Weinflaschen: Mehrweg statt Einweg

Weinflaschen: Mehrweg statt Einweg

Das Leben einer Weinflasche endet üblicherweise im Glascontainer. Da die Herstellung von Neuglas allerdings sehr energieintensiv ist und damit einen großen CO2-Fußabdruck hinterlässt, gibt es immer mehr Bestrebungen, Mehrwegsysteme bei Wein zu forcieren. Aber kann das funktionieren und vor welche Herausforderungen stellt das die Branche?

Zurückbringen statt Wegwerfen? Schon seit Jahrzehnten werden in Deutschland Getränke in verschiedenen Mehrwegsystemen in den Umlauf gebracht. Die Käuferinnen und Käufer sind also längst vertraut damit, Bier-, Wasser- oder auch Saftflaschen nach dem Konsum statt in den Container wieder zurück zur Einkaufsstätte zu bringen.

Was sich bei Bier, Wasser und Saft in Glasflaschen zu einem etablierten System gemausert hat, hinkt allerdings in weinproduzierenden und weinabfüllenden Betrieben noch immer hinterher. Weinflaschen werden zum Großteil in Glascontainern entsorgt und müssen von den Weingütern immer wieder aufs Neue gekauft werden. Für die CO2-Bilanz ist das alles andere als positiv, denn die Produktion von neuem Glas ist extrem energieintensiv – von den Kosten für die neuen Glasflaschen ganz abgesehen.

Die CO2-Bilanz einer Einweg-Weinflasche

Die Bezifferung des CO2-Fußabdrucks einer Einwegflasche im Vergleich zu einer Mehrwegflasche ist laut Dominik Durner, Professor für Lebensmitteltechnologie und Oenologie an der Hochschule Kaiserlautern, nicht leicht. "Geht man von überschlägig 0,5 kg CO2e (CO2 Äquivalente) für die Produktion einer Standard 0,75-Liter-Weinflasche aus und würde man diese zehnmal verwenden, läge man rechnerisch nur noch bei 0,05 kg CO2e pro 0,75-Liter-Wein. Allerdings erfordern die Rücknahme, der Rücktransport, die Sortierung und die Aufbereitung des Leerguts auch Energieeinsatz und verursachen dementsprechend Treibhausgase. Im Projekt 'EIP-Agri Wein-Mehrweg' wird gerade an den Lastenheften gearbeitet, die angeben, wie hoch der Aufwand in der rückführenden Flaschenlogistik maximal sein darf, damit sich Mehrweg bei Wein auch wirklich lohnt."

Insbesondere seit Beginn des Ukraine-Krieges haben sich die Verfügbarkeit und die Preise für Glas nochmal drastisch verschärft. Viele Glashütten mussten aufgrund des Krieges ihre Produktion reduzieren, was in der Konsequenz zu Engpässen führte und damit die Preise für Glas in die Höhe schnellen ließ. Inzwischen hat sich die Situation zwar beruhigt, die Preise sind aber weiterhin auf einem hohen Niveau.

Würde es daher nicht nur aus Umweltaspekten, sondern auch als Präventionsmaßnahme sinnvoll sein, Wein ebenfalls in ein Mehrwegsystem zu überführen? Ganz neu ist dieser Gedanke nicht, denn auch in der Weinbranche ist Mehrweg keine Unbekannte. Schon seit vielen Jahren läuft die 1-Liter-Weinflasche bereits in diesem System. Aus aktuellen Umfragen, die Professor Dr. Dominik Durner und sein Team angestellt haben, geht hervor, dass von den 5,6 Prozent der gesamten Wein-Mehrwegquote in Deutschland allein fünf Prozentpunkte auf die 1-Liter-Weinflasche entfallen. Da dieser Flaschentyp allerdings immer weniger gefragt ist, muss ein neues System her, um beim Thema Mehrweg bei Wein am Ball zu bleiben.

Eine ziemliche Herausforderung, denn es ist nicht einfach, ein bereits bestehendes Mehrwegsystem auf die in der Weinbranche übliche 0,75-Liter-Flasche überzustülpen. "In der Weinbranche haben wir eine hohe Produkt- und Produktionsvielfalt. Mit rund 200 Modellen an unterschiedlichen Weinflaschen auf dem deutschen Weinmarkt, die sich in Form, Farbe, Mündung, Höhe und Prägung unterscheiden, ist es derzeit nicht möglich, Mehrweg flächendeckend umzusetzen", erklärt Professor Dr. Dominik Durner.

