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Feierabend mit Maria Krautzberger

„Vollkornpizza, das wäre mein Traum“

Autorenprofilbild von Daniel Wetzel
Von Daniel WetzelWirtschaftsredakteur
Veröffentlicht am 17.01.2016Lesedauer: 9 Minuten

Die Präsidentin des Umweltbundesamtes ist Mitglied der Slow-Food-Bewegung – und legt sich immer öfter mit der Agrarlobby an. Ein Expertengespräch auf einem Bio-Markt in Kreuzberg über Konsequenz und eigene Ökosünden

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Berlin-Kreuzberg, in Markthalle Neun am Tag vor Beginn der der Grünen Woche. Auf dem „Street Food Thursday“ dampft und duftet es aus unzähligen Garküchen wie auf einem orientalischen Basar, an den Biertischen wird geschlemmt, getrunken, gelacht. In der gläsernen Metzgerei „Kumpel & Keule“ zersäbelt man vor Publikum kunstgerecht Biofleisch, während bei „Glut & Späne“ Saibling und Forelle aus Mecklenburg über Buchenholzfeuer räuchern. Maria Krautzberger fühlt sich hier wie zu Hause. In Jeans, buntem Fransenschal und grüner Strickjacke nicht sofort als Präsidentin des Umweltbundesamtes zu erkennen, steuert sie auf eine Backmanufaktur zu: „Hai anche Pizza integrale?“ Erste Überraschung: Sie spricht fließend Italienisch. Zweite Überraschung: Sie hat im brodelnden Küchenkosmos der Markthalle doch tatsächlich eine Sache gefunden, die es nicht gibt. Alfredo Sironi, baumlanger Bäckermeister aus Como, windet sich ein wenig.

Alfredo Sironi:

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Äh, nein – wir haben ein paar Tests gemacht, man bekommt die irgendwie nicht fluffig, das ist die Sache.

Maria Krautzberger:

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Schade. Vollkornpizza, das wäre mein Traum.

Sironi:

Wenn das Produkt nicht fluffig ist, wenn das so ganz anders schmeckt, dann sage ich: Lieber eine Pizza weniger, dafür dann aber mal eine richtige.

Welt am Sonntag:

Aber schauen Sie mal das Brot hier, Frau Krautzberger. Pane di Sironi, das sieht toll aus. Eins kostet aber 9,80 Euro.

Krautzberger:

Das würde ich trotzdem nehmen. Gute Lebensmittel kosten nun mal mehr als Industrieware. Man spart nicht, wenn man billige Lebensmittel kauft. Billige Lebensmittel schmeißt man einfach viel zu leicht weg.

Kochen Sie denn gerne?

Wenn ich mal Zeit habe, dann mache ich das sogar gerne. Ich koche aber meistens sehr einfach. Ich brauche keine schwierigen Rezepte. Wenn man gute Produkte einkauft, muss man nicht so kompliziert kochen. Italiener haben einen Bezug zu guten Lebensmitteln, das liegt ihnen einfach näher.

Haben Sie auch deshalb Italienisch gelernt?

Ich bin da einfach öfter mal, weil ich dort auch Freunde habe. Ich lerne die Sprache einfach aus Spaß. Aber ich liebe Italien dafür, dass das Land Slow Food erfunden hat. Hier – ich bin da Mitglied (zeigt auf eine kleine goldene Brosche in Form einer Weinbergschnecke am Revers ihrer Strickjacke).

Die Schnecke? Okay, das passt.

Das Zeichen der Slow-Food-Bewegung. Die hat ein Italiener namens Carlo Petrini gegründet, als eine Reaktion auf die Ansiedlung von McDonald’s-Filialen in Rom. Das ist eine Bewegung, hinter der ich voll stehe. Es geht darum, regionale, bäuerliche Betriebe zu stärken. Slow-Food-Restaurants kochen nach bestimmten Prinzipien: Regional, sauber und fair gehandelt müssen die Zutaten alle sein.

Woher kommt die Liebe zu guten Zutaten?

Ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben mit Lebensmitteln und Landwirtschaft. Dazu kommt vielleicht noch, dass mein Mann an Glutenunverträglichkeit leidet. Da ist man gezwungen, immer sehr genau das Kleingedruckte auf der Packung zu lesen. Und dann merken Sie erst, wie verändert unsere Lebensmittel sind. Irgendwann kaufen Sie das Zeug nicht mehr, weil man das alles nicht mitessen will.

Krautzberger hält am Stand „Schaufenster Uckermark“. Es gibt ein Glas Apfelwein und eine kleine Käseplatte.

