Eine lebensgefährliche Operation am offenen Herzen eines Säuglings, ein Wohnungsbrand bei einer Großfamilie oder eine schwierige Prüfung – Stresssituationen sind in vielen Berufs- und Ausbildungssparten unvermeidlich. Hier erzählen eine Herzchirurgin, ein Feuerwehrmann und ein Master-Student, wie sie Stressmomente meistern.
Die Herzchirurgin
Dr. Julie C., 48, leitende Oberärztin am Deutschen Herzzentrum in München: Ich operiere Säuglinge und Kinder mit Herzfehlern. In meinen Beruf erlebe ich zweierlei Arten von Stress. Den akuten, der sich einstellt, wenn während einer Herz-OP etwas Unvorhersehbares passiert. Und den chronischen, der dauerhaft vorhanden ist, weil man nie alles schafft, was man sich vorgenommen hat. Stressiger ist der akute.
Manchmal findet man während einer Operation etwas vor, das man so nicht erwartet hat. Und ganz selten macht man auch mal einen Fehler und verletzt zum Beispiel eine wichtige Struktur. Das ist Stress pur. Plötzlich hat man eine neue Situation. Man muss ganz schnell agieren und entscheiden, was das Richtige ist. Und man muss klar und ruhig bleiben. Als Hauptoperateur ist es wichtig, dass man Ruhe ausstrahlt.
Das ist nicht immer einfach. Ich habe es über die Jahre gelernt und bei meinen Vorbildern abgeschaut. Und natürlich hilft die Erfahrung. Ich schließe kurz die Augen, atme tief durch und denke nach. Wenn es etwas schnell zu entscheiden gibt in einer OP, bespreche ich mich kurz mit meinem Team, den Anästhesisten und den OP-Schwestern. Jeder ist eingeladen, eine Idee beizutragen. Meist ist das ist sehr fruchtbar.
„Ich denke nicht an das süße Baby unter dem Tuch. Sondern an dessen Herzfehler und wie ich diesen operieren kann.“
Natürlich habe ich schon viele Stresssituationen erlebt. Auch wenn mich heute nichts so leicht aus der Ruhe bringt, trage ich als Hauptoperateur die Verantwortung für den Erfolg einer Operation.
Wenn ich operiere, blende ich bestimmte Dinge aus. Ich denke nicht an das süße Baby unter dem Tuch, sondern an dessen Herzfehler und wie ich diesen beheben kann. Je riskanter und lebenswichtiger der Eingriff, desto ruhiger bin ich. Stressiger sind dagegen die nicht lebenswichtigen Operationen, bei denen trotzdem etwas Unvorhergesehenes geschehen kann.
Ich bereite mich auf jede Operation intensiv vor. Das mindert den Stress. Ich studiere alle Befunde und Bilder, habe mit den Eltern gesprochen und mir die Kinder angesehen. Für komplexe Fälle erstellen wir 3D Modelle von den kleinen Herzen, das ist sehr hilfreich. Trotzdem sieht ein Babyherz in der OP anders aus. Weil es nicht mit Blut gefüllt ist, ist es in sich zusammengefallen.
Obwohl im Ultraschall vor der Operation alles klar war, erkennt man manchmal in der OP nicht mehr alle Strukturen gut. Oder man findet das Loch erst nicht mehr, das es zu schließen gilt. Man braucht Zeit, um sich einen Überblick zu verschaffen und muss eine bestimmte Vorstellungskraft haben. Zugleich soll der kleine Patient nur so kurz wie möglich an der Herz-Lungen-Maschine angeschlossen bleiben. Wir haben immer die Zeit im Nacken. Man muss zügig und präzise arbeiten.
Das intensive Händewaschen vor der Operation nutze ich, um mich zu sammeln. Für mich ist das wie ein kleines Entspannungsritual. Einige Minuten habe ich Zeit, um noch einmal alle OP-Schritte gedanklich durchzugehen. Eine gewöhnliche Herz-OP dauert etwa drei Stunden. In dieser Zeit spüre keine Müdigkeit, ich bin maximal fokussiert, auch durch die Lupenbrille, die 3,5fach vergrößert und die Umgebung unscharf werden lässt. Im OP-Saal herrscht absolute Ruhe. Ich schalte alles um mich herum ab, auch die Uhrzeit. Und merke oft erst nach der OP, wie hoch der Adrenalinspiegel war.
Zum Glück geht meistens alles gut. Sonst könnte man diesen Beruf auch nicht machen. Gerade, wenn man durch eine Stresssituation gegangen und am Ende alles gut gelaufen ist, ist das wahnsinnig erleichternd. Ein vormals bettlägeriges Kind zu sehen, das nach einer gelungenen OP wieder strahlend durch die Gegend läuft, macht mich glücklich.
