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Umweltbundesamt

"Niemand darf durch Stromrechnung arm werden"

Autorenprofilbild von Claudia Ehrenstein
Von Claudia EhrensteinPolitikredakteurin
Veröffentlicht am 14.08.2012Lesedauer: 6 Minuten
Jochen Flasbarth
„Wer den Strom nicht bezahlen kann, braucht staatliche Unterstützung“, fordert Jochen FlasbarthQuelle: dpa-Zentralbild

Der Präsident des Umweltbundesamts, Jochen Flasbarth, fordert, die Kosten der Energiewende gerechter zu verteilen. Verbraucher sollten nach ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit belastet werden.

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Die Welt: Herr Flasbarth, lassen Sie uns einmal mit einer guten Umweltnachricht beginnen.

Jochen Flasbarth: Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und erinnere mich noch gut an die dreckige Luft und das verschmutzte Wasser. Das konnte ich regelrecht schmecken, riechen, atmen. Heute schwimmen im Rhein wieder Fische. Die Schadstoffe in der Umwelt wurden gewaltig reduziert. Das ist ein Riesenerfolg.

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Die Welt: Nimmt die Bundesregierung die Umweltpolitik ernst genug?

Flasbarth: Das Interesse für Umweltpolitik schwankt wie für andere Themen auch.

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Die Welt: Welches Umweltproblem wird noch zu sehr vernachlässigt?

Flasbarth: Die Belastung der Menschen mit Lärm wird noch zu wenig beachtet. Beispiel Flugverkehr: Deutschland liegt an der Schnittstelle zwischen den Kontinenten, und da ist es unvermeidbar, dass Fracht- oder Transitverkehr auch nachts möglich ist.

Die Frage ist nur, in welchem Umfang und wo, damit die Anwohner ruhig schlafen können. Dafür brauchen wir eine bundesweite Planung. Auch die Schiene muss leiser werden, insbesondere wenn in Zukunft deutlich mehr Güter mit der Bahn transportiert werden sollen.

Ich bin dafür, Investitionen etwa in leisere Güterwaggons als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzusehen und auch entsprechend zu fördern. Das dürfen wir nicht auf die lange Bank schieben.

Die Welt: Bringt der Wechsel im Bundesumweltministerium frischen Wind für die Umweltpolitik– vor allem für die Energiewende?

Flasbarth: Peter Altmaier hat nach seinem Amtsantritt Ende Mai gemeinsam mit den Ländern sehr rasch eine Lösung für die umstrittene Solarförderung gefunden. Das war ein wichtiges Signal. Es ist Gift für die Energiewende, wenn anstehende Entscheidungen verschleppt werden.

Auch bei der Gebäudesanierung sollten sich Bund und Länder schnell im Bundesrat auf eine Finanzierung verständigen, damit Hausbesitzer sich mit Investitionen nicht länger zurückhalten.

Die Welt: Aus welcher Richtung spüren Sie Widerstand gegen die Energiewende?

Flasbarth: Derzeit scheint es einen Wettbewerb zu geben, die Zukunft der Energiewende in den düstersten Farben zu malen. Gegenwind überrascht mich nicht. Die Struktur unserer Energieversorgung war bislang nicht umweltverträglich, und sie war mit den vier großen dominierenden Energieversorgern auch nicht wirklich wettbewerblich. Das ändert sich gerade.

Der gesamte Energiesektor stellt sich neu auf. Dabei gibt es Gewinner, viele Unternehmen, Handwerker und auch Bürger, die jetzt selbst zu Stromerzeugern werden. Aber es gibt auch Verlierer, die versuchen, die drohenden Veränderungen noch abzuwenden.

Mit der Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien können wir zur erfolgreichsten Volkswirtschaft in diesem Jahrhundert werden. Wir brauchen etwas mehr Zutrauen in unsere Fähigkeiten, statt Verzagtheit und Nörgelei.

Die Welt: Die Börsenpreise für Industriestrom sinken, für Verbraucher wird Strom teurer. Wie wollen Sie die Lasten der Energiewende gerechter verteilen?

Flasbarth: Es ist wichtig, Entlastungen bei der Ökosteuer und der EEG-Umlage – also dem Zuschlag für den Strom aus erneuerbaren Energien – nicht nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern gezielt nur noch energieintensiven Unternehmen zu gewähren, die andernfalls gravierende Nachteile im internationalen Wettbewerb hätten.

Die Welt: Die Bundesregierung hat aber gerade die Ausnahmen bei der Ökosteuer für rund 25.000 Unternehmen pauschal verlängert.

Flasbarth: Erstmals bekommen die Unternehmen Erleichterungen bei der Ökosteuer aber nur, wenn sie ein Umwelt- oder Energiemanagement einführen. Das hält das Umweltbundesamt schon lange für richtig. Allerdings würde ich mir ambitioniertere Effizienzziele wünschen.