Herrlich, der Käse. In den östlichen Bundesländern gibt es so große Chancen, mit regionaler Feinkost zu punkten. Aus meiner Sicht hat das mehr Potenzial als die Massentierhaltung, die sich da verbreitet hat. Es ist doch die Frage, ob unsere Turbomilchkühe die Zukunft sind oder ob es nicht andere Wege der Nahrungsmittelherstellung gibt.

Ich vermute, mit dieser Einstellung machen Sie sich bei den Landwirten nicht unbedingt beliebt. Das Tierwohl ist ja auch auf der Grünen Woche ein Thema. Werden Sie da angefeindet?

Na ja, wir wollen als Umweltbundesamt auch Vorschläge zum Thema Tierwohl entwickeln. Beim Bauernverband ecken wir damit tatsächlich regelmäßig an. Was ich schade finde, weil ich davon überzeugt bin, dass viele Landwirte ein Interesse daran haben, sich weiterzuentwickeln und ökologische Probleme zu diskutieren. Ich bin davon überzeugt, dass die offizielle Verbandspolitik nicht immer im Interesse aller Landwirte ist.

Müssten Sie als Präsidentin der ältesten und größten nationalen Umweltschutzbehörde nicht eigentlich mindestens Vegetarierin sein?

Natürlich ist man mit vegetarischer Ernährung immer auf der ökologisch sicheren Seite, das ist schon so. Aber ich bin keine Vegetarierin, ich tendiere da nur hin. Ich habe schon lange kein Fleisch mehr gekauft. Aber es ist für mich auch kein Tabuthema. Ich möchte nur kein Fleisch aus Massentierhaltung essen. Wenn man weiß, wo’s herkommt, und nicht gerade einen zwanghaften Fleischkonsum entwickelt, dann ist das schon okay. Regionale Produkte zu kaufen, halte ich für wichtig. Ich würde keine Bio-Birne aus Argentinien kaufen.

Sie müssen immer Bio-Apfel greifen, auch wenn der manchmal schrumpelig ist und andere Exemplare, die daneben liegen, viel verlockender aussehen. Ist das eine Last in Ihrer Position, in der Öffentlichkeit immer das strahlende Ökovorbild abgeben zu müssen?

Das fällt mir überhaupt nicht schwer. Sie bauen da einen falschen Gegensatz auf: Der schrumpelige Bio-Apfel ist vielleicht nicht so schön, schmeckt aber viel besser. Ernährung sollte immer etwas mit Genuss zu tun haben und nicht unter dem Zeichen des erzwungenen Verzichts stehen.

Also haben Sie keine Ökosünden zu beichten?

Kein Mensch ist perfekt. Auch ich mache manchmal Sachen, die ökologisch nicht so korrekt sind. Im alltäglichen Mobilitätsverhalten immer vorbildlich zu sein fällt mir besonders schwer. Das quält mich manchmal schon.

Weil Sie in Berlin wohnen und täglich zum Umweltbundesamt nach Dessau pendeln?

Nicht jeden Tag. Ich habe ja auch in Berlin ein Büro, am Bismarckplatz, da fahre ich auch gern mit dem Fahrrad hin. Ich kenne auch die Busverbindungen. Aber in Dessau, wenn da an einem Tag drei, vier Termine sind, dann geht das nicht ohne Auto.

Sie fahren einen Audi A6 2.0 TDI ultra Diesel.

Noch. Aber nicht mehr lange. Seit vielen Jahren befassen sich bei uns die Fachleute und der Arbeitsschutz mit der Frage: Welche Autos werden für das UBA geleast oder angeschafft? Und natürlich werden da immer genau die Schadstoffe bewertet und Empfehlungen ausgesprochen. Und weil ich noch nicht so lange in diesem Amt bin, bin ich diesem Beschaffungskonzept bis jetzt gefolgt.

Laut Liste der Deutschen Umwelthilfe emittiert Ihr Dienstwagen 114 Gramm CO2 pro Kilometer. Und bei einem Diesel kommen noch Stickoxide und Feinstaub hinzu.

Deshalb will ich den auch loswerden. Ich habe jetzt den Auftrag gegeben, ein kleineres Fahrzeug zu leasen. Ich will also ein kleineres Auto fahren. Aber kleinere Autos zu fahren in einer Bundesbehörde ist gar nicht so einfach.

Warum?

Es gibt da Rahmenrichtlinien des Bundesfinanzministeriums, denen wir uns fügen müssen. Und dann hat der Arbeitsschutz noch mitzureden, wenn der Fahrer ein kleineres Auto fährt.

