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Entwicklung des Notfallschutzes in Deutschland

  • Nach dem Unfall von Tschornobyl wurde 1986 das Bundesumweltministerium gegründet, drei Jahre später das Bundesamt für Strahlenschutz.
  • Als direkte Folge von Tschornobyl entstand in Deutschland das "Integrierte Mess- und Informationssystem" (kurz IMIS). Darin werden alle Messdaten offizieller Stellen zur Umweltradioaktivität gesammelt und ausgewertet.
  • Mit 1.700 rund um die Uhr aktiven Überwachungssonden löst das flächendeckende ODL-Messnetz bei erhöhter Radioaktivität in der Luft Deutschlands automatisch Alarm aus.
  • Nach dem Unfall in Fukushima 2011 sind Untersuchungsergebnisse des BfS in eine Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) zur Ausweitung der bisherigen Planungszonen für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken eingeflossen.

1986: der Kalte Krieg ist noch nicht vorbei, Deutschland ist getrennt in DDR und BRD, und auch die (weltweite) Kommunikation geschieht ganz anders als heutzutage: Internet und Smartphones sind noch nicht erfunden.

Als im April 1986 erste Meldungen und Bilder über einen Störfall im sowjetischen Kernkraftwerk Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) bekannt wurden, herrschte zunächst Unsicherheit über das, was passiert war. Erst nach und nach gaben staatliche Stellen Bewertungen über das Ereignis ab. Die durch politische Rahmenbedingungen ohnehin dünne Informationslage wurde für die Bevölkerung in Deutschland zusätzlich diffus, da verschiedene staatliche Stellen unterschiedliche Verhaltensempfehlungen abgaben.

Es gab keine bundesweit einheitlichen Richtwerte, keine gesetzliche Grundlagen und nur wenige Stellen, die die Radioaktivität in der Luft messen konnten. Internationale Abkommen über den schnellen gegenseitigen Informationsaustausch zu nuklearen Unfällen fehlten.

1989: Gründung des BfS

Das Gebäudes des Hauptsitzes in Salzgitter Gebäude SZBfS-Hauptsitz in Salzgitter

In der Folge des Unfalls von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) wurde noch im Jahr 1986 das Ministerium für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) gegründet. Drei Jahre später folgte 1989 die Gründung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), welches unter anderem dafür zuständig ist, die Kontamination der Umwelt nach einem radiologischen Unfall schnell zu ermitteln und die Lage zu bewerten.

Verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen wurden im BfS integriert, so zum Beispiel

  • das Institut für Strahlenhygiene des Bundesgesundheitsamtes in Neuherberg bei München,
  • das Institut für Atmosphärische Radioaktivität des Bundesamtes für Zivilschutz in Freiburg,
  • Teile der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig und
  • (nach dem Mauerfall 1989) das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR in Berlin.

Als Hauptsitz des BfS wurde Salzgitter gewählt.

Gesetzliche Grundlagen

Das Fehlen gesetzlicher Vorgaben führte nach dem Reaktorunfall von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) dazu, dass teilweise unterschiedliche Grenzwerte und Maßnahmen im Bund und in den Bundesländern empfohlen wurden.

Um die rechtliche Voraussetzung für ein bundesweit koordiniertes Handeln in vergleichbaren Situationen zu schaffen, wurde bereits am 19. Dezember 1986 das "Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung" (Strahlenschutzvorsorgegesetz) erlassen. Zweck dieses Gesetzes war es, die routinemäßige Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt neu zu regeln. Außerdem galt es, "die Strahlenexposition der Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt im Falle von Ereignissen mit möglichen, nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen unter Beachtung des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung aller Umstände durch angemessene Maßnahmen so gering wie möglich zu halten".

Inzwischen regelt das 2017 verabschiedete Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiven Stoffen. Es vereinheitlicht die bisherigen gesetzlichen Regelwerke im Strahlenschutz und sieht unter anderem den Aufbau des Radiologischen Lagezentrums des Bundes (RLZ) unter Leitung des Bundesumweltministeriums vor.

