Gebietsfremde und invasive Arten
Gebietsfremde Arten
Im Gegensatz zu den einheimischen (indigenen), von Natur aus bei uns vorkommenden Tier- und Pflanzenarten, sind gebietsfremde Arten durch den Einfluss des Menschen zu uns gekommen. Dies kann beabsichtigt, z. B. durch Einfuhr von Nutzpflanzen, oder unbeabsichtigt erfolgen, z. B. bei der Einschleppung durch Ballastwasser. Seit dem Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit haben Einbringung und Etablierung gebietsfremder Arten in Mitteleuropa in unterschiedlich starkem Umfang stattgefunden. Dabei spielen die Zunahme von Handel und Verkehr eine so wichtige Rolle, dass die Entdeckung Amerikas 1492 zur Abgrenzung dient: Arten, die vorher – z. B. durch die Römer in der Antike – eingebracht wurden, werden als Archäobiota bezeichnet, nach 1492 eingeführte Arten als Neobiota. Wann und auf welche Weise eine Art zu uns gekommen ist, kann meist erstaunlich genau z. B. durch dokumentierte Naturbeobachtungen, historische Kräuterbücher oder in Mooren oder Grabbeilagen erhaltene Reste bestimmt werden. Nur wenige der eingebrachten Arten können sich bei uns dauerhaft in der Natur halten (etablieren), zumeist aus Regionen mit ähnlichen Klimabedingungen.
Invasive Arten
Die meisten gebietsfremden Arten stellen kein Naturschutzproblem dar, unterliegen dem allgemeinen Artenschutz für wildlebende Arten, können im Fall von Archäobiota Schutzgüter der Roten Listen sein und werden teilweise sogar als "Bereicherung" empfunden. Nur wenige gebietsfremde Arten gefährden in ihrem neuen Einbringungsgebiet die biologische Vielfalt und werden daher als „invasiv“ bezeichnet. Invasive Arten sind in Mitteleuropa wegen der langen Landnutzungsgeschichte und der Lage als geographischer Durchgangsraum weit weniger an der Gefährdung der Artenvielfalt beteiligt als z. B. auf langen isolierten Inseln, die erst in den letzten Jahrhunderten mit gebietsfremden Arten „konfrontiert“ wurden. Angesichts der prognostizierten Klimaerwärmung ist aber mit einer verstärkten Ausbreitung gebietsfremder Arten und damit einem erhöhten Risiko durch invasive Arten zu rechnen. Invasive Arten können z. B. in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen zu einheimischen Arten treten und diese verdrängen, Krankheiten übertragen oder durch Kreuzung mit einheimischen Arten den Genpool verändern.
Neben Naturschutzproblemen können gebietsfremde Arten aber auch ökonomische (z. B. Schädlinge, Managementkosten) oder gesundheitliche Probleme verursachen (Übertragung von Krankheiten, Allergien, wie die Ambrosie).
Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertungen
Auf Basis von naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertungen werden zunehmend Listen erarbeitet, die kriterienbasiert und daher nachvollziehbar gebietsfremde Arten mit nachgewiesenen oder potentiellen negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt enthalten. Die naturschutzfachliche Invasivitätsbewertung ist daher ein übersichtliches und einfach kommunizierbares Instrument für den praktischen Naturschutz und eine normative Bewertungsgrundlage und trägt so zu einer Fokussierung der Diskussion bei. Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Instruments reicht von der Berücksichtigung in Pflege- und Entwicklungsplänen von Schutzgebieten über die Begrünungsplanung (z.B. von Verkehrswegen) bis hin zu naturschutzgemäßen Nutzungen (z.B. für den Gartenbau, Forst- und Fischereiwirtschaft, Biomasseanbau) und rechtlich-administrativen Maßnahmen (z.B. für Verbote oder Ausnahmegenehmigungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz bzw. der EU-Verordnung Nr. 1143/2014 über invasive Arten).