Sie verstoßen gegen Gesetze, wenn Sie ein kleineres Auto fahren wollen?

Nein, aber es nicht trivial, das in die Praxis umzusetzen. Und das Verrückte: Es ist sehr viel teurer. Die Anbieter BMW, VW, Audi und Mercedes und wie sie alle heißen bieten so günstige Leasingraten für Behörden an, da würde jeder Privatkunde neidisch. Und kleinere Fahrzeugtypen haben die schlicht nicht im Angebot. Aber egal, ich bekomme jetzt einen Plug-in-hybrid-Passat – und das haben wir auch durchgesetzt.

Warum nicht gleich ein Elektroauto? Die will der Bund doch jetzt angeblich fördern.

Ein Elektroauto ist im Moment noch zu teuer, aber hoffentlich bald eine echte Option für uns. Ich muss dazusagen: Ich habe keinen Dienstwagen nur für mich allein. Wir nutzen alle die Wagen des Fuhrparks nach Bedarf. Und wir kompensieren die Treibhausgasemissionen der Fahrzeuge durch internationale Klimaschutzprojekte. Nach unseren Richtlinien fahren wir auf längeren Strecken im Regelfall mit dem Zug.

Auf Kompromisse solcher Art sind viele Anhänger der Ökoszene nicht gut zu sprechen. Die fordern auch die kompromisslose Ächtung jeglicher Gentechnik auf dem Acker und das Komplettverbot von Glyphosat, obwohl es im Vergleich das harmloseste Herbizid auf dem Markt ist. Müssen Sie nicht manchmal den Überschwang entschiedener Umweltschützer bremsen, obwohl er gut gemeint ist?

Ich finde es grundsätzlich gut, dass es eine kritische Öffentlichkeit in diesem Bereich gibt. Diskussionen über Glyphosat sind nicht einfach. Die hatten wir auch im UBA. Eine Mehrheit der Mitarbeiter wollte ganz weg von Glyphosat und anderen schädlichen Pflanzenschutzmitteln. Aber wir haben das nicht zu entscheiden. Wir sind im Übrigen nur verantwortlich für die Genehmigungsverfahren und die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln in Bezug auf Umweltbelange, zum Beispiel Biodiversität, nicht in Bezug auf die gesundheitliche Bewertung.

Endet aber nicht alles irgendwann in Glaubensfragen? Die Ökolandwirtschaft wird doch recht wenig kritisch hinterfragt. Und doch bedeutet extensive Landwirtschaft deutlich mehr Flächenverbrauch, was auch zulasten bislang unberührter Landschaften gehen kann.

Das größere Problem ist doch, dass die Landwirtschaft ausgeräumte Flächen, ausgelaugte Böden und belastete Gewässer hinterlässt. Durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sterben ganze Lebensgemeinschaften ab. Durch Glyphosat sterben die Wildkräuter, und damit verschwinden die Rebhühner, und viele andere Tiere haben dann ebenfalls keine Lebensgrundlage mehr. Bei der ökologischen Landwirtschaft besteht das Selbstverständnis, Biodiversität mitzudenken und zu berücksichtigen. Der Flächenanteil des Ökolandbaus macht in Deutschland erst 6,4 Prozent aus. Das deutsche Ziel ist 20 Prozent, und wenn wir so weitermachen, sind wir erst nach 2050 so weit. Dabei wollten wir das eigentlich bis 2020 schaffen.

Allerdings sagt die konventionelle Landwirtschaft immer, dass Biobauern nicht die Welt ernähren können.

Das ist eine These, die man diskutieren kann. Das ist nicht unsere vorrangige Kompetenz im UBA, weil wir keine landwirtschaftliche Forschungseinrichtung sind. Aber wenn man den Angaben der Welthungerhilfe oder der UN glaubt, gibt es genügend Nahrung in der Welt. Genug, um den Hunger zu beseitigen. Es geht immer nur um die Verteilung von Lebensmitteln. Ich halte die Stärkung der kleinteiligen, bäuerlichen Landwirtschaft für das Mittel der Wahl.

Die hat es allerdings auch in Deutschland sehr schwer.

Unsere Landwirtschaft ist so aufgestellt, dass wir für den internationalen Export produzieren. Ich bin mir nicht sicher, dass das die Zukunft ist. Ich spreche jetzt als Privatperson, weil wir das nicht erforschen. Aber wir sehen doch alle am Beispiel des Milchpreises heute, dass es ein falscher Weg ist, sich auf den Export zu konzentrieren und sich in Abhängigkeit von Abnahmeländern zu begeben.


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