Neuerungen seit Inkrafttreten des Strahlenschutzgesetzes (StrSchG)

Radioaktivitätsmessungen und DatenanalyseEinklappen / Ausklappen

Nach dem Unfall von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) nutzten die Bundesländer verschiedene Messmethoden und Bewertungen der Daten, so dass es schwierig war, ein einheitliches Lagebild zu erzeugen. Es fehlten einheitliche Vorgehensweisen und eine zentrale Stelle, an der die Messdaten gesammelt und ausgewertet wurden.

Anwender bei der Nutzung des Integrierten Mess- und Informationssystems IMISDas Integrierte Mess- und Informationssystem (IMIS)

Daher war ein wesentlicher Bestandteil des Strahlenschutzvorsorgegesetzes von 1986 der Aufbau und Betrieb eines Mess- und Informationssystems für Radioaktivität ("Integriertes Mess- und Informations-System", kurz IMIS). Dem frisch gegründeten BfS wurde die Zuständigkeit für IMIS übertragen.

In IMIS fließen Messungen aus unserer Umwelt ein:

  • Luft,
  • Lebensmittel,
  • Futtermittel,
  • Böden,
  • Trink- und Grundwasser und
  • Abfälle werden beprobt, gemessen und analysiert.

Über 80 Institutionen aus Bund und Ländern sind insgesamt an IMIS beteiligt. Um die radiologische Lage jederzeit zu erfassen, wurden unter Federführung des BfS ein Routine- und ein Intensivmessprogramm erarbeitet, die jeweils bestimmen, was, wo, von wem und in welcher Frequenz zu beproben bzw. zu messen ist.

Als Teil von IMIS ermitteln heute etwa 1.700 BfS-Messsonden in Deutschland die natürliche und künstliche Umweltradioaktivität (Ortsdosisleistung). Damit wird eine flächendeckende Radioaktivitätsüberwachung der Luft sowohl im Routinefall als auch im Falle eines radiologischen Unfalls gewährleistet. Das System zeigt frühzeitig Änderungen in der Umgebungsstrahlung an und löst im Falle erhöhter Radioaktivitätswerte Alarm aus.

Mit Hilfe des Prognose- und Entscheidungshilfesystems RODOS (Realtime Online Decision Support System) schätzt das BfS – im Falle einer drohenden Freisetzung radioaktiver Stoffe zum Beispiel aus einem Kernkraftwerk - die Umweltkontamination und die daraus resultierende Strahlenexposition des Menschen zeitnah und flächendeckend ab.

Die Ergebnisse aus Messdaten und Prognoserechnungen fließen in das radiologische Lagebild ein, welches eine wichtige Grundlage für das behördliche Handeln in einem radiologischen Notfall bildet.

MaßnahmenkatalogEinklappen / Ausklappen

In einem Ereignisfall muss insbesondere in der Frühphase schnell über Maßnahmen zur Reduzierung der Strahlenbelastung des Menschen entschieden werden.

Dazu hat die Strahlenschutzkommission (SSK) unter Beteiligung des BfS alle zu erwägenden Maßnahmen in einem Katalog zusammengestellt. Der Maßnahmenkatalog beschreibt die Katastrophenschutz- und Notfallmaßnahmen, analysiert deren Effizienz sowie deren Vor- und Nachteile, wie zum Beispiel Durchführbarkeit und Akzeptanz in der Bevölkerung.

NotfalldosiswerteEinklappen / Ausklappen

Notfall-Dosiswerte geben an, welche Katastrophenschutzmaßnahmen in einem radiologischen Notfall ab welcher zu erwartenden Strahlenbelastung des Menschen ergriffen werden sollten. Als Bewertungsmaßstab dient die Dosis der Strahlung, der ein Mensch in einem radiologischen Notfall ausgesetzt wäre.

In der Zeit vor dem Reaktorunfall von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) gab es keine einheitlichen Notfall-Dosiswerte, man ging von einem Ermessensspielraum aus. Während der Bewältigung der Auswirkungen des Unfalls von Tschernobyl wurde deutlich, dass bundesweit einheitliche Richtwerte in einem Notfall nötig sind.

In der Folge des Unfalls von Tschornobyl wurden daher feste Notfall-Dosiswerte für die Evakuierung, den Aufenthalt von Menschen in Gebäuden und die Einnahme von Jodtabletten festgelegt. Oberhalb der Notfall-Dosiswerte sind die Maßnahmen in jedem Fall – wenn möglich – durchzuführen. Unterhalb sind die Maßnahmen unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zu erörtern. Die Strahlenbelastung des Menschen soll möglichst gering sein.