Hinzukommt, dass Wein kein Mindesthaltbarkeitsdatum benötigt, weil er nicht zu den verderblichen Getränken gehört. "Weinflaschen können so viele Monate oder sogar Jahre gelagert werden, was es schwer macht vorauszusagen, wann die Flaschen wieder zur Verfügung stehen würden", so Durner weiter.

Eine Flasche für alle

Vor allem die Standardisierung des Flaschentyps ist ein zentraler Knackpunkt bei der Umsetzung eines Mehrwegsystems für Wein. Die 2023 gegründete Wein Mehrweg eG aus Baden-Württemberg hat sich diesem Thema ganz intensiv gestellt.

Für Werner Bender, Vorstand der Genossenschaft, war 2019 schon klar, dass es ein bundesweites Mehrwegsystem für die 0,75-Liter-Flasche braucht, dieses aber nicht möglich ist, wenn weiterhin so viele verschiedene Flaschentypen im Umlauf sind. "Um die Formvielfalt händelbar zu machen und das Mehrwegsystem überhaupt ins Rollen zu bringen, mussten wir eine standardisierte Mehrwegflasche konzipieren", blickt Werner Bender auf die ersten Ideen zurück. Es brauchte viel Überzeugungsarbeit bei den Mitstreiterinnen und Mitstreitern, denn eine individuelle Flasche ist für viele Betriebe das Aushängeschild für die eigenen Weine und oftmals ein elementarer Baustein in der Vermarktungsstrategie der Weingüter.

Der erste Schritt war der Gang zum Flaschendesigner, der das Zusammenspiel aus Ästhetik und technischen Vorgaben erfüllen sollte. Die Entwürfe wurden in einem nächsten Schritt einer Marktforschung mit Konsumentinnen und Konsumenten unterzogen, woraus ein Favorit hervorgegangen ist. "Diesen haben wir einer Glashütte übergeben, die uns ein 3-D-Modell gefertigt hat", so Bender. Nach ein paar Umläufen und weiteren Testphasen mit Prototypen aus Glas in Praxisbetrieben wurde die 0,75-Liter-Weinmehrwegflasche im Früjahr 2023 endlich in Auftrag gegeben und ist seit Sommer 2023 im Umlauf.

Wein aus der Bierflasche

Während man sich in Baden-Württemberg auf diesen Flaschentyp konzentriert, hat sich das Weingut Galler aus Kirchheim an der Weinstraße in der Pfalz bewusst für die Einführung eines Mehrwegsystems mit der 0,5-Liter-Flasche entschieden. Das Bio-Weingut, das sich auf den Anbau und Ausbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten (Piwis) spezialisiert hat, füllt inzwischen ein Weißweincuvée, einen Rosé sowie einen Rotwein in den braunen Flaschen. Die Idee für Mehrweg kam Katja Galler beim Einkauf.

Wenn es möglich ist, Joghurt in Gläser zu füllen, dann können wir das auch. Mein Mann und ich haben einfach ein bisschen herumgesponnen und überlegt, wo man Wein noch abfüllen könnte und sind dann auf die 0,5-Liter-Bierflasche gekommen. Da wir in erster Linie nur in eine Richtung vermarkten und wir nur wenig Kundschaft haben, die uns Leergut zurückbringt, brauchten wir einen Flaschentyp, der sich zum einen gut verkauft und zum anderen auch wieder überall zurückgeben lässt. Es bringt ja nichts, wenn die Kundinnen und Kunden am Automaten stehen und die Flaschen nicht loswerden. Das frustriert und macht nicht Lust, nochmal unseren Wein zu kaufen. (Katja Galler, Weingut Galler)

Die Winzerfamilie kommt mit der Teilumstellung auf Mehrweg nicht nur dem bei ihnen gelebten Nachhaltigkeitsgedanken nach, sondern auch den Entwicklungen hin zu einem moderaten Weinkonsum und der Besonderheit ihres Sortiments. "So kommen die Leute erstmal in kleinen Häppchen mit unseren Piwis in Berührung. Bei einem halben Liter probiert man eher mal etwas Neues", betont Katja Galler. Gefallen an den 0,5-Liter-Weinflaschen finden auch Unverpackt-Läden sowie die Gastronomie. Auch für Single-Haushalte bietet sich dieser Flaschentyp optimal an.

