Wer in diesem Jahr über Himmelfahrt oder an den Pfingstfeiertagen durch die Berliner Innenstadt gewandelt ist, wird vielleicht in einem Regierungsgebäude in der Mauerstraße auffallende Geschäftigkeit festgestellt haben. Hier befand sich in diesen Tagen die Task Force EHEC, die „wie eine Sonderkommission der Polizei“ arbeitete und sich auf der „Spur der Sprossen“ bewegte (Bild am Sonntag).

Was sich hinter diesen etwas flapsigen Formulierungen der Boulevardpresse verbarg, war nicht weniger als eine völlig neue Form der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Europäischen Institutionen zur Aufklärung von mit Lebensmitteln assoziierten Infektionen mit teilweise lebensbedrohliche Folgen.

Doch was war geschehen? Seit Anfang Mai 2011 kam es in Norddeutschland zu einer auffälligen Häufung von Darmerkrankungen mit blutigen Diarrhöen, die sich teilweise zu einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) entwickelten. Als Ursache konnte bereits nach kurzer Zeit die Infektion mit enterohämorrhagischer Eschericha coli (EHEC) der Serogruppe O104:H4 identifiziert werden. Das gehäufte Auftreten bei Frauen (etwa zwei Drittel der Erkrankten waren weiblich) deutete schon in dieser frühen Phase darauf hin, dass der Krankheitsausbruch wahrscheinlich mit einem pflanzlichen Lebensmittel assoziiert war. Systematische Befragungen von Patienten durch Teams des Robert Koch-Instituts bestätigten dies. Spekulationen, nach denen entweder Sandstürme über gedüngten Feldern (im April verursachte ein Sandsturm in Mecklenburg-Vorpommern einen Massenunfall auf der Autobahn) oder gar ein krimineller Anschlag ursächlich waren, erwiesen sich als haltlos.

Und: Dieses Ausbruchgeschehen stellte völlig andere Anforderungen an die Beteiligten als jede Lebensmittelkrise zuvor. Bei allen bisherigen Lebensmittelkrisen kannte man das betroffene Lebensmittel und in der Regel auch die Herkunft der Kontamination. Im aktuellen Kontext kannte man weder das eine noch das andere. Darüber hinaus gelang in keinem Lebensmittel der laboranalytische Nachweis des auslösenden Erregers. Die zwischenzeitige Identifizierung von EHEC-Keimen auf einer Gurke in Hamburg führte nicht zu der erhofften Aufklärung, da diese Keime einer anderen Serogruppe angehörten.

Erst die logische Verknüpfung von epidemiologischen Erkenntnissen aus der Untersuchung einzelner Ausbruchscluster mit dem Managementinstrument der Rück- und Vorwärtsverfolgung von Lieferketten und Warenströmen erbrachte den entscheidenden Durchbruch. Dieser strategische Ansatz wurde möglich, weil alle Beteiligten (European Food Safety Agency, Robert Koch-Institut, Bundesinstitut für Risikobewertung, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Vertreter aus Bayern, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) zu einer überregionalen Koordination und Zusammenarbeit bereit waren. Im Rahmen der zu diesem Zweck gegründeten und am BVL angesiedelt Task Force EHEC arbeiteten sie eng zusammen und hielten ständig Verbindung mit ihren örtlichen Ansprechstellen. Durch diese konzertierte Herangehensweise konnten relativ schnell bestimmte Chargen von Bockshornkleesamen aus Ägypten mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vehikel für den Krankheitserreger identifiziert werden. Das Ausbruchgeschehen wurde schließlich am 26. Juli 2011 vom Robert Koch-Institut für beendet erklärt.

Kann man sich nun zufrieden zurücklehnen? Ganz sicher nicht. Die Aufarbeitung der Erkenntnisse steht erst am Anfang. Dabei ist das Geschehen aus ganz verschiedenen Perspektiven zu betrachten: Aus der Sicht der Behörden, die nun ihre internen Abläufe und ihre Koordination evaluieren, aus Sicht der Wirtschaft, die in bestimmten Bereichen Umsatzeinbrüche erlitt, aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit, die Orientierung an einer klaren Kommunikation erwartet sowie aus der Perspektive der Wissenschaft.

