicht jeder Betrieb gleich aussehen - obwohl die Höfe alle die strengen Kriterien einhalten. Ganz genauso ist das im Wald - und das muss es auch, denn die Standorte in Deutschland unterscheiden sich schließlich stark. Wichtig ist mir nochmal zu betonen: Wenn wir Steuergeld investieren in den Wald, muss sich das eben auch in "öffentlichen Leistungen" auszahlen wie eben Klima- oder Artenschutz.

Frage: Was bedeutet das für die anstehende Novelle des Bundeswaldgesetzes?

Cem Özdemir: Für die Novelle des Bundeswaldgesetzes gilt es, eine gleichermaßen ausbalancierte wie sachgerechte Regelung zu finden, die den bestehenden Herausforderungen des Klima- und Naturschutzes gerecht wird und die gleichzeitig die Besonderheiten der Länder und die Belange der Waldbesitzenden sowie der Wertschöpfungskette berücksichtigt. Ein zentrales waldpolitisches Ziel und zugleich Herausforderung ist, dabei eine ausbalancierte Lösung zu finden zwischen einerseits bundesweit einheitlichen gesetzlichen Mindeststandards, die ohne Entschädigung einzuhalten sind und bisher im Bundeswaldgesetz noch nicht enthalten sind, und andererseits gesellschaftlich erwünschten Sonder-Leistungen, zum Beispiel in den Bereichen Biodiversität und Klimaschutz, deren Erbringung nur gegen einen angemessenen Ausgleich erwartet werden kann.

Frage: Sie haben wiederholt Pragmatismus als ein Leitprinzip für Ihre Politik bezeichnet. Was folgt daraus für die Waldpolitik?

Cem Özdemir: Pragmatisch ist für mich, die Betriebe darin zu unterstützen, den Wald für kommende Generation zu stärken und gleichzeitig weiter zu nutzen. Und genau darauf zielen wir mit unserer Waldpolitik ab. Wer den Wald stark macht, macht starken Klimaschutz.

Quelle: Agra-Europe vom 07.11.2022

Fragen von Rainer Münch

Erschienen am im Format Interview

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