Gibt es Überlegungen, doch die 0,75-Liter-Flasche irgendwann im eigenen Weingut zu etablieren? "Es reicht nicht nur uns Winzerinnen und Winzer davon zu überzeugen, sondern in erster Linie den Lebensmitteleinzelhandel. Die Kundschaft muss die Flaschen prinzipiell überall in Deutschland zurückgeben können. Aktuell sind wir Teil eines Pilotprojektes mit einer Glashütte, die 0,75-Liter-Mehrwegweinflaschen auf den Markt bringen will. Das Ganze passiert in Zusammenarbeit mit den großen Supermarktketten und Automatenherstellern. Es ist schon noch Überzeugungsarbeit nötig. Aber wenn man es schaffen sollte, Mehrwegsysteme für Wein deutschlandweit zu etablieren, dann wären wir auch bereit, komplett umzustellen. Weil die Menge an Weinflaschen, die in Glascontainern landet und der damit verbundene CO2-Ausstoß sind einfach Wahnsinn", macht die Winzerin deutlich. Katja Galler bedauert aktuell vor allem, dass es schwierig sei, gespültes Gebrauchtglas zu bekommen, weil sie mit ihren Flaschen in direkter Konkurrenz zu den Brauereien stehen.

Nachfrage nach Mehrweg steigern

"Wenn man den Wein im deutschen Mehrwegsystem fest verankern will, dann müssen künftig auch mehr Spülkapazitäten geschaffen werden. Aktuell decken die Spülunternehmen ungefähr die 5,6 Prozent Mehrweg bei Wein ab", erklärt Prof. Dr. Dominik Durner. Für Werner Bender von der Wein Mehrweg eG liegt der Schlüssel darin, die Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten nach Wein-Mehrweg zu schaffen. "Wenn diese vorhanden ist, dann ist auch der Bedarf für weitere Spülunternehmen gegeben."

Wer Mitglied in der Genossenschaft ist, darf die neu konzipierte Standardflasche verwenden, aber auch selbst darüber entscheiden, wo er sie spülen will. "Es ist ja nicht zielführend, wenn ich Mitglieder beispielsweise aus der Pfalz zwinge, ihre Flaschen in unserer Zentrale in Möglingen in Baden-Württemberg spülen zu lassen. Die Flasche muss da gespült werden, wo der Weg nicht zu weit ist. Trotzdem bleibt die Wein-Mehrweg eG die zentrale Plattform, in der die Mitgliedsbetriebe den Kurs und die Ausrichtung bestimmen sowie Informationen und Daten münden. So wissen wir auch, wie viele Ersatzbeschaffungen beziehungsweise Neubeschaffungen notwendig sind", betont Bender. An der steigenden Nachfrage hat Dominik Durner keine Zweifel. Es sieht darin sogar eine Möglichkeit der Absatzsteigerung für Wein, denn Nachhaltigkeit sei ein gutes Verkaufsargument.

Damit Weinliebhaberinnen und -liebhaber nicht abgeschreckt werden von der Einführung von Mehrweg bei Wein, hat sich die Wein Mehrweg eG analog zum bestehenden Einwegpfand für einen Pfandbetrag in Höhe von 25 Cent entschieden. "Das ist ein gelernter Betrag, da muss keine Umgewöhnung stattfinden", meint Werner Bender. Erkennen können die Konsumentinnen und Konsumenten die Weinmehrwegflasche an der Prägung am Glas sowie an dem Rückenetikett, auf dem das allgemeine und den Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannte Mehrwegzeichen der Initiative Mehrweg verpflichtend platziert werden muss. Der Anfang ist also gemacht. Jetzt steht nur noch an, die großen Lebensmitteleinzelhandels-Unternehmen davon zu überzeugen, in das System einzusteigen. Aber auch da berichtet Werner Bender davon, dass der Fuß in der Tür sei. Es ginge lediglich noch um das Wann.

Wer sich als Erzeugerbetrieb für das Mehrwegsystem interessiert, kann sich auf der Webseite der Wein Mehrweg eG zum Thema informieren. Die Mitgliedschaft ist nicht auf Baden-Württemberg beschränkt, sondern Ziel ist es, das System bundesweit auszurollen.

