Das Jahr 2020 war gerade drei Monate alt, da sah sich auch Johannes Oerding einer Notbremsung ausgesetzt: Der Sänger war gerade dabei, sein Album „Konturen“ auf die Bühnen dieser Republik zu bringen, als die Covid-19-Pandemie ausbrach – und auch ihn dazu zwang, seine Tour sofort zu beenden.Was macht man da? Oerding hielt wie viele zunächst einmal inne. Die Ruhe des Lockdowns – nun, nicht genießen, aber doch nutzen. Der Hamburger, der mittlerweile sechs Alben veröffentlicht hat und mit der regulären Version von „Konturen“ im vergangenen Jahr zum ersten Mal die Spitzenposition der deutschen Charts erreichte, schrieb einen Song. „Ketten“ heißt der, mutet recht beschwingt an, erzählt aber trotzdem von den schweren Tagen. „Es ist still geworden. Du hast deine, ich hab meine Sorgen“, singt Oerding, später: „Ich breche aus, aus, aus – und ich lauf, lauf, lauf!“ Der Musiker konnte in der Tat rasch wieder raus und spielte im Sommer eine vielbeachtete Reihe an pandemiegerechten Konzerten im Hamburger Stadtpark.„Ketten“ ist einer von zwei brandneuen Songs, die sich nun auf der Special Edition des Albums finden. Der zweite heißt „Ungeschminkt“. Ein kleines Lied über Liebe, Freundschaft und Zuneigung, das sich aber auch auf den Optimierungswahn der sozialen Netzwerke anwenden lässt. „Ich komme aus einer Zeit, in der ein Foto noch ein Foto war“, sagt Johannes Oerding. Das passt gut zu „Anfassen“, einem der Stücke, die sich schon auf der Ursprungsversion des Albums finden. Da singt Oerding über „Tausende von Freunden, noch nie gesehen“: „Man denkt, dass die Followerzahl irgendwas bedeutet. Aber eigentlich ist das doch wie viel Geld bei Monopoly!“Ursprünglich war die Idee für die Weihnachtszeit eine andere, denn Johannes Oerding wollte mit einem ganzen Orchester ins Studio gehen. Ein Plan, der pandemiebedingt nicht aufging. Die Alternative ist nun diese Edition von „Konturen“. Neben den Albumtracks und den beiden neuen Songs finden sich darauf neun Akustik-Versionen, die so vermutlich auch den einen oder anderen langjährigen Fan überraschen dürften. Johannes Oerding erzählt: „Ich hatte einfach wahnsinnig viel Material in der Hinterhand, das mir sehr gut gefiel – und das ich unter die Leute bringen wollte.“Es sind nicht nur die neuen Songs, die im etwas reduzierteren Gewand daherkommen. Auch Oerding-Klassiker wie „Reparier’n“ wurden auf ihre Essenz heruntergebrochen. Was denkt der Musiker, wenn er diese Lieder heute, wo sie zum Teil zehn Jahre alt sind, hört? „Im ersten Moment denke ich immer: ,Wieso ist der nicht mehr auf der Setlist? Wieso spiele ich den nicht mehr?‘“, sagt Oerding und lacht, um kurz darauf anzufügen: „Aber das ist natürlich nicht bei allen Songs so. Manches würde ich heute so nicht mehr schreiben. Da bin ich textlich reifer geworden.“Die Art, auf die der Songwriter den Kreativprozess angeht, hat sich ohnehin über die Jahre verändert. Wo früher erst die Musik da war, sucht Oerding heute nach der Geschichte. Findet Worte, findet Zeilen – und letztlich eine eigene Melodie. Wie gut das funktioniert, erkennt man an einem weiteren „Konturen“-Song: „Unter einen Hut“ verhandelt auf eine Art und Weise die eigenen Ambivalenzen, die man so selten zu hören bekommt. Die feinfühlig ist, aber prägnant und dabei ohne jedes Klischee auskommt. Ein Glücksfall für den deutschen Pop, der im nächsten Jahr auch wieder live zu sehen sein wird. Die „Konturen“-Tournee soll im Frühjahr 2021 fortgesetzt werden.
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