Strategien zum Umgang mit invasiven Arten
Durch das Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt wird international empfohlen, Regelungen zu invasiven Arten auf einen dreistufigen Ansatz aufzubauen: Im Sinne des Vorsorgeprinzips soll primär die Einbringung weiterer Arten verhindert werden, neue invasive Arten sollen durch ein Frühwarnsystem rechtzeitig erkannt und ihre Etablierung und Ausbreitung – solange dies noch machbar und finanzierbar ist – durch Sofortmaßnahmen verhindert werden. Ist dies nicht möglich oder die invasive Art schon lange bei uns und weit verbreitet, sollen ihre Auswirkungen je nach Einzelfall gemindert werden. In Deutschland ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) u. a. das Ansiedeln bestimmter gebietsfremder Arten in der freien Landschaft vom behördlichen Naturschutz zu genehmigen, sofern dies nicht im Rahmen von Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Fischerei oder biologischem Pflanzenschutz erfolgt. Außerdem enthält die Unionsliste der EU-Verordnung Nr. 1143/2014 eine Vielzahl von invasiven Tier- und Pflanzenarten, für die umfassende Verbote (u.a. Vermarktung, Besitz, Zucht, Ausbringung) gelten. Ferner sind andere nationale (z. B. das Jagd- und Fischereirecht) und internationale Regelungen von Bedeutung (z. B. das 2004 verabschiedete Ballastwasserabkommen für den Seeschifffahrtsverkehr oder Regelungen des Pflanzenschutzes).
Situation in Deutschland
Obwohl im Laufe der Jahrhunderte bis heute zehntausende gebietsfremde Arten nach Deutschland gelangt sind, konnten sich nur relativ wenige dieser Arten – zumeist aus Regionen mit ähnlichen Klimabedingungen – in die Natur dauerhaft ausbreiten.
Zu den in Deutschland vorkommenden Archäobiota (vor 1492 dauerhaft eingebracht) gehören rund 300 etablierte Arten, von denen die Gefäßpflanzen die mit Abstand größte Gruppe bilden. Die Archäobiota stammen größtenteils aus dem vorder- oder zentralasiatischen Raum und umfassen besonders die Kulturfolger aus der Zeit der Neolithischen Revolution (8000 v. Chr. bis 2000 v. Chr.).
Die Zahl der etablierten Neobiota (nach 1492 eingebracht) beträgt aktuell rund 900 Arten, was bei einem Gesamtbestand von rund 74.000 etablierten Arten in Deutschland einen Anteil von einem Prozent ausmacht. Auch unter den Neobiota bilden die Pflanzen (Neophyten) mit rund 470 etablierten Arten die größte Gruppe. Es folgen die Wirbellosen- und Wirbeltiere (Neozoen) mit zusammen etwa 320 Arten und die Pilze (Neomyceten) mit knapp 100 Arten.
Bis etwa 1850 hat die Zahl der Neobiota-Arten stetig, aber nur sehr langsam zugenommen. Seit rund 170 Jahren ist jedoch eine stark steigende Tendenz bei den Neuetablierungen festzustellen, die vor allem mit dem deutlich zunehmenden weltweiten Handel und Verkehr in Zusammenhang steht. Gleichzeitig stieg auch die Zahl derjenigen gebietsfremden Arten drastisch an, die bisher im Freiland nur vereinzelt gefunden werden konnten. So gelten aktuell unter den Neobiota rund 1.600 Pflanzen-, etwa 40 Pilz- und über 450 Tierarten als unbeständig vorkommend. Insgesamt ist vor allem bei den Wirbellosen Tieren sowie bei den Niederen Pflanzen und Pilzen mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen, da diese bislang nur unzureichend erfasst sind.
Gegenwärtig wird das Vorkommen von Neobiota-Arten in Deutschland vor allem durch kalte Winter begrenzt. Diese klimatische Barriere wird sich im Zuge des Klimawandels deutlich abschwächen, wodurch mit einer verstärkten Ausbreitung dieser Arten zu rechnen ist.
Etwa zehn Prozent der etablierten Neobiota gefährden in Deutschland die biologische Vielfalt und werden daher als „invasiv“ bezeichnet. Zusätzlich gibt es auch unter den unbeständig auftretenden Neobiota eine größere Anzahl von invasiven Arten, deren vollständige Beseitigung noch möglich erscheint.