Veranstaltungstipps

Rund um den Weinbau finden Ende August sowie Anfang November zwei Wissenstransfer-Veranstaltungen statt, bei denen die Vorbereitungen auf den Herbst sowie Nachhaltigkeits-Leistungen im Fokus stehen.

Interview mit Professor Dr. Dominik Durner

Aufgrund unserer Arbeiten im EIP-Projekt 'Mehrweg Baden-Württemberg' und zahlreicher Initiativen am Markt ist davon auszugehen, dass die Mehrwegquote für 0,75-Liter-Weinflaschen künftig steigen wird und bereits in wenigen Jahren im zweistelligen Prozentbereich liegen könnte.

Oekolandbau.de: Das Projekt "EIP-AGRI Wein-Mehrweg" hat zum Ziel, ein Mehrwegsystem für 0,75-Liter-Weinflaschen zu etablieren. Warum das Festhalten an der 0,75-Liter-Flasche, wenn es doch bereits seit vielen Jahren ein erfolgreiches Pfandsystem für die 0,5-Liter-Flasche gibt?

Prof. Dr. Dominik Durner: Dass Wein weltweit vor allem in 0,75-Liter-Flaschen gefüllt und getrunken wird, hat zahlreiche Hintergründe, die man nicht einfach übergehen darf. Dieser Flaschentyp gewinnt auch heute noch – insbesondere wegen des zunehmenden globalen Weinhandels – an Beliebtheit und verdrängt andere Weinflaschengrößen vom Markt. Im Unterschied zu 0,5-Liter-Bier- oder 0,7-Liter-Wasserflaschen weist die Weinflasche zudem einige versteckte Merkmale auf, die für den Schutz des Weines und den Konsum wichtig sind. Als Beispiel ist der BVS-Verschluss zu nennen, eine Verschlussspezifikation, die für Wein nachweislich besser funktioniert als das, was man aus dem Bier- oder Wasserbereich kennt.

Oekolandbau.de: Welche weiteren Vorteile bietet ein Mehrwegsystem speziell bei Weinflaschen?

Prof. Dr. Dominik Durner: Glasverpackungen erfordern grundsätzlich in ihrer Herstellung einen sehr hohen Energieaufwand, der den hohen Schmelztemperaturen geschuldet ist. Und viel Energie bedeutet Treibhausgase. Mit Mehrweg, sprich mehreren Umläufen jedes einzelnen Behälters, würde der Bedarf für Neuglas sinken. Damit trägt Mehrweg unmittelbar zur CO2-Reduktion und zum Klimaschutz bei. Alternativen zu Glas könnten ebenfalls zur CO2-Reduktion und zum Klimaschutz beitragen. Gleichwohl ist Glas der perfekte Packstoff für flüssige Lebensmittel, denn Glas schützt perfekt vor äußeren Einflüssen und ist für Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten sowie für die Kundschaft einfach und nachvollziehbar im Handling. Glas führt auch nicht zu den Problemen, die mit Kunststoffen einhergehen. Stichworte: Mikroplastik, Kunststoff-Verschmutzung der Ozeane, hoher Bedarf an nicht-nachwachsenden Rohstoffe in der Kunststoffproduktion etc.

Oekolandbau.de: Die Kundschaft zu überzeugen ist das eine. Aber wie offen steht die Praxis dem Mehrwegsystem für die Weinflasche gegenüber?

Prof. Dr. Dominik Durner: Die Wein erzeugende Praxis hat in Deutschland noch keine einhellige Meinung dazu. Zahlreiche Betriebe sehen Mehrweg, andere Glasalternativen und wieder andere sehen andere Nachhaltigkeitsthemen als vordergründig an. Die unterschiedlichen Ansichten sind weitgehend darauf zurückzuführen, dass unterschiedliche Weingüter unterschiedliche Absatzkanäle bedienen. Je nachdem, ob mehr direkt verkauft, an Restaurants geliefert oder über den Discounter verkauft wird, können sich die Betriebe Mehrweg mehr oder weniger gut vorstellen. Ähnlich ist es beim Weinhandel. Es gibt Wein- und Lebensmittelhändlerinnen und -händler, die Mehrweg als unumstößlich sehen, andere halten sich noch vornehm zurück.



Letzte Aktualisierung 08.08.2024

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