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Der Feuerwehrmann
Bastian K., 39, hauptamtlicher Gerätewart bei der Freiwilligen Feuerwehr: Ich bin seit 21 Jahren bei der Feuerwehr. Bei einer Ölspur geht der Puls nicht mehr hoch. Aber sobald ein Menschenleben in Gefahr ist, steigt bei mir der Adrenalinlevel - auch nach 21 Jahren noch. Zum Beispiel bei Bränden, wenn eine Person oder mehrere Personen vermisst werden. Dann weiß man, es geht um jede Sekunde. Trotzdem muss man versuchen, immer ruhig zu bleiben. Wenn du als Einsatzkraft Stress mitbringst, steckst du die anderen an. Dann wird die Mannschaft hektisch.
Was mir hilft, ist Übung und standardisierte Prozesse. Für jeden Einsatz gibt es bei der Feuerwehr Standardeinsatzregeln, die einen einigermaßen automatisierten Ablauf sicherstellen sollen. Jeder weiß, was er zu tun hat. Das macht es schon mal leichter. Die Abläufe sind eingespielt, man hat sie viele Dutzend Male geübt. Trotzdem lässt sich die Dramatik der Realität nicht in einer Übung nachstellen. Immer wieder gibt es Situationen, mit denen man nie gerechnet hat und in denen man blitzschnell umdenken muss.
So ein Einsatz ist körperlich extrem anstrengend. Man schleppt 25 bis 30 Kilo Zusatzgewicht mit sich herum: vierlagige Schutzkleidung, eine Atemmaske, die das Sprechen einschränkt, Stahlflaschen mit Atemluft und Äxte, Wasserschläuche etc. Oft muss man schreien, damit die anderen einen verstehen, das trägt nicht gerade zur Entspannung bei. Nach einer halben Stunde ist jeder von uns schweißgebadet.
Einmal wurden wir nachts um drei zu einem Wohnungsbrand gerufen. Als wir ankamen, hing eine Person an einem brennenden Balkon. Die Wohnung stand in Vollbrand und es hieß, es seien noch mehrere Personen vermisst. Da wird man schon etwas hektisch.
Wir sind in voller Montur in die Wohnung gestürmt, die in Flammen stand, haben die erste Zimmertür aufgerissen und dahinter in sieben ängstliche Augenpaare geblickt. Drei Erwachsene und vier Kinder hatten sich in das Schlafzimmer gerettet. Es bleibt wenig Zeit zum Nachdenken, auch nicht über das eigene Gestresstsein, weil alles so schnell gehen muss. Wir haben alle gerettet. Das sind die Momente, in denen man weiß, warum man das macht.
Aber es gibt auch die anderen Erlebnisse, die einen aufwühlen und tagelang nachgehen. Etwa, wenn man Brandleichen oder Unfalltote bergen muss. Als junger Feuerwehrler musste ich einmal ein schreiendes Kleinkind aus einem verunfallten Auto retten, dessen beide Eltern auf dem Vordersitz tot waren. Diese Bilder setzen sich fest, wenn man nicht daran arbeitet.
Als ich mit 18 anfing, hat man die Rettungskräfte mit der Verarbeitung solcher Momente ziemlich allein gelassen. Da hat man sich nach dem Einsatz zu einem Bier zusammengesetzt und ein bisschen geredet und musste den Rest mit sich selbst ausmachen. Heute ist der Umgang mit solchen Krisensituationen viel professioneller.
„Erzählen hilft, das Geschehene einzuordnen und Gefühle kognitiv zu bearbeiten, statt sie zu verdrängen.“
Wir arbeiten nach dem Konzept der Psychosozialen Notfallversorgung, kurz PSNV. Der Kreisfeuerwehrverband hat dafür ein eigenes Team gebildet, dessen Mitglieder eine Zusatzausbildung absolviert haben. Die Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen ist ein wichtiges Element der PSNV. Sie soll helfen, das Erlebte zu verarbeiten und ein posttraumatisches Belastungssyndrom zu verhindern. Sofort nach dem Einsatz kommen die PSNV-Kameraden ins Gerätehaus und suchen das Gespräch.
Ich glaube, es ist wichtig, dass man darüber spricht, was man gesehen und erlebt hat, auch über die schrecklichen Bilder. Es gibt Dinge, die kann man nicht mit sich selbst ausmachen, das holt einen immer ein. Das Erzählen hilft, das Geschehene einzuordnen und Gefühle kognitiv zu bearbeiten statt sie zu verdrängen.
Ich spreche auch mit meiner Frau darüber, aber ich gehe nicht in Details, die vielleicht verstörend wären. Kommunikation wirkt immer. Das gilt auch für den Einsatz. Wenn es brenzlig ist, werden die Kommandos natürlich knapper und der Ton schärfer. Da ist keine Zeit für „Bitte“ und „Danke“. Aber so etwas weiß man zu nehmen.
Auch wenn man mit Brand- oder Unfallbeteiligten zu tun hat, ist Sprechen das A und O. Diese Menschen stehen oft unter allergrößtem Stress, viele haben Schmerzen, Angst oder Panik. Das Einzige, was hilft, ist beruhigend auf sie einzureden. Und sie zu retten natürlich.