Als Hauptgefährdungsursachen dominieren interspezifische Konkurrenz um natürliche Ressourcen, gefolgt von negativen ökosystemaren Auswirkungen, Prädation und Krankheitsübertragungen. Eine anscheinend etwas geringere Rolle spielt die Hybridisierung zwischen gebietsfremden und heimischen Arten mit der Ausbildung fertiler Hybriden. Diese Gefährdungsursache wurde bisher in der Wissenschaft eher selten betrachtet, so dass durch Hybridisierung möglicherweise die biologische Vielfalt in Deutschland noch stärker gefährdet wird, als bisher bekannt ist.
Beispiele für invasive Neozoen in Deutschland
Die meisten gebietsfremden Wirbeltierarten wurden in Deutschland absichtlich freigesetzt und gefährden heute teilweise die biologische Vielfalt. Zwei aktuelle Beispiele sind der Waschbär und der Ochsenfrosch.
Der bei uns vorkommende Waschbär (Procyon lotor) gehört zu den Kleinbären. Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet erstreckt sich über Nord- und Mittelamerika. Nach Deutschland gelangte die Art zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Pelztierzüchter. Am nordhessischen Edersee wurde der Waschbär sogar aktiv freigesetzt. Die Tatsache, dass der Waschbär bis 1954 unter Schutz stand, half der Art, sich in Deutschland auszubreiten. Heute befindet sich der Schwerpunkt seines Verbreitungsgebietes innerhalb Deutschlands im Dreiländereck Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Waschbären sind Generalisten, die nur geringe Ansprüche an die Art ihrer Nahrung stellen und sich schnell an geänderte Umstände anpassen können. Dies erklärt ihren Erfolg bei der Besiedlung neuer Lebensräume. Als Kulturfolger bevölkern sie sogar unsere Städte und ernähren sich auch gern von Speiseresten in Mülltonnen. Es gibt jedoch zunehmend Belege über negative Auswirkungen des Waschbären auf die biologische Vielfalt, so dass der Waschbär EU-weit als invasive Art gilt. Beispielsweise hat sich der Waschbär in Brandenburg auf das Ausgraben von Eiern der Europäischen Sumpfschildkröte spezialisiert, die in Deutschland als FFH-IV-Art streng geschützt und gemäß der bundesdeutschen Roten Liste vom Aussterben bedroht ist.
Der Nordamerikanische Ochsenfrosch (Rana catesbeiana) wurde in den 1980er und 90er Jahren vielfach in Gartenbauzentren zum Kauf angeboten. In Folge dessen wurde er in Europa an verschiedenen Stellen absichtlich oder aus Unachtsamkeit freigesetzt. In Deutschland sind bisher vier Standorte bekannt. An zwei Stellen (Celle und Stuttgart) wurde er erfolgreich beseitigt. Bei Bonn befand er sich in einem durch einen Zaun begrenzten Gewässer, wodurch seine Ausbreitung verhindert wurde. Das Vorkommen in der nördlichen Oberrheinebene ist auf mehrere, z.T. größere Gewässer verteilt. Aufgrund seiner Körpergröße lässt sich der ausgewachsene Ochsenfrosch (Rana catesbeiana) mit keiner einheimischen Froschart verwechseln. Die etwas größeren Weibchen erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von ca. 20 cm und eine Hinterbeinlänge von ca. 25 cm. Charakteristisch sind die, fast wie ein zweites Augenpaar wirkenden Trommelfelle, die bei den Männchen fast doppelt so groß sind wie die Augen. Ebenso auffällig ist die Hautfalte, die vom Hinterrand des Auges um das Trommelfell bis zu den Vorderbeinen reicht. Ochsenfrösche fressen neben Insekten, Spinnen, Fischen, Krebsen, Kleinsäugern und Kleinvögeln mit Vorliebe andere Amphibien. Durch seine negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt gilt der Ochsenfrosch EU-weit als invasive Art.