Grenzwerte für Nahrungs- und FuttermittelEinklappen / Ausklappen

Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen nach dem Reaktorunfall von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) gab es in Deutschland auch uneinheitliche Grenzwerte für Nahrungs- und Futtermittel. Als Folge des Unfalls wurden von der Europäischen Gemeinschaft Höchstwerte für Cäsium-134 und Cäsium-137, Strontium-89/90 und Plutonium eingeführt. Diese gelten zum Beispiel für

  • Milch, Milchprodukte und Säuglingsnahrung und
  • andere Nahrungsmittel wie Fleisch und Gemüse.

JodtablettenEinklappen / Ausklappen

Bei einem nuklearen Unfall kann radioaktives Jod freigesetzt werden. Wird es eingeatmet oder gelangt über Nahrung bzw. Getränke in den Körper, kann es sich in der Schilddrüse anreichern und die Entwicklung von Schilddrüsenkrebs befördern.

Besonders auffällig war in den Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Tschornobyl (russ.: Tschernobyl) die Zunahme von Schilddrüsenkrebs bei Kindern in Weißrussland und der Ukraine. Dies veranlasste die Strahlenschutzkommission, das Strahlenrisiko für diese Krebserkrankung neu zu bewerten und konsequenterweise die Notfall-Dosiswerte für die Verteilung von Jodtabletten deutlich zu reduzieren.

Planungszonen für den NotfallschutzEinklappen / Ausklappen

Um in einem Notfall Katastrophenschutzmaßnahmen wie Evakuierungen wirkungsvoll durchführen zu können, müssen sie vorbereitend geplant werden. Zu diesem Zweck wurden im Umkreis von Kernkraftwerken sogenannte Planungszonen festgelegt.

Nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima im März 2011 beschäftigte sich das BfS mit der Frage, welche Auswirkungen ein Unfall in einem deutschen Kernkraftwerk mit einem ähnlichen Verlauf wie in Fukushima in Deutschland hätte (BfS-Bericht-SW-11/12). Diese Untersuchung wurde zwischen Herbst 2012 und Ende 2013 mit mehr als 5.000 weiteren Fallbeispielen fortgeführt. Der ausführliche Bericht (BfS-Bericht BfS-SCHR-55/14) erschien Ende Februar 2015.

Die Ergebnisse des BfS sind direkt in eine Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) eingeflossen, die eine Ausweitung der bisherigen Planungszonen für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken empfiehlt. Diese wurden vom Bundesumweltministerium den Länderbehörden zur weiteren Planung weitergeleitet.

Allgemeiner Notfallplan des BundesEinklappen / Ausklappen

Seit 2023 ist der „Allgemeine Notfallplan des Bundes“ in Kraft. Er gilt für verschiedene Arten radiologischer Notfälle im In- und Ausland, zum Beispiel nach Unfällen in einem Kernkraftwerk oder beim Transport radioaktiver Stoffe. Der Notfallplan sieht für solche Ereignisse Planungsszenarien vor und regelt darauf aufbauend

  • Kriterien für Schutzmaßnahmen,
  • Verfahren zur Warnung und Information der Bevölkerung sowie
  • Vorschriften für die behördliche Zusammenarbeit und Abstimmung im Falle eines radiologischen Notfalls.

Der Notfallplan löst bestehende Planungsdokumente teilweise ab.

Eine besondere Rolle spielt dabei das Radiologische Lagezentrum des Bundes. Seine Aufgabe ist es unter anderem, bei schweren überregionalen Notfällen das radiologische Lagebild zu erstellen sowie die Bevölkerung zu informieren und ihr Verhaltensempfehlungen zu geben.

Zur Ergänzung des Allgemeinen Notfallplans des Bundes sollen weitere besondere Notfallpläne erarbeitet werden, die die Notfallreaktion in bestimmten, bei solchen Notfällen potenziell betroffenen Sachbereichen regeln. Auch die Länder erarbeiten zusätzliche Notfallpläne, die die Bundespläne ergänzen sollen. Bis zum Inkrafttreten dieser Notfallpläne gelten zahlreiche existierende Dokumente als vorläufige Notfallpläne des Bundes und der Länder fort.

Stand: 15.06.2024

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