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Der Master-Student
Marius E., 26, Student der Wirtschaftswissenschaften mit Masterabschluss: Die stressigste Situation meines Lebens war ein internationaler Zulassungstest namens GMAT für einen Masterstudiengang an einer ausländischen Uni. Dieser Test ist berüchtigt für seine Härte.
Dank eines Algorithmus werden die Multiple-Choice-Aufgaben automatisch schwerer, wenn man die vorhergehenden richtig beantwortet hat. Pro Aufgabe hast du nur etwa eine Minute zum Nachdenken und von dem Ergebnis hängt ab, ob du eine Zukunft an einer renommierten Business-Universität hast oder nicht. Viele Studenten lernen monatelang für den GMAT und jedes Jahr erreichen Tausende nicht die für ihre Zulassung notwendige Punktzahl. Ich habe wochenlang gepaukt und unzählige Fragen in der Übungsversion online beantwortet. Ich fühlte mich gut vorbereitet.
Dennoch war der Prüfungstag extrem stressig. Die Rahmenbedingungen sind sehr streng, man muss alle persönlichen Habseligkeiten in einen Spint sperren, seinen Fingerabdruck abgeben, Getränke sind verboten, Hilfsmittel wie Taschenrechner sowieso. Nur ein Stift ist erlaubt. Ich war so aufgeregt wie noch nie. Mein Bauch grummelte, mir war etwas schlecht, das Herz schlug wie wild und ich schwitzte.
Was hilft? Augen zu und durch. Vor der Prüfung mit den anderen, nicht weniger nervösen Probanden zu sprechen, hat mich ein bisschen runtergebracht. Im Test versuchte ich so gut wie möglich zu fokussieren und ruhig zu atmen. Am Anfang lief es gut. Dann plötzlich wurden die Fragen leichter – ein Hinweis, dass ich einige zuvor falsch beantwortet hatte. Ich geriet etwas in Panik. Wohl wissend, dass diese Panik meine Leistung zusätzlich mindert.
In so einem Moment fühlt man sich zunächst relativ machtlos. Man kann es akzeptieren und versuchen, die negativen Emotion zu unterdrücken. Das kann ich ganz gut. Das Studium hat mein rationales Denken geschärft, ich versuche, mit der Logik und Lösungsorientiertheit eines Homo oeconomicus an Aufgabenstellungen heranzugehen. Das kommt mir in Stresssituationen extrem zugute.
„Pessimistisches Denken hilft in Stresssituationen wenig – im Gegenteil. Ich versuche stattdessen mir selbst positiv zuzureden.“
Pessimistisches Denken hilft in Stresssituationen wenig, im Gegenteil. Ich versuche stattdessen mir selbst positiv zuzureden. Ich sage mir, ich weiß, ich kann das schaffen und dass es bis jetzt immer geklappt hat. Ich habe das Vertrauen, dass es schon gelingen wird. Damit coache ich mich innerlich.
Oft entsteht Stress durch Zeitnot. Die wenigsten Studenten geben ihre Hausarbeiten oder die Bachelorarbeit lange vor der Deadline ab. Bei den meisten herrscht am Ende Zeitdruck. Ich persönlich finde das grundsätzlich gar nicht so schlimm. Meine Erfahrung ist, dass ein wenig Zeitdruck meine Leistung und Effizienz fördert.
Ich kenne das belastende Gefühl, vor einem riesigen Berg zu stehen und nicht zu wissen, wo man anfangen soll. Was mir bei meiner Masterarbeit unter Corona-Bedingungen geholfen hat, war inhaltlichen Input von anderen Wissenschaftlern und meinem Professor einzuholen.
Das gibt einem Schwung. Was außerdem hilft: die Arbeiten zeitlich zu strukturieren. So habe ich mir in intensiven Prüfungsphasen kleinere Blocks von 3 bis 4 Tagen je Fach vorgenommen und systematisch gelernt. In dieser Zeit herrschte Feierverbot und ich achtete auf ausreichend Schlaf.
Das Lernen habe ich immer in die Bibliothek verlegt. Das war für mich die perfekte Lernumgebung. Dort kannst du nicht anders als produktiv zu sein. Nichts lenkt dich ab und du kannst nicht prokrastinieren, also verschieben und vertagen. Auch in Gruppen zu lernen hat mir sehr geholfen. Wenn du anderen erklärst, was du machst und planst, wirkt das wie ein Re-Inforcement. Es macht dir selbst die Dinge klarer und bestärkt dich in deinem Vorhaben.
Ich versuchte, viel mit dem Fahrrad zur Uni zu fahren, da wird der Kopf wach. Und ich trinke sehr viel Wasser und Kaffee. Je mehr Stress, desto mehr trinke ich. Keinen Alkohol natürlich. Ich bilde mir ein, dass ich mental nicht so fit bin, wenn ich zu wenig getrunken habe.
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