Die Welt: Das ändert aber nichts daran, dass der Strompreis für private Haushalte weiter steigt?

Flasbarth: Niemand darf durch die Stromrechnung arm werden. Aber alle Unternehmen und Verbraucher, die es können, sollten auch die EEG-Umlage zahlen. Dann würden die Kosten auf mehr Schultern verteilt, und die Höhe der Umlage würde für jeden Einzelnen sinken.

Es ist ja das Prinzip unserer Gesellschaft, Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit zu belasten. Wer den Strom nicht bezahlen kann, braucht staatliche Unterstützung – etwa durch Energieberatung und Hilfe beim Kauf energiesparender Haushaltsgeräte.

Die Welt: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler will Umweltstandards aufweichen, um den Netzausbau zu beschleunigen. Droht ein Konflikt mit dem Naturschutz?

Flasbarth: Bei allen Infrastrukturprojekten müssen die Interessen von Ökonomie und Ökologie abgewogen werden. Bislang ist der Naturschutz bei den Planungen der Energiewende an keiner Stelle zum Verhinderer geworden. Problematisch wird es dann, wenn versucht wird, das kluge europäische Naturschutzrecht zu unterlaufen.

Das ist aber gar nicht nötig. Die Vorgaben aus Brüssel sind sehr flexibel, was Ausnahmen betrifft, und können somit helfen, Verfahren schneller und schlanker zu gestalten.

Der Naturschutz muss nur frühzeitig in die Planungen einbezogen werden, um konfliktarme Trassen etwa für neue Stromleitungen zu finden. Seit Jahren wird das sehr erfolgreich beim Straßenbau praktiziert.

Die Welt: Deutsche Forscher warnen vor dem weiteren Bau von Biogasanlagen und der Nutzung von Biosprit. Welche Rolle spielt künftig Energie aus Biomasse?

Flasbarth: Die Nutzung von Biomasse ist dann sinnvoll, wenn sie strengen Umweltkriterien folgt. Daher sollten wir uns in Deutschland bei der Bioenergienutzung überwiegend auf Abfallbiomassen setzen. Bei Importen muss man genau hinschauen.

Die Behauptung etwa, der Anbau von Zuckerrohr für Bioethanol in Brasilien würde den Regenwald zerstören, ist in dieser pauschalen Form falsch. Die Pflanzen wachsen in der Regel auf ehemaligen Kaffeeplantagen, und der Energieertrag pro Fläche ist so hoch, dass sich sogar der Transport nach Europa ökologisch lohnt.

Natürlich gibt es auch Fehlentwicklungen und Probleme. Aber der Treiber der Regenwaldzerstörung ist nicht die Bioenergie sondern der hohe Fleischkonsum.

Die Welt: In Deutschland werden 57 Prozent der Agrarflächen zur Produktion von Futtermitteln genutzt, 28 Prozent für Nahrungsmittel und nur zwölf Prozent für Bioenergie. Wird sich das ändern?

Flasbarth: Mit zunehmendem Wohlstand etwa in China und Indien werden sich die Ernährungsgewohnheiten weiter ändern und der Fleischkonsum weiter steigen. Das wird den Weltmarkt für Fleisch weiter antreiben und dann auch Folgen für die Landnutzung hierzulande haben.

Die Welt: Das Wirtschaftswachstum in China führt zu höherem Energieverbrauch. Der Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid ist schon fast so hoch wie in der EU. Was bedeutet das für den Klimagipfel im November in Katar?

Flasbarth: Nicht mehr nur die alten Industriestaaten, sondern auch große Schwellenländer sind heute für die steigenden Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Das verändert die Sichtweise – und zugleich verschwindet der moralische Ton aus der Debatte über den internationalen Klimaschutz.

Bei der Klimakonferenz 2011 im südafrikanischen Durban haben alle Staaten von China bis zu den USA dafür gestimmt, ein internationales Klimaabkommen auszuhandeln. Das stimmt mich grundsätzlich optimistisch.

Die Welt: Sind solche großen Klimagipfel überhaupt noch zeitgemäß?

Flasbarth: Es geht um ein völkerrechtlich verbindliches Klimaabkommen. Und ein solcher Verhandlungsprozess muss transparent sein und braucht dafür eine große Öffentlichkeit: Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen müssen sich beteiligen. Da kommen schnell 15.000 Menschen oder mehr zusammen.

Die Welt: In sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter ist eine neue Öffentlichkeit entstanden. Bieten sie ein neues Forum für Verhandlungen?

Flasbarth: Es ist sehr erfrischend, diese neue Art der Kommunikation zu nutzen. Facebook und Twitter können Konferenzen im großen Stil nicht ersetzten, aber sinnvoll ergänzen und auch bereichern.