In den Artikeln der vorliegenden Ausgabe des Journals für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zum Leitthema EHEC werden einige dieser Perspektiven eingenommen: Das epidemiologische Geschehen aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht greift der Artikel von Rosner et al. auf. Die Autoren sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts und stellen heraus, dass die enge Kooperation zwischen Gesundheits- und Lebensmittelüberwachungsbehörden die zeitnahe Aufklärung des Ausbruchsgeschehens ermöglicht hat. Gedanklich schließt sich der Artikel von Weiss et al. an, der die Verbreitung und die Übertragungsmechanismen durch pflanzliche Lebensmittel und besonders durch Sprossen herausarbeitet. Diskutiert werden auch präventive Maßnahmen gegen die Übertragung von EHEC auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette bis zum Verbraucher. Die Arbeit von Hänel et al. schließlich beschreibt den Ablauf der Epidemie und ihrer Aufklärung aus Sicht der Lebensmittelüberwachung eines Bundeslandes. Bilanzierend wird die Lehre gezogen, dass pflanzliche Lebensmittel als Vehikel von Krankheitserregern in Zukunft stärker in den Fokus zu nehmen sind.

Die Instrumente der Risikofrüherkennung und -warnung werden ständig verfeinert. Betrachtet man aber nur einige krisenhaften Ereignisse des Jahres 2011 (Dioxin in Futtermitteln, Fukushima, EHEC), so erkennt man, dass eine Frühwarnung aus unterschiedlichen Gründen nicht immer möglich ist. Verkürzt könnte man sagen: Keine Krise ist wie die andere. (Lebensmittel-)Risikomanagement muss deshalb möglichst schnell verfügbare, flexible Instrumente mit hohem technischen Standard entwickeln, um den unterschiedlichen Szenarien gerecht zu werden.

Angesichts der erschreckenden Zahl von 53 Verstorbenen und mehr als 3800 teils schwer Erkrankten sollten alle, die an der Wertschöpfungskette beteiligt sind, zu dieser Weiterentwicklung beitragen. Ganz im Sinne der Basisverordnung (Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Rückverfolgbarkeit) kann die primäre Initiative bei der Wirtschaft selbst liegen. So waren die Mitglieder der Task Force EHEC gezwungen, mühsame und zeitaufwändige Recherchen anzustellen, um die Daten für die Rück- und Vorwärtsverfolgung in der notwendigen Detailtiefe zu vervollständigen. Man muss sich fragen, weshalb im Zeitalter von Smartphones, QR-Code und Internetvernetzung ausgedruckte, teils handschriftlich ergänzte Lieferlisten formal ausreichen, wenn von einer schnellen Verfolgung der Warenströme die Gesundheit vieler Menschen abhängig ist.

Intelligente, für alle Wirtschaftbeteiligte erschwingliche Lösungen zur digitalen Dokumentation auf der Basis einheitlicher Standards könnten zukünftig eine sekundenschnelle Rückverfolgung über alle Wertschöpfungsstufen ermöglichen. Dass dies keine ferne Vision sein muss, beweisen schon heute weltweit operierende Lebensmittelproduzenten und -handelsunternehmen jeweils in ihrem Bereich.

Auch das behördliche Krisenmanagement ist weiterzuentwickeln. In dem von Hänel et al. verfassten Artikel schlagen die Autoren vor, auf beiden Seiten Experten zu identifizieren, die im Ereignisfall schnell verfügbar sind. Um im „Ernstfall“ keine Zeit zu vergeuden, sollten diese Experten regelmäßig den Krisenfall vorbereitende Übungen abhalten. Der Autoren weisen darauf hin, dass bei lebensmittelinduzierten Krankheitsfällen ein unmittelbarer Informationsaustausch zwischen den Gesundheits- und den Lebensmittelaufsichtsbehörden auf allen Ebenen sichergestellt sein muss.

Man darf hoffen, dass der Gesetzgeber den nötigen Rechtsrahmen für eine dauerhafte Koordination nach dem Vorbild der Task Force EHEC schafft. Bereits während der Epidemie hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine eigene Task Force auf europäischer Ebene gebildet, die maßgeblich an der Aufklärung des EHEC-Krankheitsausbruches in Frankreich mitwirkte. Die Verknüpfung der Erkenntnisse über die Warenströme in Frankreich und Deutschland führte schließlich zur Aufklärung.

Gibt es ein überzeugenderes Argument?